»Herrscher oder Untertan / der Mensch fängt in den Schuhen an«, dichtete einst Stephan Reimertz. Hier nimmt sich der Autor einer Kleinen Philosophie des Schuhwerks an, die soeben in der Zürcher Midas Collection erschien.
Die Sprache der Schuhe nennt Frank Berzbach seinen kurzen Abriss über jene ledernen Boote, in die wir unsere Füße zwängen. In der Tat haben Schuhe eine eigene Sprache, und in der sagen sie alles über ihren Träger. Eine Frau geht nicht ganz fehl, wenn sie bei einem Rendezvous die Schuhe ihres Galans ins Auge fasst. Die Mühe, die er in seine Schuhe steckt, widmet er auch der Beziehung. Sind sie billig und abgeschabt? Sind sie edel und gepflegt? Madame muss nur die Schuhe betrachten, den Mann selbst braucht sie gar nicht anzuschauen. Seinen Schuhe sagen alles über ihn. Sie sind Imprint aller seiner Bewegungen.
Auch Personalchefs werfen einen Blick auf die Schuhe des Bewerbers. Im Grunde brauchten nur auf den Schuh zu spähen und könnten sich das Gespräch mit dem Kandidaten sparen. Das Brevier von Frank Berzbach, Die Sprache der Schuhe, soeben in der Zürcher Midas Collection mit Illustrationen von Saskia Wragge erschienen, ist unterhaltsam, seine Beobachtungen verblüffen und amüsieren, der Autor hätte aber weit mehr zu sagen. Und es steckt noch mehr in seinem Thema, als er bei dieser Gelegenheit herauslässt. Frank Berzbach, scharfsinnig und klug, ist unterfordert mit diesen Kurzcharakteristik aller möglichen Schuhtypen, von denen heute die meisten zu den Gräulen des Alltags in den Städten gehören. Eine kleine Philosophie des Schuhwerks, so der Untertitel, ist das noch nicht, eher: Eine kleine Soziologie der bekanntesten industriell gefertigten Schuhtypen.
An ihren Schuhen sollt ihr sie erkennen
»Schuhe sind verbunden mit einem tiefen Erleben der eigenen Standhaftigkeit«, schreibt Berzbach und lässt damit ahnen, was er noch alles zu bieten hätte, schriebe er tatsächlich eine Philosophie des Schuhwerks. In ironischen Seitenbemerkungen zeigt Berzbach immer wieder, dass er der Mann wäre, das Sujet auszuloten. Er bezeichnet die Gleichgültigkeit des Menschen gegenüber dem eigenen Schuh als Selbstverleugnung, ohne die Metaphorik, die in der Frage, wie jemand dasteht, auch nur ansatzweise auszuarbeiten. Schnell erkennt man, dass hier ein Autor für seine Aufgabe überqualifiziert ist und erst die Präliminarien für das, was er zu sagen hätte, aufbietet. Gerade deshalb aber lohnt sich die Lektüre dieses Büchleins, das man im Handumdrehen gelesen hat.
Berzbachs ikonographischen Aperçus beginnen mit der Erinnerung an den Auftritt des Grünen-Politikers Joschka Fischer, der seinen Ministerschwur vor dem hessischen Landtag Mitte der achtziger Jahre in Turnschuhen leistete, um dann ins Tagebuch zu schreiben: »Nie wieder Turnschuhe!« Seine Anhänger hielten es anders. Frank Berzbach weist darauf hin, dass »die neoliberalen Vorkämpfer des globalen Freihandels regionale, nachhaltige Schuhe tragen, die von den Schuhmachermeistern in der Gegend um die Londoner Savile Row gefertigt werden«, wohingegen die sich als ökologisch und links Empfindenden in Turnschuhen einhergehen, die von global operierenden, Billiglohnländer ausbeutenden Konzernen hergestellt werden. Dies ist die einzige Stelle, an der Berzbach handgefertigte englische Maßschuhe erwähnt. Ansonsten befasst sich sein Brevier ausschließlich mit Ware mittlerer und minderer Qualität und müsste von Rechts wegen heißen: Kurzgefasste Soziologie industrieller Massenschuhe.
