In seiner Autobiographie »Apropos of Nothing« schildert Woody Allen mit einzigartigem Esprit sein ungewöhnliches Leben in New York City, seine Freundschaften und Liebschaften, seine originelle Filmarbeit und wie er eine jahrzehntelange Rufmordkampagne überstand. Von Stephan Reimertz.
Wenn man »Apropos of Nothing« zur Hand nimmt, bevor man überhaupt ein Wort von dem Text gelesen hast, kann man schon über die Klappentexte lachen: »…he regrets, that he has never made a great film, though he says, he is still trying«. Über den Bruch mit Mia Farrow heißt es: »for which the tabloid industry has yet to thank him«. Über seine zweite Frau: »He says that no one was surprised as he was at age 56 when a romantic relationship developed with then 21-year-old Soon-Yi Previn…« Das Buch ist also eine Flucht nach vorn. Frau Previn ist es auch gewidmet mit den Worten: »I had her eating out of my hand and then I noticed my arm was missing.« Der Lubitsch-Touch, der eigentlich, wie schon der Name sagt, aus dem urbanen jüdisch-deutschen Bürgertum bzw. der Intelligenzia kommt, hat sich über den Wiener Billy Wilder bis zu Woody Allen gerettet. In New York findet man noch ein kultiviertes und witziges jüdisches Bürgertum. In Deutschland geht einem das total ab, deswegen fehlt dort das Salz in der Suppe. Wir haben es mit einem »Fischvolk« zu tun, wie Brecht das nannte. Das merkt man besonders an dem humorlosen Witzeln in deutschen Komödien. Gloriose Ausnahme: Lars Becker! Der hält immer die Balance von Krimi und Komödie. Allen macht das auf ganz andere Art in Crimes and Misdemeanors, Bullets over Broadway oder jüngst in Wonder Wheel. Ethische Fragen im philosophischen Sinne stehen dabei stärker im Vordergrund als bei Becker.
Im Liegen diktiert?
Wie ist »Apropos of Nothing« geschrieben? Ein kolloquialer, ausgewaschener, teilweise etwas verwaschener Stil. Es würde mich wundern, wenn Allen das nicht auf der Couch liegend in ein Gerät diktiert hätte wie der TV-Drehbuchautor Isaac Davis in Manhattan. Ich kann mir nicht vorstellen, wie er das getippt haben sollte. Das ist diktiert; eine Vergegenwärtigung der Vergangenheit wie in der Psychoanalyse und teilweise sehr umgangssprachlich. Die Lektüre macht einfach Spaß! Dazu ziemlich dicht, er hat viel zu erzählen. Literarisch und kulturell beziehungs- und allusionsreich. Ein Feuerwerk von Esprit. Über seinen bereits in Brooklyn geborenen Vater heißt es angesichts von dessen Erlebnissen im Ersten Weltkrieg, als sein Boot auf dem Atlantik sank und er einer von drei amerikanischen Soldaten war, die es schafften, sich an den Strand zu retten: »He was one oft he three that could handle the Atlantic. But that’s how close I came to never beeing born.«
Ein neuer Typus von Werk
Wir haben es hier mit einer neuen Form in seinem Werk zu tun: Bisher hat Woody Allen One-Liners geschrieben, Standup-Programme, Theaterstücke, Drehbücher, Kurzgeschichten und Satiren. Nun haben wir ein ausgewachsenes Buch vor uns. Was die Inhalte angeht: Tatsächlich war Allen immer sehr auskunftsfreudig und hat viele Details schon dutzendmal zum besten gegeben. Dennoch liegt mit »Apropos of Nothing« etwas völlig Neues vor. Nicht nur zahlreiche neue Details oder Bekanntes in neuer Beleuchtung, sondern die gesamte Literarisierung eines Lebens in solcher romanhaften Suada. Das Buch quillt über vor Atmosphäre: Brooklyn-Flatbush in den dreißiger und vierziger Jahren, Manhattan in den Fünfzigern usw. Das ist ein neuer amerikanischer Roman. Was wir schon aus Allens Filmen kennen, und was er uns hier in Reinkultur bietet, ist »la musique d’une vie«, um mit Andreï Makine zu sprechen, inkl. gnadenloser Selbstpersiflage, die selten der Koketterie entbehrt. Der Autor hat mit diesem Parlando und seinem jiddischen und amerikanischen, New Yorker und Filmvokabular etwas Neues geschaffen, ein Sprachkunstwerk, eine recherche du temps perdu à l’américaine. Meist fließt es einfach im Sinne einer freien Assoziation, dann kommt sein tiefer Pessimismus zum Ausdruck: »After all, we are an accident of physics. And an awkward accident at that. Not the product of intelligent design, but, if anything, the work of a crass bungler.« Eine Erinnerung als Neuinszenierung auf hohem sprachlichen und intellektuellen Niveau. Das Ganze ist das Neue.
