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Verdi kam bis Heidenheim

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Don Carlo bei den Opernfestspielen in Heidenheim begeistert Besucher von nah und fern. Während das Wetter kurzfristig abkühlte und die Aufführung aus dem Rittersaal ins Festspielhaus umzog, wärmten sich Stuttgarter Philharmoniker und Solisten im Laufe des Abends unter der Leitung von Marcus Bosch spürbar auf. Regie, Bühnenbild und Kostüme bleiben im konventionellen Mashup stecken. Von Stephan Reimertz.

Heidenheim, am nordöstlichen Ende der Schwäbischen Alb gelegen, verblüfft den am Bahnhof ankommenden Reisenden mit einem Mix von altdeutschen Baureminiszenzen, vielen Neubauten, Geschäften des Pommes- und Spielhöllencharakters und vielen Straßen. Hier ist das Auto König. Dennoch steht kein Taxi am Bahnhof. Eine russische Wettbüroinhaberin ruft zwei Mal für mich ein Taxi. Als keins auftaucht, besteht ein Kunde des Wettbüros, ein türkischer Pizzafahrer, darauf, mich ins Hotel zu fahren. Was machen Sie denn in Heidenheim? Ich gehe zu den Opernfestspielen. Davon habe ich noch nie gehört. Es gibt ja noch ein anderes Heidenheim. Da wird mir in Heidenheim an der Brenz doch etwas brenzlig zumute. Erst als die Hotelinhaberin mich mit Namen begrüßt, fühle ich mich auf der sicheren Seite. Einen Versuch, zu Fuß zum Festspielhaus zu gehen, gebe ich freilich schnell auf. Auf dem Plan sieht alles so nah aus, doch der Fünfzigtausend-Seelen-Ort ist weit über eine hügelige Gegend ausgeschüttet.

„Don Carlo“, Oper von Giuseppe Verdi, Opernfestspiele Heidenheim 2023,
Rittersaal Schloss Hellenstein
Anna-Lena Elbert, Leah Gordon, Pavel Kudinov, Sung Kyu Park, Ivan Thirion, Chor_(c)_Oliver Vogel

Zwischen italienischer Oper und modernem Musikdrama

Das Congress Centrum in Mittelstadtmoderne bietet einen großzügigen, gut klimatisierten Saal, die Zuschauer kommen von nah und fern. Kapellmeister Marcus Bosch stellt Giuseppe Verdis vierte Schiller-Oper in den Ring, und sein geschmeidiges, federndes, subtiles und doch so prononciertes Dirigat teilt sich in allen Verästelungen den glänzend disponierten Stuttgarter Philharmonikern mit. Die Problematik dieser großen und großgewollten Musik ist unüberhörbar. In den späten 1860er Jahren hat Verdi das vollausgereifte Musikdrama des Kollegen Wagner bereits vor sich. Tristan und Isolde war gerade einmal zwei Jahre früher am Münchner Nationaltheater uraufgeführt worden. Allein Giuseppe Verdi hatte noch einen gefährlicheren Gegner, als er 1867 Don Carlo in einer fünfaktigen Fassung für die Pariser Oper fertigstellte: Sich selbst! In seinen Klassikern wie Rigoletto oder Il Trovatore hatte der Meister bereits Anfang der Fünfziger Jahre den Höhepunkt seiner Version einer stark ariosen und rhythmisierten italienischen Oper erreicht. Den galt es nun zu überschreiten, neue Wege zu finden, ohne, wie der Komponist es ausdrückte, zu »wagnerianisieren«. In La forza del destino, Macbeth, Ballo in maschera und Don Carlo erleben wir einen Verdi auf der Suche nach seinem eigenen Stil des Musikdramas, das zugleich seine Herkunft aus der italienischen Nummernoper nicht verleugnet. In Heidenheim konnte man die überarbeitete vieraktige italienische Fassung von 1884 hören. Kapellmeister, Orchester, der Tschechische Philharmonische Chor Brünn und die Solisten brachten uns in ihrer feurigen und subtilen Herangehensweise das Werk seine musikgeschichtliche Stellung angemessen auf den Punkt. 

