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Statt Kino „Wozzeck“ im TV: Seht her, der Mensch! Das arme Schwein!

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Heute Abend bringt das STAATSOPER.TV des Bayerischen Nationaltheaters die Direktübertragung von Alban Bergs „Wozzeck“. Zum ersten Mal seit vier Jahren dirigiert Hartmut Haenchen wieder in München. Die Inszenierung von Andreas Kriegenburg von 2008 zeigt sich gänzlich unveraltet. Mit Christian Gerhaher und Wolfgang Ablinger-Sperrhacke stehen zwei der prominentesten Münchner Sänger auf der Bühne. Stephan Reimertz hat sich die Aufführung schon am Mittwoch angesehen. Eine Rezension.

Georg Büchner zeigt in seinem Dramenfragment den braven Soldaten Woyzeck im Sinne einer sozialistisch-existentialistischen Auffassung als herumgestoßenes Opfer. Die Repräsentanten der Macht nutzen ihn aus, kommandieren ihn herum. Zudem ist er ein Selbstausbeuter, der sich für Frau und Kind aufopfert. Alban Berg transzendiert in seiner Oper Helden und Handlung. Woyzeck ist Opfer und Ankläger der Gesellschaft, Wozzeck der Mensch in seiner Not schlechthin. Andreas Kriegenburg nutzt in seiner Inszenierung virtuos die Idee eines Guckkastens, den man auf der Bühne heben, senken, vor- und zurückziehen kann, um für die jeweilige Szene sinnfällige Konstellationen zu eröffnen. Zusammen mit Bühnenbildner Harald B. Thor und Kostümbildnerin Andrea Schrat bringt der Regisseur eine karge und doch vieldeutige Vision zum Leben, die sowohl auf die Entstehungszeit der Oper nach dem Ersten Weltkrieg wie jede des Dramenfragments im frühen Neunzehnten Jahrhunderts anspielt; Expressionismus als Lebensgefühl.

Wozzeck: Christian Gerhaher (Wozzeck), Hauptmann (Wolfgang Ablinger-Sperrhacke / Fotonachweis: Wilfried Hösl

Starke Gefühle und Infantilismen

Kapellmeister Hartmut Haenchen setzt auf ein hartkantige, emotional starke Interpretation dieser unendlich fein ziselierten Partitur. Das hat seine Vorzüge und stellte eine perfekte Analogie zu Kriegenburgs visueller Umsetzung dar. Alban Berg freilich hat immer wieder darauf bestanden, ein spezifisch österreichischer Komponist zu sein, und davon hörte man in Haenchens preußischem Wozzeck ebenso wenig wie in jenem des Daniel Barenboim beim Berg-Fest in Berlin 2015. Dort zeigte sich übrigens, wie Regisseurin Andrea Brett die eingerückte Guckkastenbühne ebenso bemühte wie Andreas Kriegenburg. Letzterer ließ seinen Protagonisten zudem die archetypischen Begriffe „Geld“, „Mama“ und „Hure“ auf die Wände schmieren, eine überflüssige Übung die offenbar eine Reflexion des Regisseurs auf seine Kinderladen-Jahre oder allzu viel Besuche des Grips-Theaters in seiner Jugend.

Wozzeck: Ensemble und Chor der Bayerischen Staatsoper / Fotonachweis: Wilfried Hösl

Perfekte Sänger-Darsteller

Christian Gerhaher gibt einen stimmlich drängenden, darstellerisch packenden Anti-Helden. Seine Gestaltung der Partie lässt niemanden unberührt, zumal er von triumphal-sadistischen Repräsentanten von Staat und Gesellschaft wie dem Doktor (Jens Larsen) mit seinen Menschenversuchen, dem phallisch-narzisstischen Tambourmajor John Daszak und dem Hauptmann Wolfgang Ablinger-Sperrhacke sekundiert wird. Wie Gun-Brit Barkmin als Marie und die anderen Solisten entwickeln sie ein untrügliche Gespür für die Sprechgesang-Intonation des modernen Musiktheater, welche Alban Berg teilweise entwickelt hat und die seinerzeit völlig neu war. Eine überzeugende Produktion ist gelungen, welche in München erfreulicherweise auch viele Jugendliche anzieht.

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