Die Briefwechsel von Yvan und Claire Goll standen im Zentrum einer konzertanten Lesung beim Musik- und Literaturfestival „Wie sich die Zeit verzweigt“. Von Stefan Pieper.
„Ich glaube an die Wahrheit des Gefühls“ schreibt Claire Goll irgendwo in einem Nebensatz in einem Brief an ihren Lebensgefährten Yvan Goll – und bringt damit die Intention des Briefwechsels zwischen zwei Liebenden auf den Punkt. Dieser gab der finalen Veranstaltung beim Musik- und Literaturfestival „Wie sich die Zeit verzweigt“ den roten Faden vor – und sorgte für einen in jeder Hinsicht tief bewegenden Festival-Abschluss im Kassiopeia-Saal des Ruhrfestspielhauses Recklinghausen.
Vom Genie des anderen angezogen, fühlten sich Claire und Yvan Goll füreinander bestimmt. Aber das illustre Literatenpaar lebte doch die meiste Zeit in einer Fern- bzw. auch Dreiecksbeziehung, war doch Yvan Goll zugleich mit der Lyrikerin Paula Ludwig verbunden. Ein langjähriger Briefwechsel zwischen den beiden legt die ganze Dynamik dieser komplizierten Beziehung offen und ist zudem ein empfindsames Zeitdokument zwischen 1917 und 1950. Dass der Schreibfluss nie versiegte, davon zeugt heute eine mehr als 1500 Seiten-starke Buchveröffentlichung.
Das Schauspielerpaar Christine Sommer und Martin Brambach erwiesen sich als denkbar beste Instanz, um den schicksalhaften Brief-Dialogen ausdrucksstarke Stimmen zu verleihen. Die musikalischen Rollen waren im Kassiopeia-Saal hervorragend besetzt – mit der eindringlich artikulierenden Sopranistin Barbara Schachtner, ebenso den wandlungsfähigen Klavierparts von Rainer Maria Klaas und Jay Wang und vor allem auch mit dem Geiger Misha Nodelman, der dem Abend mit einem hebräisches Wiegenlied, (welches er seinem gerade verstorbenen Vater widmete), eine bewegende Zugabe schenkte. Und was hätte für diesen Anlass besser gepasst, als Kompositionen aus der Versenkung zu holen, in denen die Lyrik dieses Dichterpaares vertont wurde. Kurt Weills Kantate „Der neue Orpheus“ ebenso wie der Abendgesang von Marcel Mihalovici überhöhen Yvan Galls metaphernreiche Sprachkunst mit einem kühnen musikalischer Expressionismus, der manchmal entfernt an Schönberg oder Alban Berg erinnert.
Rainer Maria Klaas und Michael Em Walter hatten für alle sieben Veranstaltungen dieses zwischen Recklinghausen und Gelsenkirchen kooperierenden Festivals spannende Programme und Besetzungen konzipiert. Der Landschaftsverband Westfalen-Lippe hatte die Reihe großzügig gefördert, was allein schon in einem aufwändig konzipierten Begleitbuch zum Ausdruck kam.
Überschattet wurde das Festival „Wie sich die Zeit verzweigt“ vom plötzlichen Tod des Regisseurs und Schauspielers Peter P. Pachl, der in vielen Projekten und auch auf zahlreichen CD-Aufnahmen mit dem Pianisten Rainer Maria Klaas zusammen gearbeitet hat. Noch am 26. September hatten beide in der Recklinghäuser Kunsthalle ein brillantes Duo-Recital gegeben, in dem Pachl, vor Humor sprühend, auch schauspielerisch in Erscheinung getreten war. Pachl ist am 15. November plötzlich nach kurzer, schwerer Krankheit verstorben.
Claire Goll, Yvan Goll, Paul Ludewig
Nur einmal werd ich dir untreu sein
Briefwechsel und Aufzeichnungen 1917-1966
herausgegeben von Barbara Glauert-Heese
Wallstein Verlag, Göttingen 2021
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