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Auf dem Olymp: Leif Ove Andsnes spielt Mozart „MM 1785“

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Feuilletonscout Das Kulturmagazin für Entdecker MusikRezension von Ingobert Waltenberger.

„Genau wie im Theater: Da werden merkwürdige Geschichten erzählt und Krokodilstränen vergossen. Das Universum der Gefühle hat stets einen doppelten Boden. Dauernd wird einem etwas anderes erzählt.“ Leif Ove Andsnes zu Mozarts Klavierkonzerten Nr. 20 und 21

Nach seinem dreiteiligen Projekt „The Beethoven Journey“ (seit 2019 ist dieser „Trip“ in einer einzigen Box erhältlich), mit dem Leif Ove Andsnes alle Beethoven-Klavierkonzerte und die „Chorfantasie“ des Bonner Meisters auf CD eingespielt hat, wendet sich der norwegische Pianist nun Mozart zu. Ebenfalls programmatisch, versteht sich. Und wieder verbünden sich das Mahler Chamber Orchestra und Leif Ove Andsnes. Dieses Mal, um zwei Jahre in Mozarts Schaffen näher zu beleuchten. Nun ist der erste Teil des umfänglichen Aufführungs- und Aufnahmeprojekts Mozart Momentum 1785/1786 erschienen. Dem „MM 1785“ soll im Herbst „MM 1786“ folgen.

Biographische Entschlüsslung

Es geht darum, wichtige (Klavier-)Werke, die Mozart in einem markanten Lebensabschnitt geschrieben hat, biographisch zu entschlüsseln und deren Entwicklung stilistisch unter die Lupe zu nehmen.

Nach dem kompositorisch sehr fruchtbaren Jahr 1784 – Mozart schrieb alleine für den eigenen Vortrag bei seinen Subskriptionskonzerten in Wien sechs Klavierkonzerte – verlegte sich Mozart in den Folgejahren 1785 und 1786 mehr auf Qualität statt auf Kommerz. Er logierte erstmals ‚standesgemäß‘ für einen erfolgreichen Künstler, nämlich in der Wiener Domgasse 5, war materiell einigermaßen saturiert. Kompositorisch bedeutete dieser Wechsel in den Lebensumständen, dass er die Konzerte „mit einem deutlichen Mehr an Tiefe, Ausdruck und architektonischer Vielfalt ausstattete. Mit den fünf Konzerten aus dieser Zeit schöpfte Mozart die Möglichkeiten des Klaviers in Wiener Bauart voll aus und brachte die Gattung einen großen Schritt voran.“

Andsnes bekräftigt, dass Mozart in dieser Zeit die Rolle des Solisten und des Orchesters neu definierte, indem er den Aspekt der Kommunikation und des Dialogs dieser beiden Einheiten auf bis dahin ungekannte Weise neu abstimmte. Mozart Momentum 1785/1786 will aber zusätzlich ein Schlaglicht auf die Errungenschaften Mozarts als Schöpfer von Solo-, Kammer- und Orchestermusik werfen.

„Wenn Du feststellst, wie schnell sich Mozart in den frühen 1780er Jahren entwickelte, fragst Du Dich: Wie kann das passieren? Was ging da vor sich? Und genau darum geht es bei diesem Projekt. Es geht um den Schwung seiner Kreativität zu dieser Zeit, die wohl inspiriert war von dem Bedarf an solcher Sorte Konzerten und Werken bei denen er seine Fähigkeiten als Komponist, Musiker und Improvisator zeigen konnte.“

Innovation in der Notenkunst

Drei Klavierkonzerte stehen im kreativ-enigmatischen Jahr 1785 auf dem Prüfstand: Die Konzerte Nr. 20 in d-Moll, K 466, Nr. 21 in C-Dur, K 467 und Nr. 22 in Es-Dur, K 482. Von der Innovationsseite her dazu passend hat Andsnes gemeinsam mit Matthew Truscott (Violine), Joel Hunter (Viola) und Frank-Michael Guthmann (Cello) das Klavierquartett Nr. 1 in g-Moll, K 478 aufgenommen. Als Solostück präsentiert Leif Ove Andsnes in einer ganz außergewöhnlich dramatischen Sichtweise die „Fantasie“ in c-Moll, K 475. Die „Maurerische Trauermusik“ in c-Moll, K 477, vom Juli 1785 rundet das Programm als einziges Nichtklavierstück ab.

