„Berührung“ von Olaf Olafsson – mit feinem Ton und leiser Tragik. Von Barbara Hoppe.
Es ist das Jahr 2020. Die Corona-Pandemie kriecht um die Welt und Kristófer entschließt sich, sein erfolgreiches Restaurant in Reykjavík zu schließen. Er ist 75 Jahre alt, seine Frau ist einige Jahre zuvor gestorben und der bevorstehende Lockdown erleichtert die Entscheidung, den Ruhestand einzuläuten. Doch die ersehnte Ruhe ist verflogen, als Kristófer aus heiterem Himmel eine Nachricht erhält: „Ich bin Miko Nakamura, geb. Takahashi. Sind Sie der Kristófer Hannesson, der 1969 in London gelebt hat?“ Elektrisiert von diesem ersten Lebenszeichen seit 50 Jahren, als Miko mit ihrem Vater spurlos aus London verschwand, packt Kristófer kurz entschlossen die Koffer und nimmt eine der letzten Maschinen, die vor dem endgültigen Shutdown von Island Richtung Tokyo starten.
Covent Garden im Rückspiegel
Ein Zwangsaufenthalt in der britischen Hauptstadt gibt ihm die Möglichkeit, 24 Stunden lang alte Zeiten aufleben zu lassen. Er nimmt sich ein Hotel in der Monmouth Street mit ihren niedrigen Gebäuden, „zwei oder drei Stockwerke hoch, mit Geschäften und Restaurants im Erdgeschoss, mit Cafés, einem Zeitungskiosk und einem Schuhmacher.“ Es ist die Gegend um Covent Garden unweit der Themse, von wo man heute das große Riesenrad sehen kann, das Viertel, in dem er 50 Jahre zuvor gelebt hat. Damals, als er mit 25 Jahren sein Studium an der Wirtschaftshochschule hinschmiss und es vorzog, im kleinen japanischen Restaurant von Herrn Takahashi als Tellerwäscher zu arbeiten. Dort, wo er Miko kennenlernte, er sich in sie verliebte und plötzlich mit einer ihm unbekannten Welt konfrontiert wurde. Denn Mikos Vater war ein Überlebender des Atombombenabwurfs über Hiroshima. Ein Schicksal, dass vor allem in Japan die Betroffenen gesellschaftlich ausgrenzte.
Im Schatten der Kirschblüte
Schlicht und ohne Schnörkel erzählt Olaf Olafsson Mikos und Krístofers Liebesgeschichte. Im London der Swinging Sixties ist das kleine Lokal der Takahashis ein Hort japanischen Konservatismus. Die junge Japanerin und der Isländer mit Nickelbrille wirken ein bisschen wie Yoko Ono und John Lennon, doch ihre Liebe muss geheim bleiben. So liebenswürdig Takahashi ist, so streng wacht er über seine Tochter. Mit der Reise nach Tokyo eröffnet sich für Krístofer nun die Möglichkeit, endlich Antworten auf seine vielen Fragen zu bekommen. Es ist eine Reise mit Weile, auf der Olafsson in langsamen Tempo Erlebnisse und Gefühle seines Protagonisten reflektiert, bis die beiden Mitsiebziger im frühlingshaften Hiroshima mit seinem Friedensmuseum und unter blühenden Kirschbäumen wieder aufeinandertreffen. Miko, immer noch von Krankheit gezeichnet, Krístofer mit einer ungewissen Demenz-Diagnose im Gepäck.
Melancholie durchweht die zart gewebte Geschichte und am Ende bleibt die Frage: Was bleibt vom Leben, wenn sein Ende naht?
| Olaf Olafsson: | Berührung |
| Übersetzt von: Gisa Marehn | Berlin Verlag, Berlin 2024 |
| bei amazon | bei Thalia |
Was dieses Buch besonders macht:
- Von Reykjavík nach Tokyo: Eine Suche nach Antworten in Zeiten des Umbruchs.
- London 1969: Eine verbotene Liebe im Schatten historischer Last.
- Hiroshima: Ein stilles Wiedersehen mit Blick auf das Wesentliche.
Der Artikel erschien ebenfalls als Literarisches Reiserätsel in Das WOCHENENDE! (Frankfurter Neue Presse, Frankfurter Rundschau und FAZ Rhein Main Zeitung), 3. August 2024.
Bei Verwendung des Textes bitte Quelle angeben bzw. verlinken.
Olaf Olafsson: A tender journey into the past
In 2020, Kristófer closes his restaurant in Reykjavík, seeking peace. But a letter from Japan revives long-lost memories. Miko, his former love, reaches out—after disappearing fifty years ago with her father, a survivor of Hiroshima. A stopover in London brings back the Swinging Sixties: Covent Garden, the Japanese diner, secret romance, cultural boundaries. Miko lived under the strict rule of her conservative father. In Touch, Olaf Olafsson delicately explores a love that couldn’t survive societal norms. Now, the aging couple meets again under cherry blossoms in Hiroshima. Kristófer faces early dementia; Miko suffers from illness. A gentle, melancholic novel asking: What remains when life nears its end?






Pingback: Zärtlich und zeitlos: Kulturtipps im August | Murmann Magazin
Pingback: Der Podcast am Sonntag: Olaf Olafsson „Berührung“ |
Pingback: Yoko Ono: „Music of the Mind“ – radikal, mutig, zeitlos |