Rezension von Barbara Hoppe.
„Hiersein ist Herrlich“. Marie Darrieussecq, diese etwas spröde, französische Autorin, die erst im letzten Jahr mit der Dystopie „Unser Leben in den Wäldern“ eine verstörende Zukunftsvision entworfen hat, blickt in ihrem neuen Buch zurück – und gibt dem Ganzen einen Titel, den sie bei Rilke stibitzt hat. Das Zitat aus den Duineser Elegien ziert das Cover und wird gleichrangig durch einen zweiten Teil ergänzt: „Das Leben der Paula Modersohn-Becker“.
Es ist sicher nicht ganz zufällig, dass die eigenwillige Autorin an der ebenso eigenwilligen Künstlerin einen Narren gefressen hat. 2016 fand eine Ausstellung mit Werken von Paula Modersohn-Becker in Paris statt. Eine der wenigen, bedenkt man, welchen Ruhm sie in Deutschland erlangte und vor dem Hintergrund, dass die Künstlerin mehrmals in Paris war und die Stadt sehr liebte. Marie Darrieussecq bereitete diese Schau mit vor. Noch während der Vorbereitungen begann die Französin tief in die Gedankenwelt der Worpsweder Künstlerin einzutauchen. „Schreiben, zeigen – für mich war das dieselbe Geste der Zuneigung“, erklärt sie in der Danksagung.
Rainer Maria Rilke – der Geist, der über allen schwebt
Und doch gibt sie ihrem Büchlein keinen reinen Paula-Titel. Rainer Maria Rilke steht ganz vorne, Paula Modersohn-Becker ist in seinem Schlepptau. Er ist Rilke, sie Paula. Vermutlich liebten sie sich. Geheiratet haben sie jemand anderen: Er ihre beste Freundin, die Bildhauerin Clara Westhoff, sie Otto Modersohn. Doch Paula ist nicht denkbar ohne Rilke. Die Worpsweder Künstlerkolonie um Otto Modersohn, Heinrich Vogeler, Fritz Mackensen, Fritz Overbeck, Hans am Ende und Carl Vinnen ist nicht denkbar ohne Rilke. Er, der in Prag geboren wurde, mit Lou Andreas-Salomé, Nietzsche, Tolstoi und Freud bekannt war, aber auch Vogeler zu seinen Freunden zählte, war ein Globetrotter. Im September 1900 kam er nach Worpswede – und war ein Ereignis im ereignislosen Alltag des Dorfs im Moor. Doch in seiner Monographie über die Maler der Künstlerkolonie fehlt Paula.
Die Frau und Künstlerin zwischen den Zeiten
Es fehlt diese Paula, die sich in dem Schubkastensystem ihrer Epoche nicht wohl fühlte und doch kaum eine Möglichkeit hatte, ihm vollends zu entfliehen. Ein Glück für sie, dass ihre Eltern klug und nachsichtig genug waren, ihr den künstlerischen Weg nicht zu versagen. In Worpswede fand sie ihre Motive, in Paris blühte sie auf. Aber immer fehlte das Geld. Nur drei Bilder hat sie zu Lebzeiten verkauft. Ihr Leben hing ab von den Männern. Otto Modersohn, der schon erfolgreiche, unterstütze sie. Auch wenn er sich die Ehefrau zu Hause wünschte, ließ er sie nach Paris gehen und finanzierte den Aufenthalt. Sie blieb eigenwillig – als Künstlerin wie als Frau. Ihre Porträts zeigen die Menschen aus dem Dorf: Alt oder verbraucht, ohne pralle Brüste und gar nicht sinnlich. Nichts, was ihrem Mann so richtig gefiel. Dabei war sie eine Pionierin. Freilich eine, die man erst nach ihrem Tod als solche erkannte. Sie schuf das erste Selbstporträt einer malenden Frau, das erste weibliche nackte Selbstbildnis und sie malte sich als Schwangere. Schließlich ließ Ludwig Roselius ihr 1924 in Bremen ein eigenes Museum bauen. Es ist das erste weltweit, das einer Künstlerin allein gewidmet ist.
Ein Karteikasten voller Gedanken
Marie Darrieussecq bleibt dicht an ihrem Subjekt. Die Briefe zwischen Paula, Otto und Rilke sind eine aufschlussreiche Quelle der Gedankenwelt, in der sich die kleine Worpsweder Gemeinschaft bewegte. Sie wühlt sich durch die Briefe und Tagebücher, sichtet die Bilder und notiert, was sie liest und sieht. Das Ergebnis ist das paraphrasierte Leben einer Künstlerin, die ihre Position im Leben wie in der Kunst suchte. Sachlich und doch poetisch-pathetisch klingen die Worte von Marie Darrieussecq wie Notizen, um im nächsten Moment von ihr ironisch kommentiert zu werden. Ob es um den Tourismus in Worpswede geht oder um die Männer und Frauen der Künstlerkolonie – Marie Darrieussecq kokettiert mit der eigenen Wissbegierde ebenso wie mit der Resignation davor, dass Frauen nur als „Frau von….“ übrig bleiben oder gänzlich in Vergessenheit geraten. Ein Schicksal, dass die erste, verstorbene Frau von Otto Modersohn ereilt. Und doch gelingt Marie Darrieussecq eine Paula Modersohn-Becker angemessene Biographie. Eigenwillig, intensiv und sehr persönlich. Eine würdige Hommage.
Marie Darrieussecq
Hiersein ist Herrlich. Das Leben der Paula Modersohn-Becker
Secession Verlag, Zürich 2019
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