Auch bildungssoziologisch hochinteressant
Jeder Autobiographie ist ein Roman. Erinnerung wird rekonstruiert und rekonstituiert. Das gelingt dem Autor hier besonders brillant und mit einem Augenzwinkern in den Kapiteln der Kindheit, wie wir sie aus dem Film Radio Days kennen. Da zieht er sich selbst in gewohnter Manier durch den Kakao. Vieles freilich dürfte allzu wahr sein, etwa, wenn er berichtet, in Flatbush »a school for backward teachers« besucht zu haben. Da klickt bei mir etwas, obgleich ich aus einer anderen Generation bin. Er litt unter dominanten Tanten von Lehrerinnen, die wenigen männlichen Lehrer waren jüdisch, die gefielen ihm besser. Sie alle kommen schon in seinem Filmwerk vor. »Apropos of Nothing« ist schon bildungssoziologisch hochinteressant, etwa wie die Filme später ein urbanistisches Dokument werden sollten, da New York sich so schnell verändert wie wenig andere Städte. Wir haben es hier mit einem kleinen Gatsby, einem offensichtlich hochbegabten Jugendlichen zu tun, der die Beckmann-Triptychen etwa im selben Alter kennengelernt hat wie ich selbst, das aber als Amerikaner, und der dennoch die ganze Zeit mit seiner angeblichen Unbildung kokettiert. Auffällig ist aber, wie hier viel weniger ein Graben zwischen klassischer Literatur und Kunst einerseits und Cartoons und Popkultur andererseits klafft. Ein europäischer Jugendlicher liest entweder Dostojewskij oder Mickey Maus, ein amerikanischer offenbar beides. Übrigens ist Allen ziemlich widersprüchlich. Er sagt: »I didn’t like reading«, nachdem er sich auf der Seite davor als jugendlicher William-Faulkner-Leser geoutet hat. Nur zur Erinnerung: Faulkner ist nicht gerade eine Lektüre für Leute mit Leseschwäche… Da ist bei Allen ein gewisses Understatement im Spiel: »…no idea I ever had is going to start any new religion«.
Namedropping als Standortbestimmung
Den aufgedrehten Duktus vieler der Figuren, die Allen in seinen Filmen verkörpert, findet man voll und ganz auch in diesem Buch. Der amerikanische Kapitalismus oder Kreditismus erzeugt eine Art Angst und Dauerdruck, unter dem die Menschen stehen, eine Reizüberflutung von innen und außen. Schreiben ist Weglassen, und das gilt auch für das Kino. Das fällt Allen schwer, Filme wie Radio Days haben endlosen Potpourri-Charakter. Auch bei Annie Hall hatte man am Ende endloses Material gefilmt, was wir zu sehen bekommen, ist nur ein Bruchteil. Aus Angst, etwas auszulassen, will er alles mit hineinnehmen, auch in dem neuen Buch. Allen reflektiert das in den fahrigen Figuren, die er immer wieder spielt und in seinem typischen endlosen Namedropping. Das moderne, insbesondere das US-amerikanische Individuum verortet sich mit solchen Namenskatalogen selbst und stellt sich vor anderen dar. Nun gilt Namedropping bei uns in Europa als unfein. Für den US-Amerikaner sind die Namen, sei es von Markenartikeln, sei es von kulturellen Referenzen, jedoch wie Fahnenstangen, die er in den Boden rammt, um sich und anderen seine Heimatlichkeit auf einer Erde zu beweisen, auf der er nicht zu Hause ist. Der nordamerikanische Kontinent gehört ihm ebenso wenig wie der Mond, auf dem er seine Fahne eingerammt hat. Ist schon mal aufgefallen, wie man in keinem Land der Welt soviel Nationalflaggen aufhängt wie in den USA? Darin liegt doch ein Geständnis. Woody Allens Figuren und er selbst hier in dem neuen Buch stellen sich geradezu als Namedropping-Kalaschnikow vor. Seine Freude an endlosen Registerarien geht so weit, er zählt sogar auf, was er alles nicht gelesen hat: »I’ve never seen a live production of Hamlet.« Beneidenswert! »I’ve never Seen Our Town, in any version.« Herzlichen Glückwunsch! »I never read Ulysses, Lolita, Catch-22, 1984, no Virgina Woolf, no E. M. Foster, no D. H. Lawrence.« Vielfach beneidenswert! Die amerikanische Art solcher kultureller Referenzen entspricht der conspicuous consumption bei Thorstein Veblen, da wird nur etwas hergezeigt als Beweis dafür, man kann es sich leisten, gleich ob es sich um Markennamen eines Fashion-Designers oder Schriftstellernamen handelt. In unserer europäischen Art des kulturellen Verweises sollte das dagegen dramaturgisch eingeschmolzen sein, man denke etwa an Joyce, der das ständig macht. Hier kommt auf Seiten der USA hingegen eine gewisse kulturelle Leere zum Ausdruck. Leider nennt der Autor auch die Namen einiger Damen, mit denen er eine Affäre hatte und die noch nicht bekannt waren. Auch das kennen wir bei uns nicht. In Europa gilt der Grundsatz: Der Kavalier genießt und schweigt! Das sollte aber auch für Damen gelten, die leider oft sogar mit Namen prahlen, die es nur bei ihnen versuchten – angeblich! – besonders, wenn es sich um prominente Namen handelt.
