Der zweite Teil (Teil 1) unseres Luc-Henri-Roger-Festivals ist ad maiorem Ludovici gloriam gewidmet. In seiner Anthologie mit französischen Gedichten über Ludwig II. vereint Roger Bekanntes mit völlig Unerwartetem. Neben Verlaine, Apollinaire und Robert de Montesquiou huldigt ein Autor wie Robert Goffin in einem wenig bekannten Gedicht von 1939 oder die junge Barbara Biguot-Frieden dem König von Bayern. Von Stephan Reimertz.
»Heute weiß man, dass die eigentliche Wahnidee dieser Zeit nicht in der Gedankenwelt des bayrischen Königs lag, sondern in den Blut- und Eisen-Phantasien der offiziellen Politik«, sagt Peter Gauweiler über die Jahre der Reichsgründung, deren hundertfünfzigster Jahrestag heuer so unbemerkt über den Kalender lief wie eine Ameise über die Klaviertastatur. Wo ist Bismarcks Reich geblieben? Das Reich Ludwigs II. war ein geistiges, und es hat ebenso überlebt wie das von Richard Wagner. Est-ce que Wagner qui fait Louis II, ou Louis II qui crée Wagner? fragt Hubert Juin in der wertvollen neuen Anthologie. On ne fait plus la différence, tout est dans le même moment. Die Dichter haben schon zu Lebzeiten des Monarchen in ihm den »Prototyp einer wahren Majestät eigenen Rechts« (Lothar Machtan) erkannt. Stéphane Mallarmé, der Richard Wagner in einem Gedicht huldigte, spielte nicht auch er in dem Sonett Le vierge, le vivace et le bel aujourd’hui auf den König an?
Ein großes Erbe
Eine Hymne ist das bekannte Gedicht von Verlaine, der den Erlauchten unmittelbar nach seinem Tod le seul vrai roi de ce siècle nannte. Mit dieser Apotheose beginnt die Sammlung von Luc-Henri Roger, Le Roi Louis II de Bavière dans la poésie francaise, die das Zeug hat, nicht nur in Bayern zu einem Kultbuch zu avancieren. Da nach den schillernden Filmepopöen von Käutner und Visconti vor einigen Jahren auch ein geistloser Historienfilm deutscher Machart über die Kinoleinwand flimmerte, hat besonders die Jugend ein Recht darauf, wieder einen Schimmer von der Idee abendländischen Königtums zu erhaschen. Die hinreißenden und formal so verschiedenen Gedichte, welche Roger in seiner Anthologie vereint, sind hierzu ein vielversprechender Beitrag. Der hochbegabte Herrscher, der am richtigen Ort, allein zur falschen Zeit erschien, weitläufig belesen, im Französischen so gut wie muttersprachlich, interessiert an allen Wissenschaften und Künsten, fasziniert von technischen Neuerungen, ein Humanist, Friedensfürst, Poet und Melancholiker, ist in seiner kulturellen Bedeutung für Bayern nur mit seinem gleichnamigen Großvater zu vergleichen, der am gleichen Tag wie er geboren war. Beider Regierungen endeten gewaltsam. Allein Ludwig I. verdanken wir das Wesentliche des heutigen Münchens, seinem Enkel vor allem die Vollendung des Werkes von Richard Wagner, des mit seinem Namen untrennbar verbundenen Komponisten; beiden Königen zusammen danken wir die heute mehr denn je charismatische und einzigartige Stellung Bayerns in Europa und der Welt.
Der französischsprachige Teil Bayerns
Bayern und Österreich sind die einzigen deutschen Länder, von denen man noch etwas ästhetische Disziplin erwarten kann. Allein es waren die fürstlichen Dynastien, die im Laufe der Jahrhunderte aus ländlich orientierten Bauernvölkern ästhetisch aufmerksame Bürger erzogen und geformt haben. Um nur ein Beispiel herauszugreifen: Abgesehen von den vielen Komponisten, welche die Familien Habsburg und Wittelsbach selbst geboren haben, brachte die Kooperation von Herzog Albrecht V. von Bayern und Orlando di Lasso nicht nur eine auf ganz Europa ausstrahlende Musik hervor, sondern war auch so etwas wie ein frühes Modell der späteren Freundschaft von Ludwig II. und Richard Wagner. Es ist frappierend, welche weit auseinanderliegenden Quellen Luc Roger angezapft hat, um diese kostbare Blütenlese von Gedichten der poètes ludwiguiens vorlegen zu können. Beispielsweise dürften nur wenige die Dichterin Barbara Biguot-Frieden kennen. In vielen Fällen steht der Herausgeber auch in Kontakt mit den Dichtern oder ihren Rechtsnachfolgern. In einem historischen Vorwort gibt der Herausgeber einen Überblick über die Entwicklung, die das Bild des Königs in der frankophonen Welt nahm. Dabei ist die französische Sprache, neben dem Lateinischen und Italienischen, für München etwas überaus Selbstverständliches, als ein Idiom des Hofes, des Adels und der Kultur; in einer französisch-bayrischen Dichterin wie Annette Kolb verkörpert sich diese Verbindung auf höchst amüsante Weise.
