Von Stefan Pieper.
Berge fordern Respekt und schenken einem nichts: Zum Klavierrecital von Katie Mahan auf einer Skistation in 2300 Meter Höhe hüllten sie sich in dicke Wolken und verweigerten sich somit dem Instagram-Hochglanzpanorama. Der Musik kam dadurch eine noch elementarere Rolle zu, um einen massentouristischen Ort in etwas Magisches zu verwandeln.
Wo sonst anonyme Hundertschaften in Skistiefeln herumstapfen, wirkt es schon fast transzendental, wie Katie Mahan die ersten Töne von Debussys „Clair de Lune“ durch den Raum schweben lässt, was sich irgendwie auch mit den schneekühlen Nebelschwaden da draußen verbindet. Ist es Katie Mahans empfindsame Tongebung, die überraschend gute Akustik in dieser weitläufigen Halle mit viel Holz an den Wänden oder die Energie an diesem herausgehobenen Ort, welche jede Nervenzelle öffnet?
120 Menschen, jung und alt, teilen dies so intuitiv, dass dieses klassische Konzert aus jeder bildungsbürgerlichen Schwere herausgehoben anmutet. Liszts h-Moll-Sonate, eines ihrer persönlich bedeutsamsten Stücke, hat sie auf ihrer letzten CD „Once upon a time“ eingespielt. Sie lege mit dieser Aufnahme Zeugnis über einschlägige, oft schon in früher Kindheit erfahrene Prägungen ab, hatte sie im Gespräch verraten. Mehr noch: Diese Liszt-Sonate hat sie einst dazu gebracht, überhaupt Pianistin werden zu wollen. Jetzt nimmt Katie Mahan ihr Publikum auf eine ganz persönliche musikalische Gipfelerkundung mit. In ihrer kontrastreichen Gestaltung lebt das Gegensatzpaar zwischen „göttlich“ und „teuflisch“, so wie es ja auch Franz Liszts spiritueller Ansatz will. Oder zwischen brachialer Gewalt und sanfter Lyrik. Die Musik wirkt noch „größer“ hier oben, in diesem elementaren Zusammenklang zwischen Idylle und Unheimlichkeit. Vor allem, wenn die Postkartenidylle an diesem Tag auch mal weit weg ist.
Die dünne Höhenluft bebte
Mozart ist ein anderes großes Thema seit ihrer Kindheit. Schon als Zweijährige (!) hörte und erlebte Katie Mahan Mozarts Zauberflöten-Oper und war gepackt vom Virus der musikalischen Darstellungslust. Diese lebt heute ungestüm weiter. Beim „Mountain Concert“ in Gestalt einer selbst arrangierten Zauberflöten-Ouvertüre – voll impulsiver Akzente und ungestümer Verspieltheit, in dem Tongirlanden wie zarte Gischtnebel die dünne Höhenluft beleben. Und dann nochmal Liszt: Dessen Liebestraum inszeniert Katie Mahan als feinfühliges, von bezwingender Phrasierung getragenes Psychogramm.
Zu den Musikstücken für die einsame Insel oder eben auch für den hohen Berg gehört bei Katie Mahan auch George Gershwins „Rhapsody in Blue.“. Über eine Aufführung der vierhändigen Version dieses Stückes kam sie überhaupt zum Musikmachen. Heute nährt die Intensität ihres eigenen Lebens den Groove und Vibe dieser Komposition. Gershwin schrieb das Stück in einer Zugfahrt von New York nach Bosten in einem Durchlauf runter. Katie Mahan gibt sich dieser rastlosen Dynamik hin, wenn sie mit ausgiebig jazziger Agogik die Stimmungsbilder von New York ins Visier nimmt, diese ganzen Stileinflüsse, Schnitte und Stimmungen, in denen sie auch heute an diesem Tag wieder Neues zu erkunden scheint.
Das Publikum ist überhaupt nicht müde nach dieser ganzen Tour de Force, sondern applaudiert langanhaltend. Katie Mahan erfüllt den Wunsch nach mehr und macht sich auch Chopins Etude Opus 25 Nr. 12, auch Ozean-Etüde genannt, mit atmosphärischer Spiellust zu eigen. Und dann noch einmal Mozart: Perkussiv, leichtfüßig, in bestem Sinne von allem Akademikertum befreit, nimmt Mozarts Rondo alla Turca– Fahrt auf. So als würde jede Zelle mit der schneegeschwängerten Luft hier oben ausgefüllt sein!
Milchiges Weiß wird zu kühlem Blau
Draußen heult manchmal der Motor einer der Pistenraupen, die den Schnee für den letzten Skitag der Saison vorbereiten. Das milchige Weiß, welches in ganz wenigen Momenten ein paar gleißende Sonnenstrahlen freigegeben hat, mutiert allmählich zu einem kühlen Blau. Wer noch etwas verweilt, kann die Nachbereitung nach dem Konzert verfolgen: Der Flügel wird schließlich in ein Futteral verpackt und – wie zahllose Skier und Snowboards in der zurückliegenden Saison – in die Gondel der Umlaufseilbahn verfrachtet.
„Wir wollen das Alpin-Urbane durch neue Erlebnisse hervorheben“ beleuchtet Colette Verra, internationale Marketing-Managerin von Innsbruck Tourismus das Anliegen hinter einem solchen Event. Ein Kamerateam sorgte jetzt dafür, dass diese Bilder hinaus in die Welt gehen, um zu zeigen, dass Klassik-Konzerte an neuen Locations auch neues Publikum für dieses Kulturgut erschließen. Ebenso lenken solche Inszenierungen den Blick auf Kulturangebote in Tirols Landeshauptstadt, wozu etwa ein hochmodernes Konzerthaus gehört. Eine solche Innovationsfreude setzt sich in den historischen Sehenswürdigkeiten von Tirols Landeshauptstadt fort, etwa der Hofburg oder auch dem Andreas- Hofer-Museum mit seinem spektakulären Rundpanorama der Befreiungskriege. Orte wie diese sind durch aufwändige museumspädagogische Konzepte zu innovativen Geschichts-Lernorten ertüchtigt worden. Die Belebung der Schnittmenge zwischen Kulturerlebnis und touristischer Attraktion ist darüber hinaus ein überfälliger gesellschaftlicher Schritt. Die rege, auch internationale Nachfrage nach den Tickets für dieses Event hat gezeigt, dass hier viele Chancen schlummern, neues Publikum für klassische Konzerte zu generieren.
The Magic of a distinguished place
The pianist Katie Mahan gives a piano recital at a ski station 2300 metres above sea level in front of an audience of 120 people. The mountains refuse to be part of the glossy panorama and wrap themselves in thick clouds. This makes the music all the more important in transforming this mass-tourist place into something magical. The musical pieces Katie Mahan chooses include Debussy’s „Clair de Lune“, Liszt’s B minor Sonata, Mozart’s Magic Flute Overture and Gershwin’s „Rhapsody in Blue“. The music seems even greater in this harmony between idyll and eeriness and fills the audience with great enthusiasm.
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