Der zweite Band aus der Jackson Lamb – Reihe zeigt: Mick Herron hält das 1a-Niveau seines fulminanten Debüts. Rezension von Barbara Hoppe.
Es ist eigentlich alles wie im ersten Band und doch ganz anders. Nicht alle lahmen Gäule – Slow Horses – sind noch an Bord, aber die neuen sind genauso unzufrieden mit ihrer Rolle wie die alten. Sie wurden aus dem Hauptquartier der Topspione ausrangiert und ins Slough House abgeschoben. Dort, wo die Agenten arbeiten, die man nicht so einfach entlassen kann, obwohl man sie gern loswerden möchte. Also versucht man sie in einem alten, hässlichen Bürohaus mit Aufgaben zu Tode zu langweilen, bis sie selbst kündigen.
Wäre da nicht Jackson Lamb. Der Chef der Slow Horses ist fett, ungepflegt, ungehobelt und ein ausgebuffter Profi, dem man nichts vormachen kann. Und als mitten auf dem britischen Land in einem Bus ein ehemaliger Kollege – wenngleich ein Trunkenbold und kleines Licht im Agentenbetrieb – plötzlich eines vermeintlich natürlichen Todes stirbt, glaubt Jackson Lamb nicht eine Minute an einen Zufall. Und wenn dann auch noch zwei Slow Horses abberufen werden, einen russischen Oligarchen zu beschützen, der für ein wichtiges Geschäft nach London kommt, sind die lahmen Gäule schnell einer Meinung: Hier stimmt was nicht.
Mick Herron gelingt in „Dead Lions“ erneut ein Agentenroman jenseits des Mainstreams, der mit bösem Witz und verschlungenem Plot die heile James-Bond-Welt auf den Kopf stellt. Sowohl das Headquarter im Regent’s Park als auch die Slow Horses sind intrigante Ehrgeizlinge. Doch während erstere mit Hauen und Stechen ihr Revier verteidigen und möglichst schnell die Karriereleiter hinauf möchten, wollen letztere vor allem erst einmal ins Hauptquartier zurück. Und dafür nutzen sie jede Chance, nur eben ein paar Etagen unterhalb der Topriege. Teamgeist entsteht nur, wenn es ums Überleben geht, persönliche Sympathien existieren nicht. Man arbeitet zusammen, weil man es eben muss. Immer darum bemüht, am Ende wieder zu den Topagenten zu gehören. Mick Herrons Figuren sind Einzelgänger und Typen, die mit ihrem Leben auf dem Abstellgleis hadern und mehr schlecht als recht ihr Leben über die Runden bringen. Bissige Dialoge kennzeichnen auch den zweiten Band der Reihe. Und was am Ende übrigbleibt sind nicht nur die letzten Kämpfer des Kalten Kriegs, sondern vor allem das große Unheil menschliche Eitelkeit.
Mick Herron
Dead Lions
Diogenes Verlag, Zürich 2019
Buch kaufen oder nur hineinlesen
Bei Thalia kaufen oder für den Tolino
Bei Verwendung des Textes bitte Quelle angeben bzw. verlinken.
Pingback: Der Literatur-Podcast am Sonntag: Mick Herron “Dead Lions” – Feuilletonscout. Das Kulturmagazin für Entdecker