Wie klingt Solidarität? Was vermag Musik in Zeiten des Krieges und politischer Unsicherheit zu leisten? Diesen Fragen widmet sich ein außergewöhnliches Konzertprojekt, das im März 2025 in Kiew und kurz darauf in Tiflis stattfand. Initiiert von polnischen und georgischen Kulturinstitutionen, versammelte es Musikerinnen und Musiker beider Länder – unterstützt durch internationale Partner – zu einem musikalischen Dialog über Schmerz, Hoffnung und gemeinsame europäische Werte. Im Zentrum standen Werke von Beethoven, Górecki und Panufnik – Komponisten, die auf je eigene Weise den Geist des Widerstands und der Menschlichkeit verkörpern.
Im Gespräch mit Feuilletonscout berichtet Pawel Kotła, künstlerische Leiter des Projekts, von intensiven Proben unter Kriegsbedingungen, berührenden Begegnungen mit lokalen Musikern – und von einer Kraft der Musik, die weit über den Konzertsaal hinausreicht.
Feuilletonscout: Die Konzerte in Kiew und Tiflis sind den Themen Freiheit und Solidarität gewidmet. Nach welchen Kriterien haben Sie das Repertoire ausgewählt – insbesondere im Hinblick auf die aktuelle politische Lage in der Ukraine und Georgien?
Pawel Kotła: Die Auswahl des Repertoires für die Konzerte in Kiew und Tiflis wurde von zwei sehr unterschiedlichen Kriterien geprägt, die jeweils tief in den politischen und historischen Kontexten der beiden Länder verwurzelt sind.
Musik als Widerhall der Freiheit
Im Fall der Ukraine wollten wir nicht nur Solidarität bekunden, sondern auch die außergewöhnliche Klarheit ihres gegenwärtigen Kampfes widerspiegeln. Die Ukraine ist heute ein geeintes Land, das einen schrecklichen Krieg gegen einen sehr klar definierten äußeren Aggressor führt. Doch ein solch großer Gegner kann nicht alleine abgewehrt werden. Bereits in den ersten Tagen der Invasion reagierte die polnische Gesellschaft mit einer Welle spontaner Großzügigkeit – sie nahm Millionen Geflüchtete auf, leistete Hilfe und bot Schutz. Interessanterweise geschah dies auf äußerst organisierte und effiziente Weise – Polen hatte durch die Migrationskrise an der belarussisch-polnischen Grenze bereits Erfahrungen gesammelt.
Polen als Vorbild der Solidarität
Aus heutiger Sicht war Polen in dieser entscheidenden Phase ein weltweites Vorbild für Solidarität mit der Ukraine, als das Land kurz vor dem Zusammenbruch stand. Unser Konzert in Kiew, das weltweit übertragen wurde, wollte den polnischen Emotionen und historischen Erfahrungen Ausdruck verleihen, die so viele Menschen zu diesem Handeln bewegt haben.
Geschichte als musikalische Botschaft
Wir wollten mit dem Programm verdeutlichen, dass die tragische Erfahrung der Ukraine mit Russland kein Einzelfall ist, sondern ein Muster widerspiegelt, das in Mittel- und Osteuropa über Jahrzehnte – wenn nicht Jahrhunderte – zu spüren war. Diese historische Resonanz wurde besonders durch Andrzej Panufniks Katyn Epitaph spürbar. Panufnik, ein Komponist, der die Zerstörung Warschaus im Zweiten Weltkrieg miterlebt hatte und 1954 in den Westen floh, verstand sich als Stimme für Wahrheiten, die unter sowjetischer Kontrolle nicht ausgesprochen werden durften. Sein Epitaph, 1967 in Großbritannien komponiert, zu einer Zeit, als sein Name und Werk aus dem öffentlichen Leben der kommunistischen Volksrepublik Polen getilgt wurden, erinnert an die Tausenden polnischer Offiziere, die 1940 im Wald von Katyn ermordet wurden – ein Verbrechen, dessen Verantwortung die Sowjetunion über 50 Jahre leugnete.
