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Und sie laufen, laufen, laufen – endlos lang

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Und sie laufen, laufen, laufen – endlos langWarum „Ich war Hitlers Trauzeuge“ von Peter Keglevic trotz origineller Idee hoffnungslos ins Leere läuft.

Zunächst einmal ist es eine großartige Leistung, die Peter Keglevic, erfolgreicher Filmregisseur, ausgezeichnet mit dem Deutschen Fernsehpreis und Grimmepreis, vollbracht hat: 20 Jahre lang hat er für das Leben und das aberwitzige Abenteuer seines Harry Freudenthal recherchiert und es schließlich auf knapp 600 Seiten gebannt. Das Leben eines Mannes, der im hohen Alter von über neunzig seinem kaum jüngeren Friseur in New York von dem Lauf seines Lebens erzählt. Ein Friseur, der als afroamerikanischer Kriegsgefangener im April 1945 die Hitlertreuen in Erstaunen versetzte und den alle nur, mangels besseren Wissens, „Roy Black“ nannten, auch Harry Freudenthal. Was nun im Friseursalon erzählt wird, fußt durchaus auf eine originelle Idee: Am 1. April 1945 startet ein 1000 km Lauf von Berchtesgaden nach Berlin zu Ehren des Deutschen Volks, des Tausendjährigen Reiches und natürlich zu Ehren des Führers. Der glückliche Gewinner darf Hitler am 20. April höchstpersönlich zum Geburtstag gratulieren. Dumm nur, dass es zu diesem Zeitpunkt nur noch wenige junge Männer gibt, die überhaupt greifbar und schließlich noch physisch in der Lage sind, einen solchen Marathon anzutreten und zu überstehen. Darunter Harry Freudenthal, der junge blonde Jude, der es bis hierher geschafft hat, als einziger seiner Familie zu überleben. Es ist Leni Riefenstahl, die ihn – angetan von der arischen Schönheit Harrys –unbedingt unter den Läufern und vor der Kamera sehen will. Und plötzlich steckt er in einer höchst merkwürdigen Gesellschaft, bestehend aus dem Bund Deutscher Mädchen, Pervitin schluckender Super-Athleten, ganzkörpertätowierten Aggros und depressiven Kriegsversagern. Wie einst Sally Perel, verewigt als Hitlerjunge Salomon, findet sich der Jude plötzlich unter strammen Ariern wieder und keiner weiß es. Und während er um sein Leben rennt, ziehen die Erinnerungen an ihm vorüber: an die Kindheit, die Eltern, die Geschwister und die vielen Helfer, die ihn immer wieder versteckten und mal mehr, mal weniger Glück hatten, wenn sie entdeckt wurden, während Harry immer Glück hatte, denn ihn beschützten die Schutzengel, die seine Mutter ihm hinterließ.Ich war Hitlers Trauzeuge von Peter Keglevic

Das alles präsentiert Keglevic mit einer gewissen Komik und bringt durchaus vereinzelte originelle Einfälle. Man schmunzelt und Spannung baut sich auf, wie es der Jude wohl überstehen mag. Hanebüchene, erfundene Geschichten retten ihn, ein ums andere Mal auch die resolute Hilde, Wortführerin der betreuenden Mädchen und Rosi, deren Lippen so weich sind. Nicht zu vergessen Leni Riefenstahl, für die der Lauf einfach nur ein guter Film werden muss. Doch leider erschöpft sich spätestens in der Mitte des Buchs der Einfallsreichtum des Autors, Redundanzen schleichen sich ein – ja, wir wissen das Rosi nach Salbei und Stachelbeeren riecht, ja, wir wissen dass der 99. Galgen bei den Tätowierungen noch fehlt und ja, wir wissen um die depressive Trauerstimmung des österreichischen Läufers. Mehr Charaktertiefe ist den Figuren leider nicht vergönnt und auch die Sprache bleibt belanglos, Langatmigkeit bis zur Lagenweile macht sich breit. Was wie eine Mahlzeit verheißungsvoll duftendend, süß und wohlschmeckend beginnt, ist bald nur noch ein Brei, lauwarm und vergeblich wartet man auf den überraschenden Himbeerkern. Die Geschichte wird schal, repetitiv. Nicht nur den Läufern geht die Puste aus, auch dem Leser. Wer es bis zum Ende schafft, landet mit Harry im Führerbunker, wo die Geschichte völlig aus dem Ruder läuft. Erleichtert kehrt  man schließlich wieder in den New Yorker Friseursalon zurück.

Der Widersinn des „Laufs für den Führer“ und der Mobilisierung aller ideologischen Kräfte in einem kriegszerstörten Land, in dem sich die Flüchtlingszüge und Todesmärsche mit den Läufern vermischen und die Alliierten Wetten auf den Sieger des Marathons abschließen, ist grandiose Absurdität, die sich –dies hat der Regisseur Keglevic sicher im Hinterkopf gehabt – gut verfilmen ließe. Aber leider hat man bis hierhin zu wenig gelacht, zu wenige geschichtliche Details erhalten, zu wenig sprachliche Finesse bewundert, zu wenig literarischen Gewinn erzielt, zu wenig Groteske erlebt und haben sich die Charaktere zu wenig entwickelt, um dieses Buch mit einem genussvollen Seufzer zur Seite zu legen, geschweige denn sich auf eine mögliche Verfilmung zu freuen.

Peter Keglevic
Ich war Hitlers Trauzeuge
Knaus Verlag, München 2017

Coverabbildung © Knaus Verlag

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