Rezension von Barbara Hoppe
Der Klappentext täuscht. Nimmt man den neuen Roman von Haruki Murakami in die Hand, geht es hier um weit mehr als um einen Künstler, der in eine Schaffenskrise gerät, nachdem sich seine Frau von ihm getrennt hat und der unerwartet einen Auftrag für ein Portrait bekommt, bei dem es ihm außerordentlich schwer fällt, die Züge seines Gegenübers zu erfassen. So einfach lässt sich die Geschichte nicht zusammenfassen und ist auch nicht hundertprozentig korrekt wiedergegeben. Mehr zu erzählen hieße gleichwohl, die Spannung vorwegzunehmen und den Lesegenuss zu schmälern.
Wie so oft bei Murakami spielt das Alleinsein, nicht die Einsamkeit, eine große Rolle. Ein Ich-Erzähler führt uns ein in die merkwürdigsten Monate seines Lebens, nachdem der Leser bereits einen unheimlichen Prolog passiert hat. Der Namenlose, ein Maler, zieht sich nach der Trennung von seiner Frau in ein kleines Haus in den Bergen zurück, das einem Freund gehört oder vielmehr: dem Vater dieses Freundes, einem bekannten Künstler, der als Meister der Nihonga-Malerei gilt, nun aber, an Demenz erkrankt, in einem luxuriösen Pflegeheim unter Ausschluss der Öffentlichkeit dahindämmert. In dem kleinen Haus findet Murakamis Protagonist die Ruhe und Abgeschiedenheit, die er sich wünscht. Er gibt einfache Malkurse im Ort und hat zwei belanglose Affären. An Malen ist jedoch nicht zu denken. Die Kreativität der früheren, abstrakten Phase ist verschüttet, die Portraitmalerei, womit er bisher sein Geld verdient hat, nicht mehr attraktiv. Als eines Tages ein reicher Mann, sein Nachbar in den Bergen, ein Bild von sich wünscht, nimmt der Maler diesen Auftrag an, nicht zuletzt auch aufgrund des mehr als großzügigen Honorars.
Ab hier entspinnt Murakami ein faszinierendes Kammerspiel. Wataru Menshiki ist charismatisch und rätselhaft und doch bald eine entscheidende Person im Leben des Malers. Der Austausch zwischen den Männern ist geprägt von ausgesuchter Höflichkeit, die Dialoge sind mit unglaublicher Schönheit komponiert. Jedwede Schnoddrigkeit liegt den Gesprächen fern. Ein Lehrbuch der gepflegten Konversation, deren Sätze man sich in ein Merkheft schreiben möchte. Es geht um Malerei und Musik. Geprägt von Respekt und Wertschätzung lernen sich hier zwei Menschen kennen, ohne je die Linie zu einem Zuviel an Intimität zu überschreiten, obschon es durchaus um Intimes geht. Die Kunst, Nähe und Distanz in einen Satz zu fassen, bringt Murakami hier zur Meisterschaft. Doch bleibt es nicht bei Gesprächen. Der geheimnisvolle Menshiki bringt Bewegung in die Kunstfertigkeit des Malers und darüber hinaus in das beschauliche Leben auf dem Berg.
Meister des Phantastischen
Murakami ist ein Meister der zeitgenössischen phantastischen Literatur. Das liegt sicher auch in der Überzeugung des Autors begründet, dass es mehr als nur eine Realität gibt. An dieser Stelle würde die Frage, ob Murakami wirklich phantastische Literatur schafft oder er nur seine Wahrnehmung der Welt abbildet, ein neues Kapitel aufschlagen. Auf jeden Fall dauert es nicht lange, bis auch in dem kleinen „Cottage im westlichen Stil“ das Unerklärliche Einzug hält. Nächtliches, zartes Glockengebimmel, eine unterirdische Kammer und ein vor der Öffentlichkeit verstecktes Bild des alten Nihonga-Malers mit dem Titel „Die Ermordung des Commendatore“ öffnen das Tor zu einer anderen Dimension, in der Ideen Gestalt annehmen. Dem Maler entgleitet die Macht über den Lauf der Dinge, die – wie es sich für phantastische Literatur gehört – auch ganz normale Ursachen haben können, denn wir folgen lediglich der Einschätzung des Ich-Erzählers. Ein Strudel zieht ihn unaufhaltsam fort, woran die Ausdrucksstärke des alten Nihonga-Bildes nicht schuldlos ist. Und auch Menshiki hat offenbar noch einige Pläne mit dem Maler.
Haruki Murakamis Roman fließt wie ein langer ruhiger Fluss dahin, der ungeahnte Stromschnellen und Strudel bereithält. Die Fäden vieler Figuren und ihrer Geschichten laufen noch nicht erklärbar, doch sichtbar, zusammen, was unweigerlich zu Spannung führt. Schade nur, dass ganz offensichtliche Wiederholungen aus dem Originaltext nicht ausgemerzt wurden. Sollte Murakami nachlässig geschrieben haben, so hätte sein Lektorat die sich häufenden Dopplungen bemerken müssen. Hier manifestiert sich eine Tendenz, die bereits in „Die Pilgerjahre des farblosen Herrn Tazaki“ (2014) erkennbar war. Für den uneingeschränkten Lesegenuss wünscht man sich mehr Sorgfalt. Doch noch überstrahlt die Kraft des Romans diese kleinen Kratzer. Wie „Die Ermordung des Commendatore“ zu Ende geht, werden wir erst im April erfahren. Leider. Die Geduld des Wartens aufzubringen, fällt schwer.
Haruki Murakami
Die Ermordung des Commendatore, Band I
DuMont Buchverlag, Köln 2018
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