Wir hatten auch Henryk Mikołaj Góreckis 3. Sinfonie „Symphonie der Klagelieder“ im Programm – eines der populärsten Orchesterwerke überhaupt, das eine Meditation über das Leid Polens unter der Nazi-Besatzung ist. So persönlich und spezifisch das Werk ist, seine emotionale Tiefe spricht universell über Schmerz, Verlust und Widerstandskraft.
Zudem spielten wir ein Werk von Maksym Beresowskyj – einem der frühesten ukrainischen Komponisten des 18. Jahrhunderts – um zu zeigen, dass die Ukraine eine lange Musiktradition hat. Dies ist auch ein Hinweis auf den Kriegsbeginn, als die Russen sich selbst als „Kulturbringer“ für die Ukraine präsentierten –für ein Land, das Putin zufolge ja gar kein echtes Land sei. Der Angriff wurde von einer Vielzahl westlicher Kulturevents begleitet, die die „Größe“ der russischen Kultur demonstrieren sollten. Zum Glück reagierte die Welt schnell, und vielerorts wurde russische Musik durch Werke ukrainischer Komponisten ersetzt.
Ursprünglich wollten wir das Konzert für den Frieden nennen – auch als Gegengewicht zu zynischen Spektakeln wie jenen des Mariinski-Orchesters und des ehemaligen „UNESCO-Friedenskünstlers“ Waleri Gergijew in Palmyra (2016) oder im von Russland besetzten Südossetien (2008) während des Georgienkriegs – propagandistische Veranstaltungen unter dem Deckmantel der Kultur. Doch wir verwarfen den Begriff „Frieden“. In bestimmten Narrativen war er zu einem manipulierten Konzept geworden – verdreht im Sinne autoritärer Ideologien.
Wir ließen uns von einem Abschnitt aus Panufniks Memoiren inspirieren, in dem er über seine Begegnung mit Picasso beim Weltkongress der Intellektuellen zur Verteidigung des Friedens 1948 in Breslau schreibt – zu einer Zeit, als das kommunistische Regime in Polen Patrioten ermordete, die gegen die Nazis gekämpft hatten. Er reflektierte:
„Ich fragte mich, ob Picasso überhaupt verstand, dass man ihn zynisch als politischen Verbündeten benutzt hatte (…). Wusste er, was die Kommunisten im Ostblock unter dem Wort ‚Frieden‘ verstanden? Für mich (und wahrscheinlich auch für ihn) bedeutete Frieden Einvernehmen mit der ganzen Welt, mit der Natur, mit allem Lebendigen und mit sich selbst. Doch das war nicht das, was die Organisatoren dieser Veranstaltung im Sinn hatten … Das Wort ‚Frieden‘ war nur ein Vorwand. In der sowjetischen Version konnte es nur einen heuchlerischen, aufgezwungenen Frieden bedeuten – gegründet auf Terror.“

Freiheit statt Frieden – ein Perspektivwechsel
Vor diesem Hintergrund ersetzten wir gemeinsam mit Jarosław Godun, Direktor des Polnischen Instituts in Kiew, das Wort Frieden durch die ehrlicheren und dringlicheren Begriffe Freiheit und Solidarität – zwei Werte, die in unserer heutigen Zeit zu wesentlichen Bezugspunkten geworden sind. Persönliche Freiheit ist ein zentraler europäischer Wert – und Solidarität brauchen wir, um eine Welt zu bewahren, in der kleine Staaten und Völker nicht von großen Mächten herumgeschubst werden und grundlegende Menschlichkeitswerte nicht brutaler Gewalt weichen.
