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Puccinis „Tosca“ erstrahlt düster in München

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Die armenische Sopranistin glänzt in einer düsteren „Tosca“- Inszenierung von Stefano Poda. Kapellmeister Michael Balke und das Orchester des Theaters am Gärtnerplatz setzen das beliebte Werk stringent um. Von Stephan Reimertz.

Cavaradossi ist kein italienischer Magenbitter, sondern die männliche Hauptrolle in einer der meistgespielten Opern der Musikgeschichte. In München gibt Alexandros Tsilogiannis den verfolgten und gefolterten Maler, die schauspielerisch und sängerisch herausfordernde Tenorpartie, mit jenem Engagement, jener Natürlichkeit, die das zusammengeraffte Melodram in Schwung hält. Furchterregend und darum umso überzeugender wirkt der serbische Bariton Matija Meić als Polizeichef Scarpia, der den Maler gefangen hält und dessen Geliebte, die Sängerin Tosca, damit zum Sex erpressen will. Scarpia ist ein echter Sadist, dem der Widerstand seiner Opfer umso mehr Lust bereitet.

Zeitlose Wucht, bittere Aktualität

Treue Leser dieser Seiten wissen, dass ich kein Freund krampfhafter Aktualisierung von Opern oder deren Einpassung in den zeitgenössischen ideologischen Jargon bin. Allein bei Tosca von Giacomo Puccini nach dem Libretto von Giuseppe Giacosa und Luigi Illica, Anfang des Jahres 1900 als »lyrische Oper« in Rom uraufgeführt, handelt es sich eindeutig um ein apellatives  feministisches Werk, das sexuelle Erpressung und Vergewaltigung anprangert. So zeitlos diese Oper musikalisch ist, thematisch passt sie perfekt ins Zeitalter der Jeffrey Epstein, Harvey Weinstein, Gisèle Pelicot und der weltweiten Gruppenvergewaltigungen von Mädchen. Niemand kann mir vorwerfen, jemals in einen politisch-korrekten Jargon opportunistisch eingestimmt zu haben; allein es besteht überhaupt kein Zweifel daran, dass Giacomo Puccini in diesem legendären und in seiner musikdramatischen Ökonomie unüberbietbaren Werk eine verzweifelte Anklage gegen Gewalt an Frauen herausschreit.

Liana Aleksanyan gibt die Traumrolle jeder Mezzosopranistin mit der auch in den Höhen stets überzeugenden Kraft, jenem mitreißenden Ausdruck, der in diesem Paradestück des musiktheatralischen Melodrams gefordert ist. So sehr man darauf hinweisen muss, dass die versuchte Vergewaltigung der Sängerin Tosca durch den Polizeichef Scarpia, die Ermordung ihres Geliebten Cavaradossi und ihr anschließender Selbstmord im Vergleich zu den monströsen Verbrechen der Epstein, Weinstein, Pelicot nachgerade als Episode betrachtet werden kann, so deutlich ist auch, dass Puccini ein unübersehbares und unüberhörbares Inbild für Gewalt an Frauen als gesellschaftlicher Gewalt überhaupt erschaffen hat.

Klangregie und Publikumstrick

Die spezifische musikdramatische Psychotechnik, die dieser Komponist als erster entwickelt hat, kommt in der thematisch und melodisch einfach strukturierten Partitur beispielhaft zur Geltung. Michael Balke und das Orchester des Staatstheaters am Gärtnerplatz verstehen es meisterhaft, das erlesene Publikum durch subtilen musikantischen Vortrag der kammermusikalischen Stellen ebenso zu begeistern wie mit der vollen orchestralen Kraft in den dramatisch aufgegipfelten Momenten.

Wie kein Komponist zuvor hat Puccini nicht nur die Psychologie seiner Figuren, sondern auch jene des Publikums im Blick. Die Rezeptionshaltung des modernen Individuums mit seiner kurzen Aufmerksamkeitsspanne vermochte er damit zu bedienen, dass er Arien nicht ausformulierte, sondern nur anriss. Man bekommt eher zu wenig als zu viel, möchte mehr und kommt wieder. Das unterscheidet die Modernität Puccinis von seinen Vorgängern. Das römische Milieu, die Kirche, der Palazzo und schließlich die Engelsburg als Schauplätze regen die meisten Regisseure und Bühnenbildner dieser Oper zu einer bunten Inszenierung an.

