Eine Rezension von Stephan Reimertz
Zeiten politischen Niedergangs haben oft eine künstlerische Blüte hervorgebracht. Warum gilt das nicht auch für unsere Zeit? Während heutzutage die Atomisierung der künstlerischen Stile und des Kunstmarktes der Zersplitterung der Weltbilder entspricht, führt sich der Zeitgenosse das Panorama geschlossener Welten besonders gern vor Augen, um für kurze Zeit der anstrengenden dissoziativen Gegenwart enthoben zu sein. Darum sind historische Romane und museale Retrospektiven so beliebt. Die Gemäldegalerie am Tiergarten in Berlin zeigt in ihrer Ausstellung »El Siglo de Oro – Die Ära Velázquez« eine der glanzvollsten Epochen der Kunstgeschichte, jene des spanischen Goldenen Zeitalters im siebzehnten Jahrhundert, als Spanien ein Weltreich war, das bereits Zeichen der Auflösung zeigte. Die Ausstellung wird anschließend vom 25. November bis zum 26. März 2017 in der Münchner Kunsthalle zu sehen sein.
In der Gemäldegalerie am Tiergarten verwendete man den Basilika genannten Zentralraum, durch den der Besucher im Zickzack geführt wird. Die Ausstellung beginnt und endet jeweils mit einem für Spanien besonders untypisch Maler, der jedoch im Nachhinein als besonders typisch betrachtet wird: Sie fängt mit El Greco an, wobei man Gelegenheit hat, seinen hl. Martin in beiden Fassungen (Chicago, Washington) zu sehen. Der unvergleichliche Grieche erscheint uns ebenso wie J. S. Bach wie ein gotischer Monolith, der in eine andere Zeit geschleudert wurde. Und ebenso wie Bartolomé Esteban Murillo am Ende der Ausstellung ist der Grieche Erbauer starker Brücken von Italien nach Spanien, wie denn die spanische Kunst jener Epoche als permanente Auseinandersetzung mit der italienischen gesehen werden kann. Leicht vermag der Besucher sich davon zu überzeugen, indem er hin und wieder die zentrale Basilika verlässt und einen Abstecher in die ständige Sammlung der Gemäldegalerie unternimmt. Dabei stechen auch die Unterschiede ins Auge. Italien schien über eine Seinserfülltheit, eine Lebensfreude zu verfügen, die der spanischen Kunst und Gesellschaft fremd war, deren Schlachtruf ¡Viva la muerte! (Es lebe der Tod!) auf jedem der Bilder erklingt. Denn dies ist die Kunst des Goldenen Zeitalters in Spanien: Eine großartige Feier des Todes.
Zwerge, Herrscher und Titanen
Auch das Fließende der italienischen Haltung und Bewegung ist dieser spanischen Malerei fremd, die ihre Würde und Eleganz in der statuarischen Haltung und in der dramatischen, aufgeschreckten Geste sucht. Ende des siebzehnten Jahrhunderts ist die Zeit der Melancholie und Hoffnungslosigkeit angebrochen, wie sie sich einschüchternd im Bilde König Karls II. von Spanien als zwölfjähriges Kind offenbaren, das Juan Carreño de Miranda 1673 vollendete. El Hechizado (»der Verhexte«) blieb kinderlos und sollte als letzter der spanischen Habsburger in die Geschichte eingehen. Auch spätere Bildnisse des Monarchen sollten nicht einen Hauch von Optimismus zeigen. Uns erscheint sein Kinderbildnis wie eine Figur aus Oscar Wildes Märchen »The Birthday of the Infanta«, er selbst wie ein früh gealterter Knabe, der vor der Zeit einen Blick in die Tragik der Welt getan hat. Das Bild ist ein Meisterwerk der Porträtmalerei, das zudem die Gedanken auf die eingeborene Tragik der menschlichen Existenz lenkt. Der desillusionierte Blick dieses Knaben ist auch der Blick unserer Zeit auf Welt und Geschichte.
Von tiefer Menschlichkeit ist des Velázquez kleinformatiges Bildnis eines Hofnarren mit Buch auf den Knien, 1636-1638 ausgeführt (Prado). Der alles andere als komische Zwerg scheint ebenfalls Wildes’ genanntem Kunstmärchen entsprungen. Dieser Hofzwerg ist ein gelehrter Mann, wie das große Buch, Papier und Feder beweisen. Seine Bildung freilich vertieft noch die Tragik seiner Existenz. Es wirkt wie ein Paukenschlag, dass direkt daneben des Velázquez Bildnis des Mars von 1638 hängt (Prado). Zwischen Rückschau, Reflexion und ungeheuren Taten wirkt dieser Gigant einerseits als ein Bruder des Denkers von Rodin, andererseits als Ahn von Goyas menschenfressendem Saturn. Ein Gigant ist der Künstler, ein Gigant der dargestellte Mann, und die Erinnerung daran, dass der Mensch zum Besten wie zum Schlimmsten fähig ist, sollte man angesichts dieses Kunstwerks nicht auf die spanische Geschichte allein beziehen.
