„The World to come“: Am 8. und 9. Oktober ruft Neukölln alle Musikenthusiasten herbei.
Barbara Hoppe war schon vorher dort und durfte in das aufregende Musikprojekt zum 250. Geburtstag von Beethoven hineinhören.
Es scheint, als gäbe es keinen passenderen Zeitpunkt für das Projekt. „The World to Come – Eine Berliner Festmesse nach Ludwig van Beethovens »Missa solemnis«“ des Rundfunkchores Berlin vereint alles, was in der Welt der Klassik immer wieder, und dieser Tage im Besonderen und weit über klassische Musik hinausgehend, diskutiert wird. Als da wären der Stoßseufzer, wie man mehr Menschen und vor allem junge Leute für klassische Musik begeistern und in die Konzerthäuser locken könne. Oder auch die Schwierigkeiten der zeitgenössischen Musik, mehr als nur schräge Klänge für ein paar Enthusiasten zu sein. Und nicht zuletzt die große Frage, wie wir jedem einzelnen in der Vielfalt unserer Gesellschaft eine Stimme geben können, die neben vielen anderen gehört und respektiert wird. Und dann wären da ja noch die Abstands- und Hygieneregeln, die aktuell unser Leben in Corona-Zeiten prägen.
„The World to Come“ schafft es, alle diese Aspekte auf einer Metaebene zusammenzubringen ohne lehrmeisterhaft oder mit Bedeutungsüberfrachtung daherzukommen. Das bereits vor langer Zeit entwickelte, offene Konzertformat ist zudem wie gemacht für die Maßnahmen, die Kulturstätten dieser Tage einhalten müssen.
Polyphonie auf allen Ebenen
„Wir nehmen uns ein Beispiel an Ludwig van Beethoven, der mit dieser Fuge Polyphonie angewandt hat. Polyphonie ist wahrscheinlich die größte Errungenschaft der westlichen Musik: Sich seiner eigenen Stimme bewusst zu sein und gleichzeitig auf alle anderen Stimmen zu hören.“, erklärt Tilman Hecker, verantwortlich für Konzept und Szene bei der Konzertinstallation, den Grundgedanken der Inszenierung. Die gewaltige Fuge „Missa solemnis“, mit der Beethoven sich nicht nur mit der zukünftigen Welt beschäftigte, sondern auch mit der Form der feierlichen Messe brach und die ihre Erstaufführung als Hymne außerhalb eines sakralen Raumes in einem Konzerthaus in Sankt Petersburg hatte, ist der Beitrag des Rundfunkchores Berlin zum 250. Geburtstag Beethovens in diesem Jahr. „Der Chor liebt die Messe“, erklärt Chefdirigent Gijs Leenaars. „Es ist eine Mammutpartitur, die eigentlich unsingbar ist. Auch da sprengt Beethoven den Rahmen komplett.“
Eine reine „Missa solemnis“ sollte man deswegen nicht erwarten. „Es wird sehr nah an Beethoven sein, es wird viel wiedererkennbarer Beethoven sein“, betont Tilman Hecker. Aber unter Corona-Bedingungen mit den Abstandsregularien sei vieles nicht möglich. So werden sich in dem großen Saal des SchwuZ, dem ältesten queeren Club der Stadt auf dem Gelände der ehemaligen Kindl Brauerei in Neukölln, auch nicht alle Sängerinnen und Sänger des Rundfunkchores aufhalten. „Wir haben ein komplexes System entwickelt, bei dem alle am richtigen Ort in einer Art Rotatationssystem sein werden“, erläutert Tilman Hecker. Um das vielschichtige Klangerlebnis umzusetzen, haben er und Dramaturg Dominikus Müller den Künstlerinnen und Künstlern eine Art Werkzeugtasche zur Verfügung gestellt, ausgestattet mit Anregungen, Bezügen und dem aktuellen Buch des Religionswissenschaftlers Jan Assmann. Dieser nimmt, angeregt durch das Musikprojekt, in „Kult und Kunst. Beethovens Missa Solemnis als Gottesdienst“ eine wissenschaftliche Auseinandersetzung mit dem Thema vor.
Das Ergebnis dieses Ansatzes ist ein Musikerlebnis mit offenem Anfang und Ende. Assoziatives Erzählen stehe im Vordergrund, erklären die Initiatoren. „Es ist gelungen, die Gäste, die wir eingeladen haben, für dieses Werk von Beethoven zu begeistern, und zwar so, dass die eigene Stimme der Künstlerinnen und Künstler überall zum Klingen kommt und einem gleichzeitig die Beethoven-Zitate und Referenzen um die Ohren fliegen,“ freut sich Gijs Leenaars. „Wir haben keine bestimmten Rollen vorgegeben“, ergänzt Dominikus Müller, „sodass die Künstlerinnen und Künstler Freiheiten bekommen, sich zu artikulieren, auch nebeneinander stehen können und das Projekt dadurch eine gewisse Offenheit atmet.“
Cineastischer Parcours
Für die Zuschauer bedeuten das transdisziplinäre Klangerlebnis und die räumliche Installation ein ganz neues Konzerterlebnis. Auf geführten Wegen geht es durch die Räume des Vollgutlagers und des SchwuZ. 480 Besucher erwarten die Ausführenden pro Abend. Menschen, die sich wahrscheinlich nie in einem Konzert der „Missa solemnis“ treffen würden. „Es ist ein total verrücktes Projekt“, meint Komponistin Birke J. Bertelsmeier, „Und durch Corona ist es noch viel verrückter geworden.“ Am 8. und 9. Oktober 2020 ist es soweit. Nur zwei Abende sind bisher geplant. Ob und was Corona zukünftig zulässt, wird sich zeigen. Schließlich, so Tilman Hecker, ließe sich das Konzept leicht auf andere Räume übertragen und adaptieren.
THE WORLD TO COME
Eine Berliner Festmesse nach
Ludwig van Beethovens
„Missa solemnis“ D-Dur op. 123
Konzertinstallation
Vollgutlager Berlin
8./9. Oktober 2020
Do./Fr. 19.00 – 21.30 Uhr
Weitere Infos zu den Zeitslots und Tickets hier.
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