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Photographie im Zeitalter des Boxens

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Photographie im Zeitalter des BoxensDer neue Bildband der Zürcher Midas Collection ist eine Huldigung an eine große Zeit der Photographen wie der Boxer: Muhammad Ali: Fighter’s Heaven 1974, mit Schwarzweiß-Photographien von Peter Angelo Simon. Ex-Amateurboxer Stephan Reimertz (Supermittelgewicht), veröffentlichte 2001 den Roman Papiergewicht, der die erste Niederlage von Muhammad Ali beschreibt – in seinem Kampf gegen Joe Frazier im Jahre 1971. Hier blättert Reimertz in dem neuen Bildband von Simon und erinnert an Alis Kampf gegen George Foreman in Zaire.

»Mich fesseln vor allem Bilder, die einen Übergang suggerieren, die mir eine Geschichte erzählen oder mich auf eine innere Reise begleiten – Grenzerfahrungen«, bekennt Peter Angelo Simon. Der us-amerikanische Photograph wurde im ländlichen Pennsylvania geboren. Er war zunächst Reporter und Redakteur. Dabei begann er zu photographieren. Simon lebt heute in New York City. Seine stark atmosphärisch bestimmten Photos hängen in Museen in aller Welt. Simons vorwiegend schwarzweißen Aufnahmen betonen den dokumentarischen und improvisatorischen Charakter, dazu scheut der Künstler auch starke Überzeichnungen mittels konvexer Linse nicht. Das Ergebnis ist oft eine abgerundete Szenerie, die einen kleinen Ausschnitt als eigene Welt erscheinen lässt.

Jahre des Mythos

Peter Angelo Simons Photographie ist besonders stark, wenn es gilt, in einem einzigen Moment eine ganze Geschichte zu erzählen. So wird der gerade in der Midas Collection erschienene Bildband Muhammad Ali: Fighter’s Heaven 1974 zu einem lebendigen Erinnerungsstück an die Zeit, in der sowohl das Boxen als auch die Photographie noch weit stärkere Aura besaßen als heute. Der Boxsport hat mittlerweise sein altes Charisma verloren, weil er durch Filme und Fernsehseren verwässert wurde. Vor allem überwand die westliche Gesellschaft jenes tragische Lebensgefühl, das dem klassischen Boxkampf zugrunde liegt, und löste sich in einer allgemeinen Saturiertheit auf. Der Photograph wiederum büßte seinen Status ein, weil die Geheimwissenschaft der Photographie mit ihren Brennweiten und Belichtungszeiten, ihren aufwendigen Kameras und Labors verschwand und heute jeder mit seinem Smartphone ein technisch annehmbares Photo fabrizieren kann.

Muhammad Ali
Coverabbildung © Midas Verlag

Von solchen Verlusten ist im Jahre 1974 noch nichts zu spüren. Im Gegenteil: Boxen und Photographie sind in jenen Jahren an ihrem technischen Zenit angelangt und auf höchstem Stand, was das soziale Ansehen betrifft. Als größter Boxer der Zeit gilt der zweiunddreißigjährige Muhammad Ali, auch wenn er den Mythos der Unbesiegbarkeit bereits drei Jahre zuvor in der einstimmigen Punktniederlage gegen Joe Frazier eingebüßt hatte und auch 1973 gegen Ken Norton nach Punkten unterlegen war. In einem jedoch war Muhammad Ali nicht zu schlagen: Er besaß eine natürliche Begabung sich in der Öffentlichkeit darzustellen. Zudem sah er gut aus und war auch mit Worten schlagfertig.

