Von Birgit Koß.
Sven Recker ist Autor von recht abstrusen Geschichten, die allerdings immer fest in der Wirklichkeit verankert sind. Der ehemalige Journalist und Kriegsberichterstatter hat ein feines Gespür für das Ungewöhnliche und findet dafür immer seinen ihm eigenen Ton. 1973 in Bühl /Baden geboren, hat der Wahlberliner diesmal in seiner alten Heimat recherchiert.
Mitte des 19. Jahrhunderts war die Lage im Schwarzwald für viele Dörfer recht prekär. Das Weindorf Pfaffenweiler entschied 1853 einen ganzen Wald abzuholzen, um mit dem Erlös 132 arme Menschen des Dorfes umzusiedeln – nach Algerien. Es entstand eine Weinanbaufläche, die noch heute den Namen Afrika trägt. Dem Armen wurde das Paradies versprochen, doch die Realität sah anders aus. Hunger und Krieg prägte das Leben in Nordafrika, viele wollten zurück, wie Bittbriefe aus jener Zeit belegen.
In seinem Roman „Der Afrik“ erzählt Sven Recker die mögliche Geschichte von Franz Xaver Luhr, der tatsächlich als einziger zurückkam. Allerdings fiktionalisiert der Autor dessen Schicksal und nennt seinen Protagonisten den „Afrik“. Der Afrik erzählt in der zweiten Person Singular: Das „du“ schafft eine eigentümliche Distanz und gleichzeitige Nähe mit dem Erleben der Person.
Der Afrik lebt zurückgezogen außerhalb des Dorfes und spricht so gut wie gar nicht, höchsten in einzelnen knappen Aussagen wie „Depp!“ oder „Du“ wenn er mit sich selber spricht. Das nötigste zum Leben verdient er sich im Weinberg. Seine eigentliche Beschäftigung ist allerdings das heimliche Graben eines Stolles unterhalb des Weinbergs – mit dem Ziel diesen eines Tages zu sprengen, als Rache dafür, dass er und seine Mutter mit falschen Versprechungen fortgelockt wurden.
Doch sein ganzes Leben gerät ins Wanken, als im Winter plötzlich ein verstörter Junge – halb verhungert – vor seiner Tür steht mit einem Zettel in der Hand, auf dem steht „Je m’apelle Jacob. Tu es famille.“ Kann es wirklich sein, dass dieser Jacob mit ihm – dem Afrik – verwandt ist? Er versucht, sich um Jacob zu kümmern – kein leichtes Unterfangen. Und mit dem Gefühl für diesen ebenfalls Ausgestoßenen kehren die lang unterdrückten Erinnerungen an die erzwungen Reise zurück.
Eindrucksvoll und berührend schildert Sven Recker, der inzwischen als Pressereferent bei Caritas international arbeitet, das Schicksal eines historischen Migranten von Deutschland nach Nordafrika, das viele Parallelen zur heutigen Zeit – nur in umgekehrter Richtung – aufweist.
Sven Recker
Der Afrik
Edition Nautilus, Hamburg 2023
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From the Black Forest to Africa and back: Sven Recker’s „The Afrik“
Sven Recker, author of original stories with a strong grounding in reality, hails from Bühl/Baden and currently resides in Berlin. In his new book „Der Afrik,“ he explores the story of Franz Xaver Luhr, who was resettled from Pfaffenweiler to Algeria in the 19th century. Recker fictionalizes Luhr’s life, referring to him as „Afrik“. The protagonist lives in isolation, speaks sparingly, and works in the vineyard. His main goal is to blow up a tunnel to seek revenge on those who lured him and his mother away with false promises. When a neglected boy appears at his door, possibly related to him, Afrik is confronted with his suppressed memories. Recker’s poignant portrayal of this historical migrant draws parallels to the current migration from North Africa to Germany.