Kunst als politisches Statement
In Georgien war die Situation anders. Zwar herrscht dort kein offener Krieg, aber das Land ist aktuell von einer komplexen innenpolitischen Lage und einer konfliktreichen Geschichte geprägt. Dennoch sind die Künstler und Kulturschaffenden dort starke Verfechter von Werten, die über das Politische hinausgehen. Hier wollten wir Polen als lebendige Kulturnation zeigen – ein Land, das in den letzten Jahrzehnten – zum Ärger Putins – nicht nur wirtschaftlich, sondern auch kulturell aufgeblüht ist. Werke von Górecki und Krzysztof Meyer sind Paradebeispiele für den internationalen Erfolg Polens auf dem Feld zeitgenössischer Musik.
Um die zeitlose Verbindung von Kunst und politischer Realität zu betonen, wählten wir Beethovens Eroica-Sinfonie – ein Werk, das ein Denkmal für die Idee ist, dass Kultur niemals neutral ist. Wer behauptet, Kunst solle unpolitisch sein, verkennt die Geschichte. Selbst in Polen vergessen wir manchmal, dass unsere Unabhängigkeit auch künstlerischen und politischen Anstrengungen von Ignacy Jan Paderewski zu verdanken ist. Der weltberühmte Pianist überzeugte US-Präsident Woodrow Wilson davon, die Wiederherstellung der polnischen Staatlichkeit zu unterstützen – sie wurde zu einem der zentralen Punkte der Versailler Friedensverhandlungen.
In Kiew wie in Tiflis ging es bei unserer Programmauswahl also nicht nur um musikalische Exzellenz, sondern um Bedeutung. Es ging darum, gemeinsame Erfahrungen zu artikulieren, das Schweigen zu durchbrechen und jene Werte zu bekräftigen, die heute wichtiger sind denn je.
Feuilletonscout: Sie haben Werke von Henryk Mikołaj Górecki, Andrzej Panufnik und Krzysztof Meyer ausgewählt – drei polnische Komponisten mit sehr unterschiedlichen musikalischen Sprachen. Was verbindet diese Werke Ihrer Meinung nach, insbesondere im Kontext der europäischen Erinnerungskultur?
Pawel Kotła: Ich habe den weiteren Kontext dieser Werke bereits erläutert, aber abgesehen davon sind es einfach außergewöhnlich gut geschriebene Musikstücke, die wir mit Stolz als Beweis für das reiche musikalische Erbe Polens präsentieren können. Im 20. Jahrhundert war die polnische Musik ein wichtiger Bestandteil unseres Weges zur Freiheit.
Musik als europäische Sprache
Man muss sich vor Augen führen, dass zwei brillante Musikfestivals in Warschau – das „Jazz Jamboree“ und der „Warsaw Autumn“ – Ende der 1950er-Jahre ins Leben gerufen wurden. Sie waren extrem bedeutende und zugleich einzigartige Plattformen für den kulturellen Austausch im Ostblock. In jener düsteren Zeit förderten sie internationale Kontakte und künstlerische Freiheit.
Alle polnischen Komponisten haben ihr Handwerk durch die Begegnung mit den besten Musikern und Komponisten der Welt bei diesen Festivals gelernt. Musik war definitiv unsere Schnellstraße zur Freiheit und zur Emanzipation vom sowjetischen Einfluss. Jetzt möchten wir, dass auch andere aus dieser Erfahrung lernen.
Jugend verbindet Nationen
Feuilletonscout: Beim Konzert in Tiflis treten Sie mit dem Giya Kancheli Tbilisi Youth Orchestra und dem Cracow Duo auf. Wie haben Sie die Zusammenarbeit mit diesen Künstlern erlebt – und was, Ihrer Meinung nach, zeichnet solch internationale musikalische Kooperationen aus?
Pawel Kotła: Ich arbeite zum ersten Mal mit dem Tbilisi Youth Orchestra zusammen. Und es ist eine sehr spannende Aufgabe für mich. Das Orchester tritt nicht nur in Georgien, sondern auch im Ausland auf professionellem Niveau auf. Das zeigt, dass junge Künstler Verbindungen zwischen Ländern und Gesellschaften schaffen können.
