Kolumne von Susanne Falk.
Manchmal brauchen Dinge Zeit, bis sie gut werden, Zeit sich zu entwickeln. Vom Hudeln kommen schiache Kinder, sagt man in Österreich. Vom Auf-Teufel-komm-raus-Gendern leider auch.
Wir halten zunächst einmal fest: Alle Kinder sind selbstverständlich auf ihre Art schön und liebenswert, ganz gleich ob bei ihrer Entstehung gehudelt wurde oder nicht. Bei der Sprache sieht es leider anders aus, denn eigentlich bräuchte die mehr Zeit, sich zu entwickeln, um gesellschaftliche Umbrüche auch adäquat wiedergeben zu können. Nur lässt man ihr die heute kaum noch. Lehnen wir uns also kurz zurück und schauen uns einmal den Ist-Zustand an. Und beziehen Position.
Es ergibt Sinn, dass sich Menschen mit einer Geschlechteridentität jenseits von Mann und Frau in der Sprache wiederfinden möchten. Dass sie nicht zwischen sie, er und es wählen möchten ist nachvollziehbar. Es braucht hier also offensichtlich etwas Neues. Allerdings beginnen da dann schon die Probleme, denn wie, wieviel, wann und wo gegendert wird, darauf kann sich die deutsche Sprachgemeinschaft aktuell leider so gar nicht einigen. Und das hat seine Gründe.
Die Idee der geschlechtergerechten Sprache ist nicht neu, sie reicht bis in die 1950er Jahre zurück. Auftrieb erhielt sie durch feministische Bewegungen in den 1960er bzw. 1970er Jahren. Das generische Maskulinum, bei dem Frauen „mitgedacht“ waren, sollte durch etwas ersetzt werden, das auch das weibliche Geschlecht in der Sprache sichtbar werden ließ. So weit, so nachvollziehbar. Allein: Das generische Maskulinum bezieht sich gar nicht auf das tatsächliche Geschlecht einer Person, sondern auf das grammatikalische Geschlecht. Und da fangen die Probleme an.
Ein kurzes Beispiel: Eine Personenbezeichnung kann maskulin sein, das Geschlecht der tatsächlich gemeinten Person jedoch z.B. weiblich, etwa bei dem Wort „der Säugling“. „Der Säugling“ ist grammatikalisch gesehen maskulin, das konkrete Baby kann jedoch weiblich, männlich oder divers sein. (Umgekehrt funktioniert das übrigens auch, beispielsweise beim Wort „die Person“.) D.h. tatsächliches Geschlecht und grammatikalisches Geschlecht stimmen nicht immer überein.
Auf was das grammatikalische Geschlecht historisch zurückgeht, ist übrigens oft nicht klar: Warum ist „der Mond“ auf Deutsch männlich und in romanischen Sprachen („la luna“) weiblich? Bei Berufsbezeichnungen sieht es natürlich wieder anders aus, da vielfach Berufe früher nur von Männern ausgeführt wurden. Hier gibt es also einen historischen Kontext, den man bewusst machen möchte, indem man die weibliche Form (Lehrerin, Friseurin, Ingenieurin, Ärztin) verwendet. Um alle Geschlechter, auch das diverse, einzubeziehen, verfiel man hier auf Sonderzeichen, weil allein die Nennung weiblicher und männlicher Varianten zu kurz griff. So kam es zum Wort „Techniker*in“, wahlweise mit Binnen-I, Doppelpunkt, Schrägstrich usw. geschrieben. Irgendwann in den 2020ern verkürzte sich das Ganze auf eine Grundform, etwa im Wort „Kolleg:in“. Hier ist die männliche Endung nicht mehr enthalten, es blieb nur der Rumpf „Kolleg“ übrig, an den eine weibliche Endung angehängt wurde, was nicht unbedingt geschlechtergerecht ist, aber natürlich eine denkbare Variante.
Und nun kommt meine Déformation professionelle zum Einsatz: Als langjährige Lektorin muss ich Ihnen leider mitteilen, dass keine einzige derzeit existierende Gendervariante wirklich praktikabel ist. Männliches und weibliches Geschlecht auszuschreiben, macht Texte zu lang (und unterschlägt das diverse Geschlecht), Sonderzeichen machen einen Text unlesbar (wir denken hier einmal an Branchenblätter, in denen oft Aufzählungen von Berufsbezeichnungen vorkommen, wo Sie nach dem fünften Genderstern hintereinander innerlich aussteigen, ohne den Inhalt erfasst zu haben) und vor allem brechen sie ihn an Stellen um, wo er nicht umbrechen sollte. Man merke auf: Nur weil etwas in einem Word-Dokument funktioniert, klappt das im InDesign (Zeitungsspalten – viele Umbrüche!!!) noch lange nicht. Es bei der männlichen Form zu belassen oder alles weiblich zu schreiben, trifft sich nicht mit dem Wunsch einer Bevölkerungsgruppe, als Geschlecht abseits von männlich und weiblich sprachlich wahrgenommen zu werden. Auf Druck Fremdwörter einzuführen („they“, „thy“) klappt schon mal überhaupt nicht. Nutzt man das Gerundium, um von der Person weg und hin zur ausgeführten Tätigkeit zu gelangen, dann redet man zwar genderneutral von „Studierenden“, meint aber eigentlich nur diejenigen, die das jetzt, in diesem Moment tun. Kurz: Es gibt keine praktikable Lösung. Noch nicht.