Ein vollgepacktes Buch
So ist das Buch vollgerümpelt wie manche New Yorker Wohnung. Die Verrümpelung ist der paradoxe Ausdruck innerer Leere. Die New Yorker Wohnungen, und nicht nur jene, wo wenig Platz ist, sind stets etwas übermöbliert an der Grenze der Verrümpelung; so ist dieses Buch, so ist das moderne Bewusstsein. Im Amerika der Kalender sehen wir die ausgekehrten Räume Hemingways und Hoppers, wenn wir dann dahinkommen, sind wir erstaunt über die Präsenz der neoviktorianischen Architektur und der müllhaldenhaften Räume. Natürlich ist das den Leuten dort selbst längst aufgefallen; denk nur an Orson Welles Film Citicen Kane, wo der Protagonist am Ende in einer Lagerhalle überflüssiger Gegenstände steht. Die Vermüllung des Planeten und die, wie Karl Kraus es nennt, »Verschweinung des öffentlichen Raumes«, beginnen im Gehirn.
»Apropos of Nothing« als The Great American Novel?
Es sagt schon viel aus, wenn die Amerikaner sich immer wieder fragen, wer schreibt nun The Great American Novel? Wieso braucht man das? Spricht jemand von le grand roman français oder vom marele roman românesc? Es zeigt die abgrundtiefe innere Verunsicherung dieser Meta-Nation, die in fremdes Gelände eingefallen ist und nun mit lauter Monumenten ihre Daseinsberechtigung dartun will. The Great American Novel kann nur ein Anti-Roman sein, und darum könnte man Apropos of Nothing in der Tat für diese Auszeichnung vorschlagen. Wer sonst auch sollte den geschrieben haben? Von Philip Roth wird nur der kurze Dialog vor der Fußgängerampel in Portnoy’s Complaint übrigbleiben. Und The Great Gatsby? Ein dünnes Buch, vor allem geistig. Catcher in the Rye? Wenn man zehn Jahre alt ist… Naked Lunch? Kann man nur auf Heroin lesen. Gravity’s Rainbow? Trockenfutter für Weltraumaffen.
Archetypen aus Kurzgeschichten und Filmen
Vor allem das artsy-fartsy-girl kommt wieder vor, akademisch, mit Brille, sophisticated, sehr gutaussehend und aus »höherer« Schicht, »cultivated babes who valued Rilke over Sugar Ray Robinson«. Die Art wie er hier Dichter und Boxer in einem Atemzug nennt, ist typisch für den ganzen Schleudergang. Ich habe ein Jahr an einem privaten Liberal Arts College in den USA verbracht und kann versichern: Das Girl gibt’s wirklich! »Man Dates Age-Appropriate Woman«, scherzt der Autor, ist keine sehr zugkräftige Überschrift. Und es ist interessant, wie Immanuel Kant in Woodys Hirn herumspukt. Er will ihn, wie Hegel, Kierkegaard und Schopenhauer, erst durch seine erste Frau Harlene Rosen kennengelernt haben. Dann aber phantasiert er auch über seinen ursprünglichen Nachnamen, der ja Konigsberg lautete, und er weiß genau, wessen Geburtsstadt das ist. Ein Kant-Film von Woody Allen, das wäre doch was; beide gleichgroß in etwa, in Körpergröße und Geistesgröße… Die deutsche Übersetzung ist vollkommen unsinnig. Das ist so, als würde man sich Gemälde von William Turner auf Schwarzweiß-Photokopien ansehen. Die Idiomatik geht gänzlich verloren, das Deutsch kommt auf Stelzen daher. Der deutsche Verlag hätte gut daran getan, den Originaltext zu veröffentlichen und mit Worterläuterungen zu versehen, etwa wie in Reclams Fremdsprachentexten. Der Text ist höchstens mittelschwer und weist eine interessante Idiomatik vor allem aus drei Gebieten auf: Dem New Yorker Argot, dem Yiddisch und der Filmsprache. Ich habe keine Fernsehkindheit oder –jugend. Wir deutschen Jugendlichen wachsen mit Heinrich Heine, Nietzsche, Wagner und Schopenhauer auf. Letzteren glaubt man in Allens neuem Buch z. T. wörtlich zu lesen. Und wenn du Heine magst, wenn du Karl Kraus magst, ist der Weg zu Woody Allen nicht weit. Die ersten Filme von Woody Allen habe ich erst Anfang der achtziger Jahre im Kino gesehen.
Woody Allen
A propos of Nothing
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