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Prolog zum Münchner Faust-Festival 2018

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Beim Münchner Faust-Festival präsentieren bis zum 29. Juli 2018 mehr als zweihundert Veranstalter überall in München ihre Projekte zum Thema Faust.  Stephan Reimertz konnte zwei Herren belauschen, die durch die Stadt spazierten und sich über die Veranstaltung ihre Meinungen austauschten.

FAUST:
Zum Teufel, warum sollten diese Bayern
den Doktor Faust und seinen Schatten feiern?
Sie haben selber ihr Imperium,
Kultur im höchsten Klimakterium.
Dichtung, Musik und Tanz in Überreife,
letzte Weisheit in Papier und Schleife.

MEPHISTO:
Zwar sind wir nur zwei altgediente Typen,
doch sieht man uns als echte Archetypen,
erwartet von uns Antwort auf die Fragen,
wie sie die armen Zeitgenossen plagen:
Wieviel vom Bösen darf im Guten sein?
Lässt man sich gleich mit Außenseitern ein?
Verführt man Mädchen an der Kirchenpforte?
Und wenn nicht dort, an welchem anderen Orte?

 

Eugène Delacroix, 1826: Faust und Mephisto auf dem Blocksberg

 

FAUST:
Stadtauf stadtab seh ich nur meinesgleichen,
und deinesgleichen mit dem Federhut.
Ich frag mich, tut all das gut?
Plakate, Filme und Theatersachen,
in München lässt man es tatsächlich krachen.
Es hat bei Gott in diesem Erdenleben
noch niemals einen solchen Lärm gegeben.
Ein weniges wär besser zur Erhaltung,
denn allzuviel führt meistens zur Erkaltung.

MEPHISTO:
Du solltest diese gute Stunde nutzen,
um dich ein wenig frisch herauszuputzen.
Denn in Jahrhunderten bist du verrostet,
ergreife die Verjüngung, die nichts kostet.

FAUST:
In Leipzig ist der Keller vielbedichtet,
wo die Studenten lauthals schwadronieren,
in Frankfurt wird allzuviel ausgerichtet,
wenn die Bankiers als Dichter sich gerieren.
Doch München hab ich nicht auf meiner Karte,
und Bayern ist mir unbekannte Sparte.

MEPHISTO:
Du wirst doch nicht die viel begabten Kelten
für tiefempfundenes Interesse schelten.
Für Dichtung hatten sie schon je ein Ohr,
man stell die Welt sich ohne Kelten vor!

FAUST:
Ich frag mich, was die Leute an uns finden,
um sich an diese Dichtung fest zu binden.

MEPHISTO:
Das ist nach meiner Meinung leicht erklärlich,
denn ihre eigene Dichtung scheint entbehrlich.
Zu lange sind Theater und Verlage
den Zeitgenossen eine Plage,
weil die ihr Fallobst, das schon halb verdorben,
mit allen Mitteln rücksichtslos beworben.
Da flieht der Leser dann die Unzulänglichen
und wendet sich an uns, die Unvergänglichen.

FAUST:
In den Jahrhunderten wird man bescheiden,
was man auch kommen sieht, man sieht es gehen.
Die Leute sollen hören, sollen sehen;
wieviel dann hängenbleibt, wird sich entscheiden.

 

München, 21.2.2018 / (Foto: Robert Haas)
Faust!
Faust Festival München – Eröffnung im Gasteig

 

MEPHISTO:
Es siegt das Böse auch in der Kultur.
Wer sich nur bilden will, der ist naiv,
poliert die kulturelle Politur
und ahnt die Kraft nicht, die er damit rief.

FAUST:
Es wäre schlimm um unser Sein bestellt,
wenn man sich nicht durch Lernen weiterbrächte.
Ein jeder sei sein eigener Maximator,
erst dann wird Bildung ganz zum Triumphator.
Das Festival in München sei derweil
mehr als nur der Tragödie Dritter Teil.

Faust-Festival München
Alle Termine und Veranstaltungen hier

 

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2 Gedanken zu „Prolog zum Münchner Faust-Festival 2018“

  1. Lieber Herr Radtke,

    wie wunderbar! Ganz, ganz herzlichen Dank!!!

    Ihr Feuilletonscout Barbara Hoppe

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  2. Ein schöner Appetitmacher! Vielen Dank! Und ansteckend ist er – der poetische Infekt bringt aber immerhin ein fälliges Dankeschön zustande:

    Verehrte Damen und geschätzte Herr’n,
    Liebt ihr Musik und habt ihr Dichtung gern?

    Schätzt ihr die Kunst und braucht sie gar zum Sein?
    So weiß ich jemand, lädt euch freundlich ein

    Zu lesen täglich, wann die Artisten
    Was wo wie geben – laut seinen Listen.

    Schon blühet auf Kunst-Teilhabe-Leben
    Es bedarf nur eines Kniffes eben:

    Belegt die lauten Werbetrommler hart
    Mit eurem Bann, die alles ausgesiebt, wo’s zart

    Und ungewöhnlich, klug, komplex, gewagt
    Mit mut’gen Thesen, kühnen Bildern wird gesagt

    Was man, so heißt’s, der Masse nicht verkauft.
    Und meidet den, am besten, daß ihr lauft,

    Wenn der so stark und wild die Pauke haut
    Statt dem: lest, hört und seht den Feuill’tonscout!

    Mit Witz, mit Könnerschaft, mit sehr viel Charme,
    Kommt Einsicht, Kenntnis, Durchblick, und am Arm

    Führt sicher er euch durch die Wüstenei
    von Daten und durchs Medien-Einerlei!

    Es lichtet sich der Dschungel aus Termin,
    Event und Vernissage – wo soll ich hin?

    Was sollt’ ich sehen, warum besuchen?
    Wo lohnt die Fahrt? Wann Lesen mal versuch’n?

    Und darum wird es jetzt auch hier mal laut:
    AM BESTEN LIEST MAN TÄGLICH FEUILLETONSCOUT!

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