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Brextett statt Brexit

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Feuilletonscout Das Kulturmagazin für Entdecker MusikMandelöl und Schokominze – Raritäten zum 20. Jubiläum des Kölner Streichsextetts. Rezension von Ingobert Waltenberger.

Wer das einleitende Streichsextett von Richard Strauss zu seiner Oper „Capriccio“ bzw. die Streichsextett-Kompositionen von Dvořák und Korngold liebt, wird auch mit diesem Album seine helle Freude haben. Allesamt CD-Premieren, hat das Kölner Streichsextett (Demetrius Polyzoides, Elisabeth Polyzoides-Baich, Bernhard Oll, Rémy Sornin-Petit, Ita Schlichtig, Birgit Heinemann) zwei Jahre vor seinem 20. Geburtstag damit begonnen, Archive zu durchstöbern, Folianten zu wälzen, kiloweise staubige oder schlecht lesbare Notenblätter, also Stimmenmaterial zu sichten. Und das einmal nicht in Italien oder in Frankreich, wo eigene Scouts auf der Suche nach barocken Raritäten ihre Zelte scheint es in Bibliotheken und Archiven aufgeschlagen haben, so zahlreich waren und sind die auf den Tonträgermarkt drängenden Ersteinspielungen.

Entsprechend dem Angebot des WDR, eine CD mit Werken britischer Komponisten aufzunehmen, sind die “Kölner” in der British Library fündig geworden. Das großartige Ensemble, im klassischen und zeitgenössischen Repertoire gleichermaßen bewandert, hat ein Faible für „ungewöhnliche, zu Unrecht vergessene oder schlichtweg übersehene Sextett-Werke“. Es hat sich für Arbeiten der Komponisten Holst, Holbrooke und Bridge entschieden.

So prachtvoll, zauberbunt, fein verästelt und dennoch robust wie die Flora in „Finkens Garten“ (Kölns Naturerlebnisgarten bildet die urwaldgrüne rotgeblümte Kulisse für das Coverfoto) empfinden wir die Kammermusik der drei britischen Tonsetzer. Gustav Holsts „Scherzo“ –  mit neun Minuten kürzestes Werk des Albums – aus dem Jahr 1897 kann in seinem jugendlichen Überschwang als experimentierfreudig gesehen werden, empfiehlt sich jedoch final durch salonhaft eingängige Walzerseligkeit und eine flinke Spurensuche nach musikalischem Grund. Es endet verspielt und abrupt. Das Kölner Sextett kann hier sogar eine Uraufführung vermelden.

Joseph Holbrooke hat seinem 1902 entstandenen Streichsextett in D-Dur Op. 43 den Beinamen „Henry Vaughan“ verliehen, nach einem religiös motivierten,  walisischen Dichter mit metaphysischen Tendenzen aus dem 17. Jahrhundert. Das später zu einer Streichersymphonie umgearbeitete spätromantische Stück kann wohl individuell programmatisch gehört werden, ist doch der die Umtriebe des Schicksals zeichnende zweite Satz mit „Unglückliche Jugend“ überschrieben. Für mich bildet das in irisierenden Klangfarben harmonisch schillernde Stück von Holbrooke den Höhepunkt des Albums. Einer mag idyllische Naturschilderungen vernehmen, bukolische Genreszenen dem inneren Ohr abluchsen, mir gefallen die intim ineinander verschlungenen Linien, die duftige Leichtigkeit sowie der kontrapunktische Duft der Komposition.

Das in einem Schaffenszeitraum von sechs Jahren (1906-1912) geschriebene dreisätzige Streichsextett in Es-Dur von Frank Bridges huldigt in üppig orchestralem Ton, lyrischer Melodienseligkeit und raffinierter Durchführung dem Vorbild Brahms, aber mit der silber fiebrigen Klangpalette ebenso der Kunst eines Richard Strauss. Bridges, der Lehrer von Benjamin Britten, packt im Sextett sein zuckerdicht vollgestopftes Füllhorn aus, später in seiner Laufbahn hat er auch zu Zwölftontechniken gegriffen. Mit einem Schuss von sanfter Melancholie scheint das Andante con moto einen Moment der Versenkung, der Erinnerung festhalten zu wollen, alleine alles rinnt durch die Finger. So schnell vergangen, wie gekommen.

Das Kölner Streichsextett pflegt einen durchsichtigen, vibrato- und portamenti-armen Klang. Aufbauend auf einem sachlich klaren Grundduktus kann dennoch von Wiedergaben voller Sanglichkeit, romantischer Sehnsuchtsfülle und kompakter Erzähldichte berichtet werden. Das Kölner Streichsextett arbeitet mit feiner Klinge, rauschhaft oder allzu exzentrisch loszulegen, ist seine Sache nicht. Die Balance der Stimmen ist ausgewogen, das Spiel von klassischer Schönheit. 

Sehen die Künstler die Charakteristika der Kompositionen in handwerklicher Raffinesse, Charme, Ideenreichtum und Witz, so haben sie auch einen Appell an die Politik parat: „Möge der Geist dieser Werke in das schwierige Ringen um Großbritannien mit einfließen und die Beteiligten zu intelligenten und großherzigen Lösungen beflügeln – unseren Beitrag dazu möchten wir hiermit gerne leisten.“

Fazit: Ein glückhaftes Album, wie schottische, buttrige süß-salzige Shortbreads in Earl Grey getunkt zu genießen.

Kölner Streichsextett
Great Britain – Great Music (Streichsextette)
Werke von Bridge, Holst und Holbrooke
Cavi-Musik (Harmonia Mundi) 2019
CD kaufen oder nur hineinhören

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