Meister-Photograph trifft auf Box-Champion

Im Oktober 1974 versuchte Muhammad Ali, seinen Titel als Schwergewichts-Weltmeister zurückzugewinnen, der ihm sieben Jahre zuvor aberkannt worden war, nachdem er sich geweigert hatte, für die USA gegen Vietnam in den Krieg zu ziehen. Sein Gegner war der sieben Jahre jüngere Texaner George Foreman, bisher unbesiegt. Ihr Fight am 30. Oktober 1974 in Kinshasa ging als »Rumble in the Jungle« in die Geschichte ein. Es sollte einer der meist analysierten Boxkämpfe werden, die je ausgetragen wurden, zumal Norman Mailer mit The Fight ein ganzes Buch über die Begegnung schrieb und Leon Gast noch im Jahre 1997 einen Dokumentarfilm über das Ereignis herausbrachte, der mit dem Oscar für den besten Dokumentarfilm ausgezeichnet wurde. Vor allem darf man nicht unterschätzen, was die »Schlägerei im Dschungel« für das afrikanische Selbstbewusstsein bedeutet hat. So beschäftigt sich auch der Song In Zaire von Johnny Wakelin mit diesem Boxkampf und vermittelt heute noch einen Eindruck von der weltweiten kulturellen Bedeutung dieser Begegnung der beiden Champions.

Nachdem Ali Ende 1974 Januar Joe Frazier im Madison Square Garden in New York nach Punkten besiegt hatte, bereitete er sich nun auf einen anderen Gegner vor, der ihm ebenso wie Frazier durchaus gewachsen war. Der Kampf gegen George Foreman war auf den 30. Oktober anberaumt. Am 11. und 12. August durfte Peter Angelo Simon mit seiner Kamera den Champion besuchen, während sich dieser in Pennsylvania auf den Kampf in Zaire vorbereitete. »Innerhalb dieser zwei Tage habe ich dreiunddreißig Filme verschossen«, berichtete Simon. »Ali meinte, noch nie hätte jemand so viele Photos von ihm gemacht. Für mich zeigen diese Bilder nie zuvor gesehene Facetten von Alis faszinierendem Charakter.«

Das Himmelreich des Athleten

In der Tat kommen wir in dem mittelgroßen Schwarzweiß-Bildband der ländlichen Atmosphäre von Alis Trainingscamp ebenso nah wie dem Champion selbst und seinem Alltag. Das ländliche, improvisiert wirkende Anwesen mit Hütten in pennsylvanischer Holzbauweise wirkt wie eine Idylle. Auf Riesen-Steine hat Ali die Namen von Boxlegenden wie Jack Johnson, Joe Louis oder Rocky Marciano schreiben lassen. Gern posiert er auf einem solchen Felsbrocken in seiner bekannten Pose: Ich bin der Größte! In der lockeren, entspannten Atmosphäre ist immer auch ein Quäntchen Humor dabei. Ein angenehmeres Trainingscamp für einen Athleten kann man sich kaum vorstellen. Wir sehen Ali beim Dauerlauf durch leere Landschaft, nachdenklich auf einem Holzstamm sitzend, oder vom Trainer massiert. Er lädt Freunde ein, besucht das nahe Altersheim und scherzt mit den Insassen. Er boxt mit Sparringspartnern vor Publikum. Da kommen ganze Schulkassen! Ali diskutiert mit einer Schriftstellerin. Lässig lehnt er im Schaukelstuhl oder mit Freunden am Kamin. Er umgibt sich mit Familie und Vertrauten.

Peter Angelo Simon ist ein eindrucksvoll atmosphärisches Porträt des Ausnahmeathleten gelungen. Dass die Bilder über vierzig Jahre später veröffentlicht werden, verleiht ihnen besonderen historischen Reiz. Simons Bildband ist eine wertvolle Ergänzung zur Aufzeichnung des Kampfes in Zaire ebenso wie zu Norman Mailers Bericht The Fight. Ein echtes Geschenk für Boxfans und für all jene, die einen Einblick in die Epoche gewinnen wollen, in der sowohl Boxen als auch Photographieren noch Abenteuer waren.

Muhammad Ali
Fighter’s Heaven 1974
Midas Verlag, Zürich 2017
„Muhammad Ali Fighter’s Heaven 1974“ bei amazon

 

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