Von Barbara Hoppe
Herrlich: Rein in den Sessel, Füße hochlegen, Buch aufschlagen und eine Polizeigeschichte genießen, die man sich gern mal wieder als sonntäglichen Tatort wünscht und leider immer wieder an dieser Stelle vermisst.
Jan Weiler, Erfinder des „Pubertier“, das es jüngst mit Stars wie Jan-Josef Liefers, Heike Makatsch, Detlev Buck und Justus von Dohnányi in die deutschen Kinos schaffte, kann auch kriminell. Sein Held ist Martin Kühn. 2015 trat er auf die Bildfläche als heillos überforderter Polizeibeamter, dem der Alltag zusetzte, die Familie, sein Heim, das auf verseuchtem Grund steht, ein Mord kam auch noch hinzu. Martin Kühn konnte keinen klaren Gedanken mehr fassen. Zusammenbruch. Dienstpause. Reha. Jetzt ist Kühn zurück. Und er hat Ärger. Die Karriere ist ins Stocken geraten, die Ehe auch, mit den Kindern läuft es so lala, eine Lösung für das verseuchte Neubaugebiet nicht in Sicht, die Geldanlage ist quasi futsch, eine nationalistische Bürgerbewegung macht sich breit, ein Supermarkterpresser taucht auf und das Schlimmste: ein äußerst brutaler Mord landet auf dem Schreibtisch des Kommissars.
Amir Bilal liegt übel zugerichtet in einer Tramhaltestelle im piekfeinen Münchner Vorort Grünwald, wo die Häuser hinter hohen Hecken verschwinden und teure Autos in den Garagen stehen. Was wollte der vorbestrafte und gewaltbereite Gangbruder dort? Die Ermittlungen führen Kühn und seine Mannen in das Haus der Familie van Hauten, wo die Männer in Chinos und Poloshirts weltmännisch am Pool stehen und die Frauen gut riechen, schöne Haare haben und ihre Freizeit mit wohltätigen Aktionen füllen. Amir ging hier ein und aus, wurde von der Familie liebevoll aufgenommen, vorurteilslos und herzlich. Jan Weilers Beschreibungen dieser van Hautens, ihres Wesens, ihres Lebens, ihrer Gestik, ihrer Garderobe, ihrer Feiern sind so genial, dass man vor lauter warmer Weichspülerei und Gutmenschentum am liebsten auf den eigenen Fußboden spucken möchte, nur um sich irgendwie abzugrenzen von diesem unerträglichen Idyll. Oder aber man versinkt vor Scham im Boden, weil diese wildlederweiche Superfamilie uns unmissverständlich klar macht, wie vorurteilsbehaftet wir immer noch sind. Wie die van Hautens müsste man sein! Der sprachliche Ton macht die Musik und ist bei Weiler so perfekt in Harmonie, Klang und Zusammenspiel, das man eingelullt in einem Wattebausch hockt und eigentlich keine Geschichte mehr braucht. Diese Familie ist großes Kino in Dolby Surround und Super-HD.
Ganz das Gegenteil von Neuperlach, wo Amir Bilal groß geworden ist. Wer hier wohnt, macht höchstens eine kriminelle Karriere. Es sind traurige Zustände, die Kühn hier entgegenschlagen, als er Yunus, den kleinen Bruder von Amir, vor der Wohnungstür hocken sieht. Müde, alleingelassen von einer Mutter, die es nicht schafft, sich richtig um ihre Kinder zu kümmern, von denen eines nun tot ist.
Jan Weiler wollte schon vor drei Jahren mit „Kühn hat zu tun“ lieber einen Gesellschafts- als einen Kriminalroman schreiben. Definiert man Krimi ganz klassisch – es passiert etwas Unrechtes, das am Ende aufgeklärt wird, in unserem Fall sogar ausgesprochen (leider!) konventionell – so ist „Kühn hat Ärger“ zweifellos ein solcher. Aber Weilers außergewöhnliche Begabung, Gesellschaftsschichten zu sezieren und vorzuführen, darf mit Fug und Recht auch in die Kategorie Gesellschaftsroman eingeordnet werden. Und das erfrischend modern in allen Schattierungen, die uns täglich auf der Straße begegnen. Es ist also ganz einfach: hinsetzen, Füße hochlegen, Buch aufschlagen und genießen.
Der Autor ist auf Lesereise.
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Jan Weiler
Kühn hat Ärger
Piper Verlag, München 2018
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