Von anrührender Zartheit
Ein Herrscherporträt wie das des Conde Duque de Olivares, ausgeführt von Velázquez im Jahre 1635 (Metropolitan Museum, New York), wirkt gegen den Titanen geradezu possierlich. Das mittelgroße Gemälde ist eines von Velázquez’ bauchschweren Pferdebildern, die ihm die Bewunderung der Nachwelt, aber auch die Kritik mancher Reiter eingebracht haben. Der Herzog suchte am spanischen Hof eine ähnliche Rolle zu spielen wie Richelieu und Mazarin am französischen und die Zentralgewalt der Krone zu stärken. Der Maler bedient sich einer Ikonographie, wie sie noch heute in Politikerporträts bemüht wird. Der Porträtierte weist nach vorn und tut so, als wüsste er, wo’s langgeht. Dies freilich verhinderte den späteren Sturz des Herzogs nicht.
Zu Recht nennt sich die Ausstellung »Die Ära Velázquez«. Die Vielfalt der künstlerischen Dimensionen des Diego Rodríguez de Silva y Velázquez ist ehrfurchtgebietend, seine Vorgriffe auf moderne Kunst sind immer wieder verblüffend. Die klassischen Bildtypen Herrscherporträt und Porträt des Adels, Heiligenfiguren und Genre vermag er nicht nur vollkommen auszufüllen, fast immer geht er ein entscheidendes Stück über die Konvention hinaus und stößt in ungesehene Dimensionen vor. Aus Velázquez’ Werkstatt ist in der Berliner Ausstellung auch das kleinformatige Bildnis eines Mädchens (Galerie Sarti, Paris), zu sehen, dass der Meister vermutlich zusammen mit dem Kastilier Juan Bautista Martinez del Marzo schuf. Die Zartheit und Delikatesse dieses Mädchenbildes ist anrührend und zeigt wiederum die scheinbar grenzenlosen künstlerischen Möglichkeiten des Malers. Eines der bestausgestatteten privaten Museen Europas, die Dulwich Picture Gallery in London, steuerte mit dem Bildnis Philipps IV., in Velázquez Werkstatt etwa 1644-60 ausgeführt, ein Hauptwerk der europäischen Porträtmalerei bei. Das Berliner Museum kann freilich mit zahlreichen Werken aus eigenem Bestand aufwarten, wie dem Bildnis einer Dame von 1630/33, in dem Velázquez mit hochartifizieller Verunklärung arbeitet, um zu genauerem Hinschauen zu zwingen und dem Bildnis einen irisierenden Zauber zu verliehen.
Kirche und Adel als Auftraggeber
Im Berliner Museum hängt auch das Bildnis des Don Alonso Verdugo de Albornoz von 1636 von Francisco de Zurbarán. Der ebenso jugendliche wie steifbeinige Hidalgo in Pumphosen dürfte neben dem hl. Franziskus von 1640 (Barcelona) das bekannteste Werk des Meisters aus der Extremadura sein. Es ist kein lebensfroher, mit den Tieren sprechender Franziskus, den der spanische Maler uns hier vorführt, sondern ein in radikaler bildnerischer Reduktion gezeigter, von der Ernsthaftigkeit und Düsternis des spanischen Katholizismus durchdrungener Heiliger. Noch weiter geht Zurbarán in der Verunklärung und Abstraktion bei seiner Darstellung des Schweißtuches der hl. Veronika, dem sog. Santa Fez von 1658 (Valladolid). Das Bild könnte ohne aufzufallen in einem Museum der Moderne hängen.
Als fruchtbar für die spanische Kunst erweist sich die permanente Auseinandersetzung mit Italien. Der aus Burgos stammender Diego Polo malte in den 1640er Jahren ein Martyrium des hl. Stephanus (Lille) unter frappierendem Einfluss von Tizian, dessen Selbstporträt aus eigenen Beständen das Berliner Museum danebengehängt hat. Und auch die Dolcezza Murillos ist ohne italienische Vorbilder kaum denkbar, da die spanische Malerei von sich aus zum Düsteren, Strengen neigt. Und so schließt die große Retrospektive des Siglo de Oro mit drei der bekanntesten Werken des Mannes aus Sevilla, darunter die Taufe Christi von etwa 1655 (Berlin), die in ihrem ebenso fließenden wie pathetischen Gestus eng der neapolitanischen Barock verpflichtet ist. Solange Adel und Kirche herrschten, ging es dem Künstler gut, und er genoss nicht selten höchstes soziales Ansehen. Ein Maler, der Kirche und Adel als Auftraggeber genießt, hat es mit einer gesellschaftlichen Elite zu tun, die seine Werke zu schätzen weiß, kultivierten, hochgebildeten Menschen, die als Sammler kritischer Widerpart sein können. Ist auch die Auswahl seiner Themen beschränkt, befindet er sich doch in einer weit besseren Situation als der Kollege auf dem »freien Markt«, der alles tun muss, um der Menge zu behagen.
El Siglo de Oro. Die Ära Velásquez
Ausstellung bis zum 30. Oktober 2016
Katalog: Spaniens goldene Zeit: Die Ära Velázquez in Malerei und Skulptur
Gemäldegalerie
Matthäikirchplatz
10785 Berlin
Öffnungszeiten:
Mo geschlossen
Dienstag, Mittwoch, Freitag-Sonntag: 10 bis 18 Uhr
Donnerstag: 10 bis 18 Uhr
14 Euro/7 Euro
Dr. Stephan Reimertz, geb. 1962 in Aachen, ist als Kunsthistoriker ein typisches Produkt der strukturanalytischen Schule von Hans Sedlmayr in München. Seine philosophischen Lehrer waren u. a. Stephan Otto, Rudolf Schottlaender, Robert Spaemann und Wolfgang Stegmüller. Seine Musiklehrer waren Gerhardt Schroth (Klavier) und Sergiu Celibidache (Dirigieren und Musikphänomenologie).
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