Kolumne von Susanne Falk.
Es regnet nicht durch die Decke, da hängt kein Schirm und wir haben auch richtige Betten. Mein Leben ist kein Spitzweggemälde. Dennoch ist es nahezu unmöglich, von der Schreiberei zu leben. Dabei heißt es doch: Handwerk hat goldenen Boden. Nur begreifen die meisten Menschen das Schreiben eben nicht als Handwerk. Das ist ein Fehler.
Das Volk der Dichter und Denker ist als Phrase schon reichlich ausgewetzt, aber es ist etwas Wahres dran: Dichtkunst genießt ein relativ hohes Ansehen im deutschsprachigen Raum. Erzähle ich Menschen, welchem Beruf ich nachgehe, dann ernte ich regelmäßig anerkennende Blicke. Die verwandeln sich sofort wieder in Mitleid, wenn ich auf die Frage, ob man davon leben kann, ehrlich mit nein antworte und von meinem Brotberuf erzähle, den ich auch noch habe. Von irgendetwas muss man die Familie ja ernähren. Vom Schreiben geht das jedenfalls nicht, schon gar nicht bei einem durchschnittlichen Lohn von 1 Euro pro Stunde. (Hab ich als tatsächlichen Lohn für mein aktuelles Werk errechnet.)
Prestige und Realität klaffen hier also weit auseinander. Schriftstellerin zu sein klingt erst einmal gut und wichtig, aber auch irgendwie unstet und am Hungertuch nagend. Das hat viel mit der Einstellung unserer Gesellschaft zu meinem Beruf zu tun und betrifft natürlich nicht nur die schreibende Zunft sondern auch die darstellende und die bildnerische. Künstler, so die Annahme vieler, leben für die Kunst, nicht unbedingt von der Kunst. Das hat fatale Folgen für die Lebensrealität der Künstlerinnen und Künstler, von schlechter Entlohnung bis zu schwierigen Arbeitsbedingungen.
Zu meinem Beruf gehört ein hohes Maß an handwerklichem Können, was man ja nicht zuletzt auch in diversen Literaturinstituten erlernen kann. Ein überwiegender Teil meiner Zunft lernt als Auto(r)didakten oder studiert, so wie ich, Literaturwissenschaften, um sich das nötige Wissen anzueignen. Vom Handlungsaufbau, über Figurenführung, bis zu stilistischen Fragen kann man einer jungen Autorin, einem jungen Autor nahezu alles beibringen. Meiner persönlichen Einschätzung nach besteht ein gutes Buch aus 80 % Handwerk, 10 % Idee und 10 % Begabung der Autorin bzw. des Autors. Gute Ideen haben viele Leute. Bleiben die besagten 10 % Begabung, die man nicht erlernen kann und die einen sehr guten Autor bzw. eine gute Autorin von einem, einer ganz passablen unterscheidet. Auf diesen 10 % basiert aber auch ein finanzielles Ungleichsystem, in dem Handwerkerinnen Haus und Hof ernähren können und Autoren, frei nach Spitzweg, in ihren Dachkammern verhungern dürfen. Gesellschaftlich höchst anerkannt, aber leider trotzdem tot.
Autorinnen und Autoren stellen ein sehr konkretes Produkt her. Auf uns fußt mit der Print- und Medienbranche ein ganzer Wirtschaftszweig. Der ist stark im Wandel begriffen, nicht zuletzt aufgrund fortschreitender Digitalisierung in Zeiten der Pandemie. Andererseits: Wer schreibt denn die ganzen Romane und die Drehbücher für Netflixserien, die die Menschheit ablenken und verhindern, dass nach zwei Jahren Corona alle komplett durchdrehen? Autorinnen und Autoren sind in der Pandemie vielleicht wichtiger als manch einer denkt.
Ich glaube, es ist an der Zeit, den Blickwinkel auf die Künstlerinnen und Künstler im deutschsprachigen Raum zu ändern. Mit romantischen Künstleridealen hat das nämlich alles herzlich wenig zu tun. Kunst ist Handwerk und Handwerk sollte als solches anerkannt werden. Das wäre mal der erste Schritt, bevor wir über eine bessere Entlohnung für die schreibende Zunft diskutieren und wie diese zu bewerkstelligen wäre. Wenn Sie also das nächste Mal in die Buchhandlung gehen, dann denken Sie daran, dass Sie dort ein Qualitätsprodukt erwerben und Qualität hat nun einmal ihren Preis. Und der liegt deutlich über einem Euro als durchschnittlichem Stundenlohn.
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Liebe Frau Falk,
wer die Feinheiten der diversen Formen des Genitivs studiert, lernt bald, daß das „Land der Dichter und Denker“ nicht ein deutsches Land voll von Dichtern und Denkern meint, sondern die Vorstellung von einem Land, das Dichter und Denker sich ausgedacht haben. Nie war Deutschland ein besonderer Hort literarischer Tradition, nie haben hier „im Volk“ Autoren wirklich etwas gegolten (ja, es gibt Ausnahmen!). Man muß schon Fußballspieler sein oder Serienheld oder Talkmaster oder aussehen wie Helene Fischer oder Andrea Berg und ähnlich scheußliche Musik herausposaunen, um populär zu werden. Undenkbar hierzulande auch, daß ein bedeutender Poet, eine wichtige Schriftstellerin Botschafterin würde der Bundesrepublik Deutschland irgendwo in der Welt.
