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Die Gralsburg als Irrenhaus. Richard Wagners „Parsifal“ an der Wiener Staatsoper

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Die Gralsburg als Irrenhaus. Richard Wagners "Parsifal" an der Wiener StaatsoperWagners Bühnenweihfestspiel ist schwer zu inszenieren. Alvis Hermanis versucht es gar nicht erst. Von Stephan Reimertz

Schon vor der Premiere Ende März erzählte man sich in Wien, ein österreichischer Politiker habe den lettischen Regisseur Alvis Hermanis über den Kopf des Operndirektors Dominique Meyer bestimmt, den neuen Parsifal an der Staatsoper zu inszenieren. Sollte die Anekdote auf Wahrheit beruhen, ginge man wohl nicht ganz fehl in der Annahme, in der Besetzungspolitik von oben eine politische Intrige zu vermuten. Der in Riga geboren Hermanis hatte sich vor allem dadurch einen Namen gemacht, dass er 2015 die deutsche Flüchtlingspolitik kritisierte, weil sie damals noch weltoffen und gastfreundlich war. Eine andere Anekdote illustriert die Einstellung heutiger Regisseure gegenüber den ihnen anvertrauten Werken: Alvis Hermanis habe erst einmal nachschlagen müssen, wer dieser Richard Wagner sei. Dabei sei er auf Otto Wagner gestoßen. Das bescherte uns einen Parsifal, der in dem 1907 von Otto Wagner errichteten psychiatrischen Krankenhaus am Steinhof bei Wien spielt. Die Gralsburg wird zum Irrenhaus mit Operationssaal. Die Botschaft: Richard Wagner = Otto Wagner. Was soll das? Über allem prangt die Aufschrift: Wagner-Spital. Mit anderen Worten: Alles ist irgendwie verrückt.

Grober Unfug statt Regiekonzept

Als Regiekonzept wird man dergleichen kaum bezeichnen können. Die Handlung als Gespinst eines Psychopathen darzustellen, mit dieser Idee konnte schon Harry Kupfer beim Fliegenden Holländer 1978 in Bayreuth kaum jemanden überzeugen. Ist es nicht auch ein bisschen billig und soll nur davon ablenken, dass ein Regisseur keine dramaturgisch überzeugende Interpretation anzubieten hat? Die Gralsritter sind eine angeschlagene Schar von Glaubenskämpfern. Bei Hermanis sind sie Psychiatrie-Patienten. Gurnemanz (Kwangchulk Youn) ist der Chefarzt. Der philosophische Gehalt des Parsifal bleibt unberührt. Damit müsste man sich ja auch einige Jahre ernsthaft beschäftigen. Unangenehm ist die wenig variable weißliche Dauerbeleuchtung der Bühne, der grell absticht von der fein nuancierten, auf Schönheit getrimmten Interpretation von Semyon Bychkov und dem Staatsopernorchester. So gehalten die Tempi auch sind, selten verliert die Musik Spannung. Allerdings könnte man sich, besonders in den Zwischenaktmusiken und den Chorszenen, sehr viel mehr Dramatik vorstellen; man denke nur daran, wie Christian Thielemann in seinem Salzburger Parsifal von 2013 aufgedreht hat.

Kundry auf der Couch

Nina Stemme als Kundry / © Michael Pöhn

Bychkov malt die Partitur wunderhübsch aus, und es fehlt nicht an emphatischen Momenten. Allerdings vermisst der Zuhörer einen überzeugenden analytisch-interpretatorischen Ansatz. Alles ist kleinen Strukturen und schönen Wirkungen untergeordnet. Die Gretchenfrage jeder Parsifal-Inszenierung ist, ob der Regisseur die Rolle der Kundry verstanden hat. Ihr Tod symbolisiert die Erlösung vom Fluch des Seins und ist von Wagner ausdrücklich in Musik und Regieanweisung vorgeschrieben. In Wien spaziert Kundry (Nina Stemme) einfach zur Tür hinaus. Natürlich landet sie auf der Freund-Couch, wie denn kaum ein touristisches Versatzstück aus Wien fehlt. Alvis Hermanis zeigt den Wienern alle Wien-Klischees und erinnert dabei an einem Fremden, der zum ersten Mal in einer Stadt ankommt und einem dortigen Fremdenführer anbietet, ihm die Schönheiten der Stadt zu zeigen.

Parsifal
Wiener Staatsoper
Opernring 2
1010 Wien

 

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