„The Magic of the Pan Flute” von Andreea Chira und dem Südwestdeutschen Kammerorchester Pforzheim ist eine fesselnde Neuaufnahme von Vivaldis „Vier Jahreszeiten“. Von Barbara Hoppe.
Was macht eine gute Vivaldi-Aufnahme eigentlich aus? Der auch als “Il prete rosso” bekannte Großmeister des venezianischen Barock wurde im 19. Jahrhundert beinahe vergessen, erst mit dem Radio und den Schallplatten wurde er nach dem 2. Weltkrieg wiederentdeckt und genießt bis heute die wohlverdiente Popularität. In der letzten Zeit wurden die Standards für die Interpretation seiner Werke mit der historischen Aufführungspraxis deutlich verschärft, dazu kommen noch unzählige Neubearbeitungen. Ich messe eine gelungene Vivaldi Interpretation aber vor allem am Wohlgefühl beim Zuhören, sei es im Auto auf der Reise nach Italien, sei es auf dem Sofa an einem gemütlichen Winterabend. Wir müssen in diese Musik einfach eintauchen. Und genau das erreicht die Panflötistin Andreea Chira mit dem Südwestdeutschen Kammerorchester Pforzheim unter der Leitung von Douglas Bostock: diese Einspielung von den Vier Jahreszeiten gepaart mit dem Konzert für Laute, zwei Violinen und Basso continuo in D-Dur RV 93, arrangiert für Panflöte und Streichorchester von Carlos Pino-Quintana, ist ein reines musikalisches Genusserlebnis voller Schwung, Inspiration und positiver Überraschungen.
Antonio Vivaldi auf Panflöte scheint zuerst nicht mehr als ein Kuriosum zu sein, beim Zuhören überzeugt uns jedoch vom Anfang an die außerordentliche Frische dieses Albums. Das Zwitschern der Vögel und Gewitter im ersten Satz des Frühlings werden durch die “luftige” Qualität der Panflöte selten so lebensnah dargestellt. Dasselbe gilt für die Dudelsackeffekte, spielerische Tanzrhythmen und chromatische Passagen mit einem Hauch Melancholie im Finalsatz.
Was hier Andreea Chira geschafft hat, ist nicht nur eine ausgewogene und mitreißende Tonaufnahme, sie setzte damit ein persönliches künstlerisches Statement. Ihre Leidenschaft für das Instrument spürt man in jeder Passage. Sie präsentiert die breite musikalische Palette Vivaldis souverän und mit erstaunlicher Fülle an interpretatorischen Mitteln. Lyrische, expressive, tänzerische oder stürmische Elemente ergeben so eine wohlgeformte Einheit, die ihresgleichen sucht. Ihre Darbietung ist ehrlich, ausdrucksstark und äußerst nuanciert. Eine unerwartete Entdeckung, die keinem Musikliebhaber entgehen soll.
Der offensichtliche Vergleich zur Violine verfehlt den Sinn dieser Einspielung. Chira geht es in erster Linie um die Nähe zur Natur, Erforschung der technischen Möglichkeiten ihres Instruments und wohlklingende poetische Sinnbilder. In Erzeugung musikalischer Landschaften beeindruckt sie mit klar umrissenen Konturen. Wenn in der durch Streicher insinuierten klirrenden Kälte des Winters Chira ihre solistische Stimme erhebt, lassen uns ihre Höhenflüge wie durch einen Schneewind erzittern. Danach bietet die schlichte Schönheit des Largo über zart funkelnder Pizzicato-Begleitung einen willkommenen Kontrast, und zwar ohne unnötige Affektiertheit. Abschließend werden die Pirouetten des Eisläufers spannungsgeladen dargestellt, bis der Sturm losbricht, die Winterfreuden durcheinander bringt und die Lasten des Altjahres wegfegt. Durch Vivaldis elektrisierende Meisterwerke fand Andreea Chira ihre unverwechselbare Stimme. Die Panflöte ist ein uraltes Instrument, sie wird aber leider noch immer zu oft mit leichteren Genres und Volksmusik in Verbindung gebracht. Das muss sich um jeden Fall ändern und mit dieser Aufnahme ist ein großer Schritt nach vorne getan worden.