Schwarz regiert die Bühne

Stefano Poda geht den entgegengesetzten Weg. Wie in seiner Produktion von Hoffmanns Erzählungen am selben Haus zieht er seine düstere, meist schwarze Inszenierung konsequent durch. Wieder hat der Regisseur zugleich Bühnenbild und Kostüme in der Hand, und wieder ist alles aus einem Guss, hier noch überzeugender als in der Offenbach-Produktion vor einigen Jahren. Das Bühnenbild besteht im wesentlichen aus einem gestürzten Kreuz mit zusätzlichem Querbalken. Die schwarzen Gewänder der Schergen sind eine Verbindung aus kirchlichen Roben und faschistischen Schwarzhemden. Die Vertreter von Thron und Altar sind ausnahmslos Sadisten, Lüstlinge und Verbrecher. Hier setzt die Produktion bruchlos die liberalistische antikatholische Propaganda der Oper fort, die im Jahre 1900 ausgerechnet während der Regierungszeit eines der bedeutendsten und wohltätigsten Päpste, Leo XIII., in Rom uraufgeführt wurde. Die Premiere dieser Produktion wiederum fand 2019 statt, also in der Zeit des in Sachen Ökologie und Friedenspolitik hervorstechenden Papstes Franziskus.

Ist die Aufrüstung der Inszenierung mit Schusswaffen bereits als Beitrag zum 5%-Ziel der NATO-Staaten zu verstehen? Zur Inszenierung trägt sie jedenfalls nicht bei. Scarpia wird erst erschossen, dann erstochen, und Tosca von einem Exekutionskommando hingerichtet, anstatt dass sie wie gewohnt Selbstmord begeht und sich von der Engelsburg stürzt. Was die Knallerei soll, bleibt das Geheimnis des Regisseurs.

Letzter Aufschrei der Kunst

Wie so oft ist auch dieses Werk selbst klüger als seine Ideologie. Wenn Liana Aleksanyan die vielgesungene Arie Vissi d’arte, vissi d’amore mitreißend vorträgt, schreit hier nicht nur die missachtete und als pures Lustobjekt missbrauchte Künstlerin ihr Leid heraus, es artikuliert sich zugleich die überpersönliche Dimension des Künstlers inmitten der Kulturindustrie und seine Degradierung zur reinen Ware.

Vissi d’arte, vissi d’amore,
non feci mai male ad anima viva!
Con man furtiva
quante miserie conobbi, aiutai.
Sempre con fé sincera,
la mia preghiera
ai santi tabernacoli sali.
Sempre con fé sincera
diedi fiori agli altar.
Nell’ora del dolore perché,
perché, Signore, perché
me ne rimuneri cosi?

Ich lebte für die Kunst, für die Liebe,
tat nie einem Menschen etwas zuleide.
Offen hatte ich die Hände für die Armen,
half ihnen in ihrem Unglück.
In tiefem Glauben trat ich immer
mit meinen Gebeten
an den heiligen Altar,
in tiefem Glauben schmückte ich
ihn immer mit Blumen.
Warum, mein Gott, warum,
entlohnst du es mir so
in dieser Stunde des Schmerzes?

Theater am Gärtnerplatz
Gärtnerplatz 3
80469 München

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Puccini’s ‘Tosca’ shines darkly in Munich

Armenian soprano Liana Aleksanyan impresses in Puccini’s “Tosca” at Munich’s Gärtnerplatztheater. Director Stefano Poda opts for a dark, black-toned production that sharply highlights themes of power abuse and sexual violence. Alexandros Tsilogiannis excels as the tormented Cavaradossi, while Matija Meić embodies Scarpia as a terrifying sadist.

Although the author dislikes forced modern reinterpretations of opera, he sees Puccini’s work as an early feminist outcry against sexual violence that remains disturbingly relevant today. Aleksanyan delivers a vocally powerful Tosca whose “Vissi d’arte” becomes the lament of a woman reduced to a commodity.

Michael Balke and the orchestra masterfully explore Puccini’s psychological subtleties, balancing chamber-music delicacy with dramatic force. Poda, designing both sets and costumes, creates a dark world dominated by an overturned cross and black costumes merging clerical robes with fascist uniforms.

Despite all directorial ideas, the opera itself surpasses any ideological readings: Puccini crafts a work that probes deeper—into art, its audience, and society’s structures of violence.

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