Sprache braucht Zeit, sich zu entwickeln. Ich wünschte mir, man ließe sich als Sprachgemeinschaft diese Zeit. Wir haben vielleicht jetzt keine gute Lösung für das Genderproblem, aber in 20 oder 30 Jahren sind wir womöglich so weit. Schreibt man zu früh eine Variante als einzig gängige fest oder verbietet man das Gendern gar zur Gänze, dann unterbindet man eine natürliche Entwicklung, die uns über einen längeren Zeitraum hin zur „richtigen Lösung“ geführt hätte. Also lautet das Gebot der Stunde: Abwarten, ausprobieren, verwerfen, neu denken. Das erfordert Geduld, mit sich, mit anderen, mit gesellschaftlichen und sprachlichen Entwicklungen. Nehmen wir uns diese Zeit! Vom Hudeln wird leider nichts besser…
Bei Verwendung des Textes bitte Quelle angeben bzw. verlinken.
My books! „You and me and everyone else„. Column by Susanne Falk
Sometimes things need time to become good, time to develop. From rushing comes ugly children, they say in Austria. Unfortunately, the same goes for forced gendering.
Let’s start by stating the obvious: All children are naturally beautiful and lovable in their own way, regardless of whether they were conceived in haste or not. However, when it comes to language, it’s a different story, because it actually needs more time to develop in order to adequately reflect societal changes. But today, we hardly give it that time. So let’s lean back for a moment and take a look at the current state of affairs. And take a stance.
It makes sense that people with a gender identity beyond male and female want to see themselves reflected in language. It’s understandable that they don’t want to choose between she, he, and it. So obviously, something new is needed here. However, that’s where the problems begin, because the German-speaking community currently can’t agree on how, how much, when, and where to gender language. And there are reasons for that.
The idea of gender-neutral language is not new; it dates back to the 1950s and gained momentum through feminist movements in the 1960s and 1970s. The generic masculine, which included women „in thought,“ was supposed to be replaced by something that also made the female gender visible in language. So far, so understandable. However, the generic masculine doesn’t actually refer to a person’s actual gender, but rather to grammatical gender. And that’s where the problems begin.
A brief example: A term for a person can be masculine, but the actual gender of the person being referred to can be female, male, or non-binary, for example with the word „der Säugling“ (German: the infant). Grammatically, „der Säugling“ is masculine, but the specific baby could be female, male, or non-binary. (The reverse is also true, for example with the word „die Person“, the person.) In other words, actual gender and grammatical gender don’t always align.
By the way, the historical origins of grammatical gender are often unclear: Why is „der Mond“ (the moon) masculine in German and feminine in Romance languages („la luna“)? With job titles, it’s a different story, as many professions were traditionally performed only by men. Here, there is a historical context that one wants to make explicit by using the feminine form. To include all genders, including non-binary ones, special characters were used, because simply mentioning male and female variants fell short. This led to terms like „Techniker*in“ (technician), optionally written with an asterisk, colon, slash, etc. Eventually, in the 2020s, this was simplified to a basic form, as in the word „Kolleg:in“ (colleague). Here, the male ending is no longer included, leaving only the stem „Kolleg”, to which a female ending is appended, which is not necessarily gender-neutral but is certainly a conceivable option.
And now, my professional bias comes into play: As a longtime editor, I must unfortunately inform you that none of the currently existing gender variants are really practical when it comes to the German language. Writing out male and female genders makes texts too long (and excludes non-binary gender), special characters make a text unreadable (think of industry publications where lists of job titles often occur; after the fifth gender star in a row, you mentally check out without understanding the content), and above all, they break the text in places where it shouldn’t break. Note: Just because something works in a Word document doesn’t mean it works in InDesign (newspaper columns – many line breaks!!!). Leaving it at the male form or writing everything in the female form does not align with the desire of a population group to be perceived linguistically as a gender apart from male and female. Introducing foreign words (such as „they,“ „thy“) to replace German pronouns doesn’t work at all. Using the gerund to shift focus away from the person and toward the activity being performed results in gender-neutral terms like „Studierende“ (students), but it actually only refers to those who are doing it at that moment. In short: There is no practical solution. Not yet.
Language needs time to develop. I wish we, as a language community, would give ourselves that time. We might not have a good solution for the gender problem now, but in 20 or 30 years, we might. If we prematurely establish one variant as the only standard or even prohibit gendering altogether, we hinder a natural development that would have led us over a longer period of time to the „right solution.“ So, the order of the day is: Wait, try, discard, rethink. This requires patience, with ourselves, with others, with societal and linguistic developments. Let’s take this time! Rushing will unfortunately not make anything better…
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