Die Würde der Krone und der Lärm der Straße
Folgt man Roger, so war es niemand anders als Catulle Mendès, der nach seinem Besuch in München im Jahre 1869 mit einem Artikel in der Zeitschrift l’Artiste Ludwig II. in die Gedankenwelt weiter Kreise in Frankeich einführte, wobei vieles rund um den jungen Herrscher als märchenhaft empfunden wurde, selbst der Name seines Geburtsschlosses: Nymphenburg, der ja alles andere als neu war und in welchem der heutige Herzog von Bayern residiert. Die Thronbesteigung von Prinz Ludwig von Bayern, 1982 in Landsberg am Lech geboren, würde freilich nicht für Bayern allein, sondern für ganz Deutschland einen uneinholbaren Standortvorteil auf verschiedenen Ebenen bringen und wäre mit der bayrischen Verfassung ohne allzuviel Schwierigkeiten zu verwirklichen. Plebejische Renitenz, an der es bis heute nicht fehlt, zeigten die Münchner indes bereits 1869, wie ein weiterer Besucher aus Frankreich berichtet: Der Journalist Albert Wolff setzte die Leser des Figaro vom Starrsinn der Straße in Kenntnis, welcher sich in München gegen das Engagement des Königs für Richard Wagner, auflehnte. Schon damals zeichnete sich ab, wie das ländliche Volk und der Adel, auch der geistige, zum König stand, indes bürgerliche Erbsenzähler gegen ihn auftraten; eine Konstellation, die sich in der Frage des Beitritts Bayerns zum preußisch dominierten Deutschen Reich im Jahre 1871 – viele nannten den Beitritt einen Fehltritt – wiederholte. »Bayern macht mit dem Nordbund Schwierigkeiten«, notiert Cosima Wagner am 16. November 1870, »R. bedauert, daß Bismarck so wenig Phantasie habe und nichts anderes den Verbündeten zu bieten wisse als unbedingten Eintritt in die preußische Schöpfung.«
Die Dichterin Barbara Bigot-Frieden
Rogers Anthologie bringt uns auch in Kontakt mit einer jungen intellektuellen Elite in den französischsprachigen Ländern. Das Gewässer, in dem der König fünfzehn Jahre nach der Reichsgründung den Tod fand, hieß damals mitnichten Starnberger See; sein Name war bis 1962 Würmsee, was zu gedämpfteren Grundstückspreisen führte. Die heute sechsundzwanzigjährige Dichterin Barbara Bigot-Frieden aus Fontenay-aux-roses transzendiert diesen Ort des Todes in eine kühne Metaphorik. Zum Ausklang hier eine auch für den deutschen Leser leicht verständliche Passage aus ihrem Gedicht:
Au fond du lac
La couronne gèle,
Et l’eau souffle
La chandelle.
Le Mystère
N’est plus.
Il grêle
Sur La Bavière
– Barbara Bigot-Frieden, geb. 1994, Hommage à Louis II. de Bavière, 2018
Luc-Henri Roger
Le Roi Louis II de Bavière dans la poésie francaise
Books on Demand, Paris 2020
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Bei allem Verständnis für Schwärmerei, aber eine „Thronbesteigung“ eines Mitglieds der Familie Wittelsbach in Einklang mit der Bayerischen Verfassung zu bringen, zeugt von Unkenntnis und von einer Infragestellung demokratischer Werte, von der wir alle profitieren. – Mitnichten, um bei der Formulierung des Rezensenten zu bleiben, hieß der Starnberger See 1886 NICHT Starnberger See. Ein Blick in Bücher und Zeitungen dieser Zeit und davor beweist es. Hier wird die amtliche (!) Benennung von 1962 verwechselt mit der schon sehr viel länger verwendeten Bezeichnung.
„… von der wir alle profitieren.“ Von (der) Unkenntnis…? … (der) Infragestellung gar …?
Mit vorzüglichen Erbsenzählergrüßen. Stefan A.
Wie kann ein Mensch SOOOO klug sein??? Stephan: phantastisch!!! Ich habe zwar vieles nicht wirklich verstanden, aber Du hast mich dennoch zu einem geistigen Segelflug verführt … DANKE, wobei das Bild vom Segelflug eher nicht stimmt: ich will nicht herabschauen, ich will hinaufblicken …- Wie gerne würde ich jetzt Gedichte auf deutsch lesen, weil ich auch zu doooof bin, dies in der Ursprungssprache zu tun, in der dann ja auch immer noch ganze andere Winde säuseln … In einer ruhigen Minute will ich den Text nochmals lesen – und dann werde ich mir akrobatische Wort-Wendungen rausschreiben, die mich auch sehr, sehr beeindrucken: stv. für viele – „Plebejische Renitenz“ – Ich muss in die Banalität zurückkehren … Dank auch zu Dir, Barbara, dass Du in der Weise eine Glücks-Beschafferin für mich bist …