Tamara Lukasheva veranstaltete ein Solidaritätskonzert im Kölner Stadtgarten.
Von Stefan Pieper.
„Noch sind der Ukraine Ruhm und Freiheit nicht gestorben, noch wird uns lächeln, junge Ukrainer, das Schicksal. Verschwinden werden unsere Feinde wie Tau in der Sonne, und auch wir, Brüder, werden Herren im eigenen Land sein“ lautet die erste Strophe der ukrainischen Nationalhymne – und nein, sie ist nicht gerade aktuell in diesen Tagen geschrieben worden, auch wenn dies in so tragischer Weise naheliegt.
Sechs Tage nach dem russischen Überfall auf dieses osteuropäische Land veranstaltete die ukrainische Sängerin Tamara Lukaschewa ein Solidaritätskonzert im Kölner Stadtgarten. Viele Protagonisten der Kölner Jazzszene standen als verlässliche Band hinter den drei beteiligen Sängerinnen Tamara Lukasheva, Mariana Sadovska und Tasja Chernishova.
Eine der kraftvollsten Gesten hat der Abend schon direkt nach dem ersten Stück: Gemeint ist diese entschiedene Handbewegung, mit der Tamara Lukasheva beim Schlussakkord der ukrainischen Nationalhynme die Band, die gerade hinter ihr steht, „dirigiert“- was einen Moment lang wie das Ausführen eines unsichtbaren Degens, auf jeden Fall wie ein entschiedenes Ausrufezeichen wirkt.
Die Welt ist seit dem 24. Februar nicht mehr so, wie sie vorher war. Und ja – Kölns Jazzclub und Zentrum für Improvisierte Musik wurde an diesem Abend zu einer Zuflucht, wo die Musik Menschen verbindet – in einer Weltlage, die erst zögerlich in der Alltagsnormalität vieler Menschen ankommt und jeden Tag aufs Neue das bis dahin Vorstellbare sprengt. „Ich weiß nicht, welchen Wochentag wir heute haben. Meine einzige Zeitrechnung sind die Tage, an denen jetzt Krieg herrscht“ beschreibt Marina Sadowska ihre eigene Wahrnehmung.
Die Bühne im Stadtgarten präsentierte Jazzmusiker, die sich auch in einer Ausnahmesituation mit ihrem professionellen Handwerkszeug ohne lange Vorbereitung auf das Neue, Unvorhergesehene einlassen. So weit, so gut. Aber das ganze ist mehr. Viel mehr: Da agieren Menschen, auf deren emotionale und produktive Energie im Zentrum von Bedrohung, Verzweiflung und Ohnmacht Verlass ist. Noch wissen wir nicht, ob solche Ressourcen irgendwann den Wahn eines einsamen Despoten zu brechen vermögen.
Faszinierend im Kölner Stadtgarten ist die Fokussiertheit der musikalischen Realisation. Wo viele Menschen gerade überhaupt erst ihre Gedanken ordnen müssen, da gelingt Tamara Lukasheva und ihrer Band eine sorgsam gegliederte, vielschichtige Konzertdramaturgie. Viele energische, fröhliche, traurige und kämpferische Lieder aus dem ukrainischen Kulturerbe werden belebt und aktualisiert durch die Möglichkeiten des Jazz, um der ganzen Gefühlspalette gerecht zu werden.
Als Lukasheva ein Wiegenlied anstimmt, muss man sich erst mal in diese Zartheit einfühlen. Weil es schlimmen Nachrichtenzeilen wegzublenden gilt, in denen etwa die Rede davon ist, dass Kinder keine militärischen Einrichtungen sind. Es zeugt von Größe, bei dieser Musikdarbietung auch Fröhlichkeit zu bejahen, was wohl die schwierigste Herausforderung darstellt: „Wir sind positive Menschen und lieben Ironie“ beschreibt Lukasheva, was den Menschenschlag in ihrer Heimat Odessa den Menschenschlag auszeichnet, um dies dann auch musikalisch eindrucksvoll einzulösen.
Tamara Lukasheva hatte irritiert gewirkt bei der Frage eines Radiojournalisten, ob sie die Musik „als Waffe“ sehe. Die Stücke dieses Konzerts zeigten, dass Musik doch immer in erster Linie Liebeserklärung und nicht Waffe ist. Gerade für diesen Aspekt erweist sich Trompeter Matthias Schriefl als idealer Partner, wenn er Bezüge zu seiner alpenländischen Prägung ins Spiel bringt, aber auch zeigt, dass er selbst in ukrainischer Musik sehr wohl zu Hause ist. Als er schließlich auf dem Alphorn im virtuosen Duett mit den zarten Gesangslinien von Lukasheva kommuniziert, lebt real-existierende kulturelle Nachbarschaft. Auch die ist hinter den Mauern des Kremls anscheinend so gefürchtet und verachtet.
Eine a-capella-Nummer zu dritt erhebt den Abend auf einen wirklich herzzerreißenden Intensitätslevel: Zu Lukasheva gesellen sich Mariana Sadowksa, ebenso eine Ukrainerin sowie die Russin Tasja Chernishova.Drei Stimmen, die in polyphoner Reibung in engen Intervallen eine ergreifende, ja klagende Eindringlichkeit entfalten. Das Volkslied-Stück „Oi u poli drevo“ wirkt, wie aus der Musiktradition kommend und trifft unmittelbar ins tiefste emotionale Zentrum. Tasja Chernishova kämpft mit den Tränen, als sie die Empfindungslage der meisten russischen Menschen in diesem Moment beschreibt und wird von Tamara Lukashva gehalten. Verzweifelt wirkt der Appell, den Mariana Sadowska an sie und alle Menschen, denen es möglich, ist richtet: Erzählt allen Menschen in Russland, was hier gerade passiert!
Mariana Sadowska erhebt in einigen ihrer eindringlichsten Songs ihre Stimme. Dieser Gesang sagt schon ohne Textkenntnis alles über den Stolz und den Lebenswillen, aber auch über tiefe Traurigkeit. Sadowskas Stücke sind allesamt Erkundungen aus langen Feldforschungen in der Überlieferungskultur ihres Heimatlandes. Zurzeit stehen bei ihr aber andere Prioritäten auf dem Tagesplan, wie sie verlauten lässt: Etwa das Auftreiben, Erwerben und Versenden kugelsicherer Westen und Nachtsichtgeräte, welche der Verzweiflungskampf in ihrer Heimat braucht.
Zum Schluss vereinten sich alle Beteiligten noch einmal zur Ukraine-Hymne – nun in voller Tutti-Besetzung, zu der im Laufe des Abends wechselnd dabei waren Jarry Singla und Clemens Ort (Klavier), Matthias Schriefl (Trompete, Akkordion, Alphorn, Gesang), Janning Trumann (Posaune) Jakob Kühnemann und (Bass) Dominki Mahnig und Christian Thomé (Schlagzeug). Hier standen alle zusammen.
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