Wie es zur letzten Illustrationsfolge von George Grosz kam.
Rezension von Barbara Hoppe.
Als George Grosz 1959 nach 26 Jahren New Yorker Exil nach Deutschland zurückkehrte, war er ein gebrochener Mann. 1933 trieben ihn die Nazis aus Deutschland fort und mit viel Glück entkam er ihrem Wüten. Nur wenige Tage vor dem Sieg der Nationalsozialisten reiste der Maler nach New York. Einen Tag nach Hitlers Machtergreifung, am 31. Januar 1933, standen sie bereits vor seiner leeren Wohnung und dem verlassenen Atelier. Es folgten 26 Jahre, in denen George Grosz in den USA zwar höchst anerkannt war, doch seine Werke verkauften sich nicht mehr. Er musste weiterhin die verhasste Lehrtätigkeit ausüben, seine Frau Eva verdiente als Putzmacherin dazu.
Sie war es, die 1950 begann, im Nachkriegsdeutschland ein Wiedergutmachungsverfahren einzuleiten. Dem Ehepaar war durch die Nazis erheblicher finanzieller Schaden zugefügt worden. Das Vermögen war „dem Reiche verfallen“ und die Besitzanteile am Wohnhaus am Savignyplatz in Berlin wurden dem Ehepaar abgesprochen. Genauso schwerwiegend war der seelische Schaden bei George Grosz, der sich zunehmend auch körperlich auswirkte.
Erst viele Jahre nach den ersten Versuchen von Eva Grosz, Wiedergutmachung zu erlangen, schaltete sich der Arzt Rudolf Omansen in den Fall ein. Als Leiter des ärztlichen Dienstes des Entschädigungsamtes hörte er die Opfer der Nationalsozialisten an und untersuchte sie. So auch George Grosz. Die beiden Männer verband bald eine Freundschaft, die nur noch kurz, aber bis zu Grosz‘ Lebensende dauern sollte.
Die letzten Zeichnungen
Es ist dieser Freundschaft zu verdanken, dass George Grosz noch fünf letzte Illustrationen zu einer Geschichte von Rudolf Omansen schuf, die nun in einem wunderschönen Buch der Büchergilde Gutenberg erscheinen. „Das unheimliche Huhn“ las Rudolf Omansen neben anderen Geschichten eines Tages in einem Kreis von Freunden vor. George Grosz war von dieser Geschichte um einen an seinem Verstand zweifelnden Professor so inspiriert, dass er zur Tusche griff und wunderbar pointierte, fast bösartige Zeichnungen zur Geschichte anfertigte. Die Entscheidung des Verlags, diese Illustrationen zusammen mit dem Originalmanuskript in Schreibmaschinenschrift abzudrucken erhöhen den Zauber der Bilder wie auch des Textes. Fast ist es, als hätte man selbst die Seiten gefunden und blättert sie nun ehrfürchtig durch. Die dem Bändchen den Namen gebende Geschichte „Das unheimliche Huhn“ ist der längste von sechs weiteren unheimlichen Texten, von denen man sich gut vorstellen kann, wie sie abends am Kamin zum gepflegten Grusel vorgelesen werden. Dieser Rudolf Omansen hat Erstaunliches geschrieben. Ob man auf die kurzen Geschichten ohne George Grosz je aufmerksam geworden wäre?
Der Schriftsteller und Satiriker Walther Mehring sprach Rudolf Omansen 1964 sein Lob aus: „Ihre gallische Metamorphose-Satire mit den letzten Groszgraphiken bilden ein exquisites Ganzes“. Dem ist nichts mehr hinzuzufügen. Den letzten Schliff verpasste der Verlag dem exquisiten Ganzen. Wertvoll gestaltet in glänzendes Leinen und hilfreich umrahmt von einem Essay aus der Feder von Ralph Jentsch und einem Nachwort von Juerg Judin und Pay Matthias Karstens sowie zahlreichen Fotos ist der schmale Band eine Preziose von besonderem Lesegenuss und Augenschmaus.
George Grosz, Rudolf Omansen und ein Huhn
Wie es zur letzten Illustrationsfolge von George Grosz kam
mit Abbildungen der Manuskriptseiten von Rudolf Omansen
und der Zeichnungen von George Grosz
Mit einem Essay von Ralph Jentsch und einem Nachwort von Juerg Judin (Hrsg.) und Pay Matthias Karstens (Hrsg.)
Büchergilde Gutenberg, Frankfurt/Main 2019
Buchcover und Buchinnenseiten © Büchergilde Gutenberg
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