Das CD-Debüt von Andreea Chira kommt nicht ohne einige kleine Schwachstellen aus: im Sommer wirkt das Arrangement ohne Basso continuo nicht immer flüssig, die Textur ist teilweise zu dünn, und könnte noch besser auf das neue Soloinstrument angepasst werden. Die Panflötistin stößt dabei manchmal auf die Grenzen des Möglichen, besonders im letzten Satz, wo man sogar die Sologeige vermissen könnte. Abgesehen davon erzeugt Andreea Chira, technische Brillanz und präzise Artikulation vorausgesetzt, stets ihre eigene Klangfarbe, kristallklar und sanft zugleich, gemischt mit einem intuitiven Drang nach einer individuellen Auffassung von diesen barocken Juwelen.
Die aus Rumänien stammende und in Österreich lebende Panflötistin verbindet bei Vivaldi die rhapsodischen Elemente aus Ihrer Heimat mit subtiler Gestaltung melodischer Linien. Die Zurschaustellung ihrer Virtuosität bleibt diskret, immer den großen musikalischen Bögen untergeordnet. Chiras Gespür für den rhythmischen Puls, vorwärtsstrebende Bewegung und markante Thematik lässt uns unbeirrt durch die Gefahren des Vivaldischen Flusses segeln. Besonders in langsamen Mittelsätzen kommen die träumerische Seite und das Feingefühl der Solistin für komplexe harmonische Schattierungen zum Vorschein. Rührend klingt die Hirtenklage im Frühling und wehmütig die trügerische Ruhe vor dem Sommerunwetter.
Die echte Glanznummer unter den präsentierten Werken ist das Lautenkonzert RV 93. Dort zeigt sich das Talent von Andreea Chira am offensichtlichsten. Obwohl ohne narrativen Hintergrund, gelingt der Solistin eine farbenfrohe und überzeugende Darbietung. Im langsamen Satz spielt sie auf der Basspanflöte, was dem musikalischen Gestus ein ganz besonderes Timbre verleiht. Der fröhlich-gemütliche Charakter des abschließenden Allegro bringt diese wunderbare Aufnahme zu einem mehr als würdigen Ausklang, der noch lange in unseren Ohren nachhallt.
Beim Zusammenspiel von Solistin und Orchester spürt man dank Douglas Bostock am Dirigentenpult die Hingabe aller Beteiligten zum runden Klang und dezidierter Tonsprache. Die Aufeinanderfolge von Ritornellen, ausgedehnten Tuttipassagen und Soli, samt heiklen Übergängen, wird beinahe vorbildlich gemeistert. Die Auswahl von Tempi sowie dynamische Kontraste sind wohl durchdacht und folgen eher dem guten Geschmack als der Sehnsucht nach extravaganten Ausschreitungen. Der Einfallsreichtum von Vivaldis Solo-Konzerten wird hier zwar kunstfertig aufgeführt, verliert jedoch nie an der Unmittelbarkeit und Transparenz. Vivaldi setzt in den Vier Jahreszeiten die Naturelemente theatralisch ins Szene und leistete mit dem tonmalerischen Zugang in diesem Ausmaß eine Pionierarbeit in der Musikgeschichte, was die Orchestermusiker mit Andreea Chira vorteilhaft umsetzen. Im Herbst nehmen wir am Bauernfest des Kopfsatzes teil, beobachten ein betrunkenes Mittagsschläfchen in Adagio und erwachen durch den Aufruf zur Jagd im Schlusssatz.
Im Großen und Ganzen eine hervorragende Leistung, die sich in eine ausgezeichnete Geschenkidee umwandeln lässt. Im Weltmeer der Vivaldi-Einspielungen wird uns diese sicher in Erinnerung bleiben. Es ist bemerkenswert, dass ich bis jetzt die Violine nur einmal erwähnt habe und das hat einen guten Grund, deswegen warten wir ganz gespannt, was als Nächstes für Andreea Chira kommen soll.
The Magic of the Pan Flute
Vivaldi’s four Seasons
Andreea Chira | Panflöte
Südwestdeutsches Kammerorchestser Pforzheim
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