Rezension von Barbara Hoppe.
„Was macht eine Knackwurst erst genießbar?, fragte sie, und mein Vater lachte schon bei der Frage los, bis seine Augen klein wurden und er ganz jung aussah. Ich weiß es nicht, ich weiß es nicht!, lachte er. Sag es uns!, rief ich, und meine Schwester schrie triumphierend: Das n!“
In diesen wenigen Zeilen ist alles drin, was den Debütroman von Dana von Suffrin ausmacht: das Derbe, das Komische, das Vatersein, die Tochterliebe und jede Menge Humor. Der Vater, das ist Otto, ein pensionierter jüdischer Ingenieur, der mit seinem siebenbürgischen Akzent und der immer wieder aufblitzenden, leicht verrutschten Grammatik ein Familienpatriarch erster Güte ist. Er ist es, der zu einem der schönsten Einstiege der Literatur inspirierte: der Widmung „Für alle pensionierten Ingenieure“.
Otto, der nach dem Zweiten Weltkrieg mit seinen Eltern in Israel landete, dort in drei Kriegen kämpfte und schließlich als Ingenieur und Computerspezialist einen respektablen Wohlstand in Deutschland aufbaute. Das Leben seiner Ehefrauen ruinierte er, die Töchter Babi und Timna stehen kurz davor, angesichts des nun alten und pflegebedürftigen Haustyrannen den Verstand zu verlieren. Mehrfacht totgesagt, stand Otto immer wieder auf, schlurfte vom Krankenhaus nach Hause und scharrt seine Töchter um sich, wenn er nicht gerade abwechselnd von Valli aus Ungarn oder Ottla aus Transsilvanien betreut wird, zwei den Alten stoisch ertragende Haushaltshilfen, die auch für die Pflege und das Windelwechseln bei Otto zuständig sind.
Als Otto auf die Idee verfällt, das verwickelte Leben seiner Familie festzuhalten und mit der „schönen Bitte“ an seine Töchter herantritt, sind diese naturgemäß nicht besonders begeistert. Babi, die stämmige und weniger geliebte, winkt gleich ab. Timna hingegen versucht ihr bestes, aber die gemeinsame Geschichte strotzt nicht gerade vor Höhepunkten, wenngleich die eine oder andere Anekdote dabei ist. Da Otto beim Erzählen zudem immer wieder den Faden verliert und Timna feststellen muss, dass es ein Unterschied ist, etwas zu erzählen oder es als fesselnde Geschichte aufzuschreiben, kapituliert sie bald vor der Aufgabe.
Es ist ein reizender Kunstgriff von Dana von Suffrin, uns die Geschichte von Otto und seinen Töchtern über den gescheiterten Versuch erzählen zu lassen, eine Familiengeschichte aufzuschreiben. Das Ergebnis ist mehr als respektabel: Mit einer Mischung aus Verzweiflung (bei Töchtern und Ehefrauen), Humor (bei allen) bis hin zum fatalistischen Zynismus (bei Otto) entfaltet Timna ein Kaleidoskop jüdisch-deutsch-siebenbürgischer Schicksale. Eine reiche Geschichte, die zusammengedampft auf eine schräge, skurrile und nie so richtig funktionierende Familie für viele Lebenswege des 20. Jahrhunderts steht.
Gleichzeitig ist es trotz allen Unbills das liebevolle Porträt eines Vaters, der geliebt und gehasst wird und der die Anstrengung des Altwerdens mit Sarkasmus trägt. Dana von Suffrin erzählt von der Herausforderung Familie und was sie trotz allem bedeutet. Es ist ein permanentes Streben nach Glück, das Fertigwerden mit Enttäuschungen, das Ankommen in dem, was man erreicht hat und dem Abschiednehmen von Träumen und Menschen. Mit leichter Hand gelingt Dana von Suffrin ein tiefgründiges Nachdenken über Last und Lust der ewigen Verbundenheit namens Familie.
Dana von Suffrin
Otto
Verlag Kiepenheuer & Witsch, Köln 2019
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