Früher SS-Mann, heute Manager – stets eingekleidet von Hugo Boss
Scharfsinnig ist auch sein Hinweis auf jene Fortsetzung, die das Schuhwerk der totalitären Bewegungen in der ersten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts in anti-aristokratischen Managerkreisen der zweiten Hälfte fand. Den beiden gar nicht so unterschiedlichen Fraktionen ging es jeweils darum, sich von den alten Eliten abzugrenzen. »So trug die SS eigens von Hugo Boss kreierte schwarze Uniformen und dazu hohe Schaftstiefel«, schreibt Berzbach und trifft damit ins Herz der latenten bundesrepublikanischen Militanz. Die gleichen Komissköppe, welche im »Dritten Reich« Uniformen und Stiefel von Hugo Boss trugen, haben heute seine Anzüge an und nennen sich Manager.
Im Gegensatz dazu steht die Welt der handgearbeiteten Herrenschuhe. Frank Berzbach lobt Papst Benedikt XVI. für seine von Adriano Stefanelli eigens gefertigten roten Schuhe. Tatsächlich würde ein Vater, der mit seinem Sohn an dessen achtzehnten Geburtstag nach London reist und ihm fünf Paar Schuhe von einem Meister handfertigen lässt, einen Beitrag zur Ökonomie und Ökologie leisten, von der Ästhetik ganz zu schweigen. Die Reise inbegriffen, würden diese Schuhe nur einen Bruchteil von dem kosten, was selbst ein Proletarier im Laufe seines Lebens für Schuhe ausgibt; denn der Sohn müsste nie im Leben wieder Schuhe kaufen. Man kann auch in Rechnung stellen, welche Zeit er spart, weil er kein Schuhgeschäft mehr betritt. Zudem wird sich diese Investition schon darum schnell auszahlen, weil der Träger handgefertigten englischen Schuhwerks berufliche und soziale Vorteile genießt, die sich kaum in Zahlen ausdrücken lassen. Und nun stelle man sich die fünf paar handgefertigten Schuhe auf der einen Seite und einen Müllberg von Billigschuhen auf der anderen Seite vor, wie ihn der Durchschnittsmensch im Laufe des Lebens ansammelt.
High Heels sind toll fürs Bett
Frank Berzbach wird dem Titel seines Buches Die Sprache der Schuhe hingegen voll und ganz gerecht. Er bietet keine Anleitung zum Schuhkauf und zur Pflege, sondern er dechiffriert das Schuhwerk des Billigsektors mit soziologischen Mitteln und hilft dem Leser, Bevölkerungsteile zu analysieren, die ihm fremd sind. Wie das Schuhwerk der Oberschicht lässt er auch die typischen Schuhe der Oberen Mittelschicht, sog. Budapester oder Schuhe mit handgenähtem Rahmen, vollkommen außer acht und hilft uns, die Sprache der Schuhe in der universellen Unterschicht zu analysieren.
So werden die meisten von uns geglaubt haben, Träger von Turnschuhen stellten einen in sich abgeschlossenen Block dar. Berzbach unterscheidet dagegen verschiedene Typen von Turnschuhen und lässt Unterschiede innerhalb dieser Schicht erkennen. Der Fokus des handlichen Bändchens liegt auf Herren- und Unisex-Schuhen, wenngleich auch verschiedene Typen von Damenschuhen behandelt werden. So dürfen High Heels nicht fehlen. Hier zitiert Berzbach einen berühmten Schuhdesigner: »High Heels sind toll fürs Bett […] Wer laufen will, soll zu Adidas gehen.« Auch Plateau-Lacklederstiefel übergeht der Autor in seiner Ironie nicht. Frank Berzbach: »Wer eine Frau besucht, und diese Stiefel stehen im Flur, der sollte schnell seine Entschlossenheit unter Beweis stellen: entweder schnell gehen oder – mutig sein. Es könnte eine aufregende Nacht werden.«
Frank Berzbach
Sprache der Schuhe
Midas Collection, Zürich 2017
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