Und mindestens irritierend auch, daß nie richtige Freude zu spüren war über die Verleihung des bedeutendsten Literatur-Preises an einen deutschsprachigen Schriftsteller im Jahre 2019. Gab es Kritiker Peter Handkes, die auch nur von ferne haben erkennen lassen, daß dessen stilistische Kunst, dessen Beobachtungsgenauigkeit und Wahrnehmungsschärfe als bedeutende literarische Praxis ihm irgend etwas beigebracht, vorgestellt, verbindlich als Niveau, ich sage mal, als Avantgarde von literarischen Produktivkräften demonstriert hätte, hinter die zurückzusinken einen objektiven Mangel und kein subjektives Geschmacksurteil anzeigte? Das sprachlich-suchende Zögern, das vorsichtige Herantasten an die dann erste fertige Formulierung, das präzisierende Umkreisen der Phänomenvielfalt – das alles ist viel zu kompliziert, zu „verschwurbelt“ – was zählte im Zusammenhang der Preisverleihung, war der publizistische Dreck von Nichtlesern, der aufgewirbelt wurde, weil der Autor, aus welchen Gründen auch immer, sich als ein Freund Sloweniens und Serbiens erwiesen hat – was jeder Leser Handkes seit Jahrzehnten weiß und schätzt (ohne doch Handkes Wertungen und Reden immer gut zu finden). It’s a very sad story.
Und weil das mit dem Selbst-Mißverständnis der Deutschen als Hort der Poesie und Literatur ein unkaputtbares, sedierendes Nichtleser-Vorurteil ist, müssen tapfere Menschen wie Sie, Frau Falk, ums wirtschaftliche Überleben kämpfen! Der Schrott dagegen macht Millionen, während eine Auflage von 3000 Exemplaren eines Lyrikbandes in einem Land von 80-Millionen Einwohnern tatsächlich mal als ökonomischer Erfolg galt.
Hatte nicht einst Friedrich Nietzsche Goethe beschrieben als eine Trompete, die an Deutschlands Grenzen zu den Nachbarn getrötet wird (sinngemäß zitiert)? Die Texte „unseres“ Johann Wolfgang – sind sie selbst unter Germanisten völlig unbekannt heute? Wie freute sich mein sprachwissenschaftlicher Hochschullehrer, daß er uns damaligen Tucholsky-Heinrich-Mann-Seume-Lichtenberg-Kant-Adorno-Leser(anfänger)n mit widerlich schmunzelnder Miene berichten konnte, er habe seinerzeit das Staatsexamen in Deutscher Philologie abgelegt, ohne je eine Zeile Goethe gelesen zu haben! Wie fett ihm die Worte über die selbst¬zufriedenen Lippen flossen!
Er markiert nur ein Beispiel für die Unbekanntheit der literarischen Tradition dieses Landes. Und noch die Verbreitung dieser herablassenden Ignoranz gilt heute als – witziger Buben-streich, maximal als Kavaliersdelikt! (Was politisch und sprachlich und rhetorisch dabei herauskommt, hat Roger Willemsen während seines Jahrs im Berliner Parlament dokumentiert.) Wohlgemerkt: da sprach kein Chemiker, kein Sportlehrer, kein Mathematiker, und man muß kein humorloser Wissenschaftsspießer und nicht päpstlicher als der Chef in Rom sein, um das nicht lustig zu finden.
Lesen Sie auch den Spendenaufruf der Wikipedia-Redaktion vorm Jahresende? Da kann man sehen, was Autoren diesem Land wert sind: nicht einmal den Preis einer Tasse Kaffee erhält die Redaktion von Hunderttausenden von „Usern“. Meine ehemaligen Arbeitskollegen (ich bin inzwischen im Ruhestand) sahen die dort veröffentlichten, zum Teil großartigen wissenschaftlichen und journalistisch-sachkundigen Texte geradezu als Bringschuld an sie an, klar dürfen die nix kosten!
Es ist gut, daß Sie Ihren Brotberuf haben, Frau Falk, der Sie befähigt, souverän auf die literarische Landschaft (herab?) zu schauen. Es wäre natürlich noch besser, den Erfolg dort zu haben, wohin eine Autorin zielt; aber so wie es kein Qualitätsmerkmal mehr darstellt, „im Fernsehen“ gewesen zu sein, ist vielleicht eine kleine, qualifizierte und treue Leserschaft allemal mehr wert als der gepushte Glanz der großen Namen, die sich – seien wir ehrlich –doch nur noch wiederholen, zehrend vom frühen Treffer, mittels dessen sie, wie an einem Henkel, herumgetragen werden zu nichtliterarischen Märkten, und kennten sie Venedig oder Manhattan oder London noch so gut …
Lieber Herr Radtke, vielen Dank für Ihren Kommentar. Wertschätzung, da sind wir uns wohl einig, macht sich eben auch am Lohn fest. Bleiben Sie uns weiter gewogen! Herzlich, Susanne Falk