Einige dieser Musiker habe ich allerdings schon in anderen Orchestern getroffen – insbesondere im I, Culture Orchestra, das ich im Rahmen der polnischen EU-Ratspräsidentschaft 2011 gegründet habe. Es war ein außergewöhnliches Projekt: Wir haben junge Musiker aus Polen, Georgien, der Ukraine, Moldau, aber auch aus Ländern wie Armenien, Aserbaidschan und Belarus auf eine Europatournee mitgenommen – mit Konzerten in der Berliner Philharmonie, der Royal Festival Hall in London oder dem Palais des Beaux-Arts in Brüssel.
Zuvor hatten wir sie in Danzig unter Anleitung einiger der besten Musiker führender europäischer Orchester ausgebildet. Danzig war kein zufällig gewählter Ort. Dort konnten sie viel darüber lernen, wie wir unseren Wohlstand aufgebaut haben und im Europäischen Solidaritätszentrum erfuhren sie von unserem Weg zur Freiheit – und trafen sogar einige legendäre Persönlichkeiten der Solidarność-Proteste der 1980er-Jahre persönlich.
Seitdem habe ich oft in Georgien gearbeitet, auch mit dem Orchester des Tbilisser Konservatoriums, und daran mitgewirkt, das Orchester-Ausbildungsprogramm zu verbessern. Es erfüllt mich mit einem gewissen persönlichen Stolz, zu sehen, wie sich diese Musiker entwickelt haben.
Das Cracow Duo – Jan Kalinowski (Cello) und Marek Szlezer (Klavier) – sind zwei großartige Musiker und Professoren der Musikakademie Krakau, die polnische Musik bis in die entlegensten Winkel der Welt tragen. Gemeinsam haben wir polnische Musik an anspruchsvollen Orten präsentiert, etwa in Belarus oder im von Russland besetzten Transnistrien. Auch in Georgien waren wir schon oft gemeinsam unterwegs.
Musik, die Menschen bewegt
Feuilletonscout: Seit vielen Jahren engagieren Sie sich in Projekten, die Musik als Mittel des kulturellen Verständnisses nutzen. Was kann Musik Ihrer Meinung nach erreichen, was Worte nicht vermögen?
Pawel Kotła: Ich denke, wir unterschätzen einfach, wie stark unsere Emotionen unser Leben leiten – und wir erkennen nicht genug an, dass Musik eines der wirkungsvollsten Mittel ist, um diese Emotionen zu formen. Es gibt ein wunderschönes Zitat von Leonard Bernstein: „Kunst hat nie einen Krieg gestoppt und niemandem einen Job verschafft. Das war nie ihre Aufgabe. Kunst kann keine Ereignisse verändern. Aber sie kann Menschen verändern. Sie kann Menschen berühren, sodass sie sich verändern … und weil Menschen durch Kunst verändert werden – bereichert, veredelt, ermutigt – handeln sie anschließend auf eine Weise, die den Verlauf von Ereignissen beeinflussen kann … durch die Art, wie sie wählen, sich verhalten, denken.“
Ich habe bereits Paderewski und Beethoven erwähnt, aber es gibt viele weitere Beispiele, bei denen Musik im Laufe der Geschichte tatsächlich Einfluss auf reale Politik genommen hat. Man denke nur an die berühmten Trompeten von Jericho! Aber wie viele Menschen wissen zum Beispiel noch, dass eine Opernaufführung in Brüssel die Revolution ausgelöst hat, die zur Gründung des modernen Belgien führte? Oder wie sehr Verdi und seine Opern eine Rolle im italienischen „Risorgimento“ spielten?