Tatsächlich waren musikhistorisch der sanften Neuerungen nicht wenige zu konstatieren: So werden im Klavierkonzert Nr. 20 K 466 die Aufgaben zwischen Solist und Orchester neu verteilt, die Noten andersartig zugeordnet. Das Klavier bekommt dramaturgisch eigenständigere Aufgaben zugewiesen, es ist eingangs nicht mehr auf dieselben Themen – wie vom Orchester vorgestellt – reduziert, sondern setzt kontrapunktisch zu den Tutti erstmals vom Ausdruck her und thematisch völlig eigene Akzente. Im nur einen Monat später entstandenen Konzert in C-Dur K 467 scheint sich das Klavier – im übertragenen Sinn wie Zerbinetta in der Ariadne – in den Orchesterpart und das theatralische Geschehen einzustibitzen, um sich dann dominant charmant vorzumogeln. Und siehe da, auf einmal steht das Klavier im Zentrum und hat das Orchester an den Rand gedrängt.  „Die höfischen Formalitäten verlieren sich allmählich im Geplauder der Holzbläser.“ (Andrew Mellor)

Im Dezember 1785 – mitten in den Arbeiten zu „Le Nozze di Figaro“ schrieb Mozart das Konzert in Es-Dur K 482. Da nicht alle Stellen im Autograph ausformuliert sind, ist zu schließen, dass sich Mozart unter Zeitdruck befand bzw. „sich als Solist der Aufführung auf seine improvisatorische Intuition und Lust an spontaner Interaktion vertraute.“ Ganz wunderbar sind in diesem Konzert die klanglichen Valeurs zwischen den melancholischeren Holz- (erstmals Klarinetten in einem Mozart-Konzert!) und Blechbläsern und dem lichteren Klavier angemischt. Damit noch nicht genug der schöpferischen Kraftakte: Mozart hat mit dem „Quartett in g-Moll“ K 478 überhaupt das erste bedeutende Klavierquartett der Musikgeschichte komponiert. Hier wie in der c-Moll Fantasie K 475 ortet Andsnes schon eine wundersame Vorahnung auf Beethovens elementare Dramatik (in der Fantasie sind das „schwere Seufzer, die dreimal vorkommenden ,sforzandi‘, das drängende Streben nach höherer Intensität“) und Freiheit in der Form.

Der Pianist auf dem Olymp

Leif Ove Andsnes schreibt sich mit diesem Album direkt in den Olymp der Mozart Interpretation ein. Besonders bemerkenswert ist die hohe Differenzierungskunst im Anschlag, stets federleicht grundiert wie bei Wilhelm Backhaus und dennoch von einer kristallinen Klarheit wie das einst Friedrich vorexerzierte. Von den Rubati macht Andsnes einen bewussten, gleichwie sparsamen Gebrauch. Mozart Musik ist in diesem strukturelleren, auf die Architektur der Werke bezogenen Ansatz neu zu hören. Natürlich schöpft  Andsnes alle Virtuosität der Konzerte mit großer Freude voll aus (hören Sie nur die im Rhythmus und himmlischen Vorwärtsdrängen bewegten Läufe), will aber, was die Verzierungen anlangt, die Musik nicht überfrachten. Von daher erschließt sich auch die Wahl der Kadenzen, die Andsnes spielt: Beim Konzert Nr. 20 sind das die spektakuläre Kadenz von Ludwig van Beethoven (für das einleitende Allegro) und die wesentlich „bravere“ von Johann Nepomuk Hummel (Allegro assai). In den Konzerten Nr. 21 und 22 stützt sich Andsnes auf die von den prominenten Vorgängern Geza Anda und Dinu Lipatti stammenden Kadenzen. Das Mahler Chamber Orchestra ist der ideale Partner für Leif Ove Andsnes, um auch den düsteren Farben in Mozarts Musik nachzuspüren (z.B. Beginn Andante im Konzert Nr. 22), aber auch um in einen revolutionär neu justierten Dialog zu treten.

Alles zusammen: Ein spektakulär bewegend musiziertes Album, basierend auf einem überzeugenden Konzept mit einem Leif Ove Andsnes von Technik und Ausdruckstiefe her auf dem Zenit seiner Karriere. 5 Sterne!



Leif Ove Andsnes
Gustav Mahler Chamber Orchestra
Mozart Momentum 1785
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