Rezension von Carsten Schmidt.
Der im österreichischen Graz ansässige Droschl Verlag begann bereits vor seiner Gründung vor über vierzig Jahren als interdisziplinärer Kulturbetrieb mit Galerie und Buchhandlung, der sich Künstlern jenseits des Mainstreams widmete. Auch als Verlag gaben sie immer wieder Debütanten und Traditionsbrechern Chancen, sich einem breiteren Publikum bekannt zu machen.
Der israelische Autor Tomer Gardi scheint sich im 3-Jahres-Rhythmus freizuschreiben. 2013 begann er vor einem deutschsprachigen Publikum im Züricher Rotpunkt Verlag, drei Jahre später bei Droschl mit dem schrägen, weil sprachlich „richtig-falschen“ Werk „Broken German“, das ihm Aufmerksamkeit und eine Einladung zum Vortragen beim Bachmann-Preis einbrachte. Nun, drei Jahre später, kommt er mit dem Titel „Sonst kriegen Sie Ihr Geld zurück“ wieder an die Büchertische und in Lesesäle.
Amtsschimmel trifft auf Sheherazade
Die Geschichte ist zunächst simpel: Kommt ein Mann zum Amt. Dort will er als Schriftsteller den Beamten überzeugen, dass er ein Recht hat, Unterstützung zu bekommen, oder wie man in Deutschland sagt, „im Bezug“ von Arbeitslosengeld zu sein. Der Beamte streitet jedoch ab, dass Schriftsteller ein echter Beruf sei und der Beleidigte wehrt sich, indem er ihm einen Deal anbietet, sinngemäß: Ich beweise Dir mit einer Geschichte – von der Du nicht möchtest, dass sie endet – dass ich wirklich unterhaltsam erzählen kann; daran wirst du sehen, dass ich ein echter Geschichtenerzähler bin. Und schon geht es drunter und drüber wie bei Tausendundeine Nacht, wo Scheherazade ihrem Todesurteil durch immer weitere Geschichten entkommen will.
Der „Bürger“ wechselt sehr schnell die Kameraeinstellungen, so dass die Leser sich bald nicht mehr über Geschlecht, Realität, Perspektivenwechsel und chronologische Reihenfolge gewiss sein können. Tolli Grotesky, ein ebenso pythonesker wie dem Autor recht naher Name, heißt die nun Frau gewordene Schriftstellerin, die den Beamten in zwei Hauptgeschichten verwickelt, die wiederum ineinander gezwirbelt sind wie ein Zopf. Ähnlich wie in „Broken German“ versucht der Autor hier, spielerisch mit der Sprache zu tanzen:
„Du stotterst ja gar nicht … du versuchst, mit dem Strom zu schwimmen, mit diesem Material, mit der Sprache, diesem flüssigen Material, nur bei dir ist es eben nicht flüssig, fließt einfach nicht, bei dir im Mund ist es wie zerbrochenes Glas.“
In der Kerngeschichte reden Davidi und Kaldi über das lukrative, jedoch umstrittene Geschäftsmodell, als Picaderos oder Matadoren in israelischen Stierkampfarenen zu arbeiten. Diese Arenen gibt es zwar real nicht, aber die Dialoge sind so gebaut, dass man es glauben kann. Die beiden streiten sich nun im Auto und kommen zur Bedeutung des Wortes Hass.
„Das ist kein Hass. Angst haben, das können die Leute. Nachtragend sein können sie. Aufrechnen können sie, etwas aushecken und sich rächen, das können sie, ja. Messbare, überschaubare, voraussehbare Gefühle. Aber hassen? Nein, um zu hassen, Kaldi, um wirklich zu hassen, richtig gut zu hassen, dafür braucht man viel mehr Kraft.“
Man merkt, dass der Autor durchaus inspiriert von Joyce, Hemingway und Douglas Adams ist. Das tut der Tiefe und dem Ernst, gleichsam auch der ironischen Distanz ganz gut. So essayistisch diese Passage sich um ein einzelnes Wort dreht, so präzise werden dann auch die Aspekte vom Stierkampf beschrieben.
„Das Publikum hört nicht das furchtbare Todesstöhnen des großen Tiers und nicht den brüllenden Schmerz, der aus seinem Innersten schreit, wegen des Lärms, den das Publikum für sich selbst erzeugt. Um nichts davon hören zu müssen. Nichts außer sich selbst. Kleine Einführung in die Massenkommunikation.“
Brutal sezierte Details vom Autor, die wiederum präzise von der hochklassigen Übersetzerin Anne Birkenhauer gesetzt sind. Die Übersetzerin scheint in Würde den Staffelstab der bedeutenden Mirjam Pressler übernehmen zu können, wenn man ihre Übertragungen von Amos Oz, Eshkol Nevo und David Grossmann anschaut. Nun beehrt sie ihrerseits mit ihrer Arbeit den aufstrebenden Gardi, der die Leser auf mehreren Ebenen bei „Sonst kriegen Sie Ihr Geld zurück“ in die Irre führt.
So sind es nicht nur die Zeit, die Wirklichkeit und Glaub-Würdigkeit, die einem um die Ohren fliegen, auch das Verhältnis von Bittsteller und Beamten wird mehrfach umgekehrt und die Erzählende scheint zu spielen wie eine Matadorin in der Arena, die den Stier (Beamten) in Sicherheit wiegt, aber dann wieder selbst entscheidet, dem Schaltermann den Rücken zukehrt und einfach das Amt verlässt. Ähnlich einem Tanz begleiten wir die Geschichte weiter, in der es, anders als im teilweise recht krampfhaft konstruierten „Broken German“, rundere und erzählerisch konsequentere Passagen gibt, die auch in ihrer Detailtiefe und dank starker Sprachbilder hängen bleiben:
„Stand auf, ließ die Klamotten auf dem Weg zum Schlafzimmer nacheinander fallen, wie die Kriechspur einer Schnecke. Schnaufte mich zum Bett, legte dieses Etwas, das ich war, schlafen. Am Morgen der Wecker. Der Mund wie der Aschenbecher einer Autowerkstatt, das Hirn läuft heiß wie der Motor eines Düsenflugzeugs. Ein Vogelschwarm hat sich darin verfangen. Zerquetscht.“
Konsequent ist schließlich auch, dass das Ende der Geschichte offen ist, damit das Spiel ebenfalls ungelöst bleiben kann, wer eigentlich diesen „Tanz von Kraft um eine Mitte“ gewinnt und wer eigentlich wessen Geld zurückbekommt.
Wir können gespannt sein auf mehr von Tomer Gardi.
Tomer Gardi
Sonst kriegen Sie Ihr Geld zurück
übersetzt von Anne Birkenhauer
Droschl, Graz 2019
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Coverabbildung © Droschl Verlag
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