Ich finde es beklagenswert, dass die musikalische Bildung in den westlichen Demokratien kontinuierlich zurückgeht. Auf der anderen Seite haben viele Diktatoren sehr wohl verstanden, welchen Einfluss Musik auf ihre Untertanen ausüben kann. Stalin besuchte regelmäßig die Uraufführungen neuer Opern und Sinfonien und äußerte sich offen dazu – was für die Komponisten tödlich enden konnte. Hitlers Vorstellungskraft wurde stark durch Wagners Musik befeuert. Chávez in Venezuela war ein großer Enthusiast von El Sistema und dem Simón Bolívar Orchester. Und heute investiert Putin – besonders seit 2008 – viel Geld in die klassische Musik seines Landes und deren Förderung im Ausland. In diesem Jahr wurde das Jugendorchester der Gemeinschaft Unabhängiger Staaten gegründet, ebenso wie die Baltic Youth Philharmonic – ein musikalisches Projekt, das Teil einer Lobbystrategie für die Gaspipeline Nord Stream war, die die Ukraine umgehen sollte.
Warum wird die gesellschaftliche Wirkungskraft von Musik von westlichen, liberalen Politikern so wenig wahrgenommen? Das ist mir ein großes Rätsel.
Ein persönlicher Moment in Kiew
Feuilletonscout: Das Konzert in Kiew war ein kraftvolles Statement – sowohl künstlerisch als auch symbolisch. Was war für Sie persönlich der bewegendste Moment an diesem Abend? Und welchen Herausforderungen mussten Sie vor Ort begegnen?
Pawel Kotła: Bei einer der Proben erzählte ich den Mitgliedern des Nationalen Sinfonieorchesters der Ukraine von meinen eigenen familiären Erfahrungen mit dem russischen Terror. Der Onkel meines Vaters, Jan Janicki, war 1939 polnischer Offizier und in Riwne (heute Ukraine) stationiert. Er wurde vom NKWD verhaftet und dann nach Archangelsk gebracht, wo er verschwand. Höchstwahrscheinlich war er einer der 5.000 polnischen Offiziere, die auf Lastkähne gebracht und dann auf das Weiße Meer hinausgefahren wurden, wo sie von russischer Artillerie versenkt wurden. Fünfzig Jahre lang konnte seine Schwester, meine Großmutter, in dem von der Sowjetunion besetzten Polen nicht offen darüber sprechen. Es gibt einen Moment, den man in der Aufzeichnung des Kiewer Konzerts sehen kann, direkt nach der Aufführung des „Katyn-Epitaphs“, als der Konzertmeister zu mir kommt und diese drei Worte sagt: „Für Jan Janicki“. Er widmete sein Eröffnungssolo dieses Stücks dem Andenken meines Onkels. Das war außergewöhnlich – offenbar können auch unsere polnischen Geschichten das ukrainische Volk in diesen schweren Zeiten inspirieren und gegenseitigen Respekt und Verbundenheit schaffen.
Und die größte Herausforderung? Wir hatten keine Ahnung, ob das Konzert und die Übertragung nicht durch einen weiteren russischen Luftangriff unterbrochen werden würden. Es kommt nicht oft vor, dass man ein Konzert aus einer Stadt überträgt, die unter Beschuss steht. Mir fällt da nur die berühmte Aufführung von Schostakowitschs 7. Sinfonie ein, die aus dem belagerten Leningrad übertragen wurde. Während wir Góreckis Sinfonie aufführten, konnte ich sehen, wie angespannt die Musiker waren. Später erfuhr ich, dass tatsächlich ein weiterer Luftangriff im Anflug war, aber diesmal hatten wir Glück, dass er Richtung Odessa ging und wir unser Konzert ungestört beenden konnten.
Feuilletonscout: Sie waren bereits 2011 künstlerischer Leiter des I, Culture Orchestra. Wie hat sich seither Ihre Rolle als Vermittler zwischen Musik und gesellschaftspolitischer Verantwortung entwickelt – insbesondere in einem zunehmend polarisierten Europa?