„Don Carlo“, Oper von Giuseppe Verdi, Opernfestspiele Heidenheim 2023, Festspielhaus CC
Alexander Teliga, Sung Kyu Park, Chor_(c)_Oliver Vogel

Zerbrochener Friede

Warum hat Verdi neben Shakespeare-Stoffen immer wieder zu Libretti nach Friedrich Schiller gegriffen? Das liegt auf der Hand. Das Uhrwerk der politischen Intrige, das soziale Gefälle, das Pathos, die ganz großen Gefühle und Personen von weltgeschichtlichem Rang stellen ein Arsenal zur Verfügung, das der Opernkomponist als ideale Voraussetzung empfinden muss. In Heidenheim gibt Sung Kyu Park in seinem auf allen Höhen todsicheren Tenor und seiner gedrungenen, aus dem Rahmen fallenden Erscheinung die perfekte Verkörperung des titelgebenden Infanten von Spanien. Stach das historische Vorbild gar noch stärker aus dem Gewohnten ab, biegt Schiller seinen von der ödipalen Besessenheit der Liebe zu der Frau seines Vaters beherrschten Jüngling zu einem Helden zurecht. Allein der Komponist verleiht dem Verlorenen und Verworfenen eine Musik, die wiederum die Ambivalenz dieses Charakters ausleuchtet.

Pavel Kudinov als Philipp erscheint sowohl stimmlich als auch in seiner Gestalt als vollkommene Verkörperung des unglücklichen großen Königs; er singt und agiert, als habe er die vielschichtige Monographie Reinhold Schneiders über den spanischen Habsburger gelesen, die Schillers typisierte Darstellung in psychologischer Tiefe weit hinter sich lässt. Gerrit Illenberger als Posa (hier: Rodrigo) fällt die auch schauspielerisch dankbare Aufgabe des Aufrührers zu, der er sich stimmlich und agogisch engagiert aussetzt. Lada Kyssy zeichnet die Elisabeth in der Härte einer Kaltnadelradierung und sticht damit dramatisch fassbar von ihrer Gegenspielerin Eboli ab, welcher Zlata Khershberg einen warmen im Laufe des Abends noch ausdrucksvoller anrührenden Sopran verleiht. Freilich gelingt der dramaturgische Höhepunkt des Abends dem kanadischen Bassisten Randall Jakobsh. Mit einer zwar warmen, aber eben auch bedrohlichen Stimme verkörpert er einen furchteinflößenden Großinquisitor, ganz im Sinne von Friederich Schillers calvinistisch bestimmter antikatholischer Propaganda, die Giuseppe Verdi mitten im Risorgimento gern aufgriff. Die wenig inspirierte Kostümbildnerin Cornelia Kraske tat dem Geistlichen eine Art Transgenderkleid. Jakobsh jedenfalls ironisierte seine lästige Gewandung beim Schlussapplaus mit einem Knicks, der bei den sowieso schon begeisterten Zuschauern gut ankam. Die nachvollziehbare Personenregie (Georg Schmiedleitner) füllte eine Bühne (Stefan Brandtmayr) aus, die im wesentlichen aus einem Holzrahmen und ein paar Schwarzweiß-Bildschirmen bestand. In der Mitte prangte ein zerstörtes rotes Rundsymbol, das man als zerbrochenen Frieden verstehen mochte.

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Verdi came as far as Heidenheim
Don Carlos at the Opera Festival thrilled visitors from near and far. The weather cooled down at short notice and the performance was moved from the Rittersaal to the Festspielhaus. Under the direction of Marcus Bosch, the Stuttgart Philharmonic Orchestra and soloists warmed up noticeably in the course of the evening. The direction, stage design and costumes remained conventional.

Giuseppe Verdi’s fourth Schiller opera was performed by Kapellmeister Marcus Bosch and the Stuttgart Philharmonic Orchestra at the Congress Centrum. The music offered a mixture of Italian opera and modern musical drama. Soloists such as Sung Kyu Park as Don Carlos and Pavel Kudinov as Philipp were convincing with their impressive performances. Gerrit Illenberger as Posa and Lada Kyssy as Elisabeth also contributed to the successful performance, while Zlata Khershberg created the role of Eboli with an expressive soprano.

The dramatic highlight of the evening was embodied by Randall Jakobsh, who shone as the fearsome Grand Inquisitor. The person direction and stage design, though minimalist, provided a fitting backdrop for the work. The destroyed red circle in the centre symbolised a possible broken peace.

Verdi thrilled the audience in Heidenheim with a successful performance of Don Carlos and once again proved his talent for musical drama and the treatment of challenging themes.

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