Pawel Kotła: Ich habe immer fest daran geglaubt, dass Musik einen echten Einfluss auf die Welt um uns herum hat. Bei der Gründung des I, Culture Orchestra entdeckte ich, dass sie auch großen Einfluss auf die Politik hat. Vor etwa zwölf Jahren gab mir Lady Panufnik den Text des Vortrags ihres Mannes, den er im Dezember 1954 in Paris hielt, also unmittelbar nach seiner Flucht. Darin legte er sehr klar die sowjetischen Strategien dar, Musik als effektives Propagandainstrument einzusetzen, um die Vorstellungskraft und Emotionen der Menschen zu kontrollieren. Das inspirierte meine Doktorarbeit, an der ich zwischen 2015 und 2023 schrieb, also eng verbunden mit den Ereignissen in der Ukraine. Aber ich hatte auch zahlreiche Auftritte in ehemaligen Sowjetrepubliken, mit Studenten- und Nationalorchestern aus Aserbaidschan, Belarus, Georgien, Moldawien (einschließlich Transnistrien) und der Ukraine. Es war zum Beispiel interessant zu beobachten, wie sich die Symbole und die öffentliche Erzählung an Orten wie Transnistrien in diesen Jahren langsam von der sowjetischen „Hammer und Sichel“-Symbolik zu russisch-imperialen Symbolen verschoben – wie etwa das Denkmal für Katharina II. die Große in Tiraspol.
Der bewegendste Moment für mich war jedoch ein Konzert am 9. Oktober 2020 mit dem Staatlichen Kammerorchester von Belarus in Minsk. Nur zehn Monate zuvor waren wir zu Besuch in Minsk und Grodno. Ich saß in der Hauptloge des Staatstheaters der Oper von Belarus und sah eine Aufführung des Balletts „Spartacus“ – wir planten, dort nur fünf Monate später ein großes Konzert mit Filmmusik von Wojciech Kilar zu geben. Wir fuhren auch nach Grodno, wo uns die Pläne für ein neues Denkmal für den legendären polnischen Sänger Czeslaw Niemen gezeigt wurden, und planten gemeinsam mit dem Bürgermeister von Grodno und dem Landrat ein „Nachbarschaftsfestival“ für Grodno und die polnische Stadt Białystok. Und dann brach alles zusammen. Es stellte sich heraus, dass dies alles nur ein Schauspiel von Lukaschenka im Rahmen seines Wahlkampfs war, um die pro-europäischen Belarussen zu gewinnen. Nach den Wahlen und dem Beginn der öffentlichen Proteste sagte er alle diese Zusagen ab, und wir durften nur noch dieses eine Konzert geben. Am Tag der Veranstaltung wies er fast alle polnischen Diplomaten, einschließlich unseres Botschafters, aus Belarus aus. Also nahmen wir polnische Musik, aber auch das (wie viele glauben) „antistalinistische“ Streichquartett Nr. 8 von Schostakowitsch ins Programm auf. Viele Mitglieder der belarussischen Opposition waren im Publikum. Die Atmosphäre war extrem angespannt und emotional, das Publikum forderte Zugaben. Wir hatten die Gelegenheit, uns endgültig zu verabschieden und daran zu erinnern, dass ihr Kampf in Polen nicht vergessen wird.
Mein jüngstes Engagement ist die Annahme einer Einladung des polnischen Außenministers, seinem Beraterteam im Widerstand gegen internationale Desinformation beizutreten, wobei ich die Idee vertrete, dass Kultur neben sozialen und traditionellen Medien die dritte große Plattform zur Verbreitung von Desinformation ist. Und ich bin gerade aus Lwiw zurückgekehrt, wo wir polnische Musik und Richard Strauss’ „Heldenleben“ mit der Lwiwer Nationalphilharmonie aufgeführt haben. Ein so großes Orchester für eine Weltklasse-Aufführung dieses schwierigen Werks in solch schwierigen Zeiten zusammenzubringen, war eine enorme Leistung der Ukrainer.
Ich bin dem polnischen Außenministerium außerordentlich dankbar, dass es unser großartiges Projekt finanziell unterstützt hat, und unglaublich glücklich, dass durch solche Aktionen während der polnischen EU-Ratspräsidentschaft die Stimme meines Landes eine Inspiration für die Freiheit im Osten und für die Solidarität im Westen Europas sein konnte.
Danke für das Interview, Pawel Kotła!
Das Projekt
„Concerts for Freedom and Solidarity“ ist eine kulturpolitische Initiative der Temida Arts & Business Foundation in Zusammenarbeit mit den Polnischen Instituten in Kyjiw und Tiflis. Gefördert wird das Projekt durch das polnische Außenministerium im Rahmen des Programms „Public Diplomacy 2024–2025 – Europäische Dimension und Bekämpfung von Desinformation“.
Im Mittelpunkt stehen zwei herausragende Konzerte, die Polens Solidarität mit der Ukraine und Georgien in Zeiten großer geopolitischer Herausforderungen symbolisieren. Den Auftakt bildete das Konzert am 24. Januar 2025 in der Nationalen Philharmonie der Ukraine in Kyjiw, das gleichzeitig als offizieller Auftakt der polnischen EU-Ratspräsidentschaft diente.
Die Aufzeichnung ist kostenfrei über die Plattform Medici TV zugänglich.
Das Abschlusskonzert der polnischen EU-Ratspräsidentschaft findet am 20. Juni 2025 in der Philharmonie von Tiflis statt.
Verantwortlich für die künstlerische Leitung beider Konzerte ist der international gefeierte polnische Dirigent Paweł Kotla. In seiner Laufbahn arbeitete er u.a. mit dem London Symphony Orchestra, dem Philharmonischen Orchester Monte Carlo sowie nahezu allen polnischen Klangkörpern. Für seine Verdienste wurde er 2025 vom polnischen Kulturministerium mit der Auszeichnung „Verdient um die polnische Kultur“ geehrt.
Die Temida Arts & Business Foundation engagiert sich für kulturellen Austausch und internationale Verständigung durch künstlerische Projekte. Mit Initiativen wie „Concerts for Freedom and Solidarity“ fördert sie die Vermittlung gemeinsamer Werte wie Freiheit, Demokratie und kulturelle Vielfalt. Die Stiftung organisiert zudem das Festival „Beskid Classics“, eines der größten Klassikfestivals im Süden Polens.
Das Projekt wird im Rahmen des Förderprogramms „Public Diplomacy 2024–2025 – Europäische Dimension und Bekämpfung von Desinformation“ vom Außenministerium der Republik Polen unterstützt. Dieses Programm zielt darauf ab, die Vermittlung polnischer Kultur und Geschichte zu fördern sowie demokratische Werte im internationalen Kontext zu stärken – insbesondere im Rahmen der EU-Ratspräsidentschaft Polens im Jahr 2025.
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Kiev and Tbilisi: Concerts as a ‘collective act of mourning and consolation’
The concerts in Kyiv and Tbilisi were dedicated to freedom and solidarity. In Kyiv, the program reflected the unique clarity of Ukrainian resistance against Russian aggression. Poland became a global model of solidarity with Ukraine. The concert in Kyiv, broadcast worldwide, expressed Polish emotions and historical experiences that inspired this support.
The program included works such as Andrzej Panufnik’s “Katyn Epitaph,” commemorating victims of Soviet violence, and Górecki’s “Symphony of Sorrowful Songs,” reflecting Poland’s suffering under Nazi occupation. A piece by Ukrainian composer Maksym Berezovsky was also performed to honor Ukraine’s long musical tradition. Initially planned as a concert for peace, the event was renamed to emphasize “freedom” and “solidarity,” as the concept of peace had been manipulated in authoritarian narratives.
In Tbilisi, the focus was on presenting Poland as a vibrant cultural nation. Works by Górecki and Krzysztof Meyer, as well as Beethoven’s “Eroica,” highlighted the connection between art and political reality. Collaboration with the Tbilisi Youth Orchestra and the Cracow Duo demonstrated how young artists create cross-border connections. Music is seen as a powerful means of shaping emotions and influencing political processes. A particularly moving moment was the dedication of a solo to the conductor’s uncle, a victim of Soviet terror.







