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Statt Kino: Ein Bilderbuch-„Parsifal“ mit betörendem Tiefgang oder „The Bright Side of Life…“

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richard wagner porträt

Die Bayreuther-Kinderoper ist längst kein Geheimtipp mehr. Sie ist ein Dauerbrenner, zur Tradition avanciert und Garant dafür, Richard Wagners Gesamtkunstwerke gehaltvoll, kurz und eindringlich fantasievoll zu erzählen. Von Barbara Röder.

Komponisten-Urenkelin und Festspielleiterin Katharina Wagner gilt als uneingeschränkte Befürworterin des erfolgreichen Projekts. Sie ist sozusagen die „Schirmherrin“ dieser beliebten „Richard Wagner-für-Kinder“-Serie. Als illustrer, reißerisch bunter Festivalauftakt begeisterten auch in dieser Saison die spielfreudigen, exquisiten „Parsifal“ Protagonisten, die allesamt beglückende Wagnersängerinnen und Wagnersänger vom Feinsten sind, Jung und Alt.

Die musikalische Leitung hatte Azis Sadikovic. Regie führte Ruth Asralda. Die an Robin Hood erinnernde Szenerie gestaltete Linda Tiebel. Die köstlich, märchenhaften Kostüme sind von Ilona Kühler und Marion Kral.

Alvin ist stolz. Er kennt die Geschichte vom reinen Toren, der seinen Namen nicht weiß und die Märchenwelt im Wald rettet, gut. Denn er war schon mehrmals hier. Seine Eltern musizieren im Orchester des Brandenburgischen Staatsorchesters Frankfurt: die Mama an der Flöte, der Papa an der Geige. Alvin hat sich natürlich einen Platz auf der Bank in der ersten Reihe gesichert und legt stolz das Programmheft zwischen uns beide. Ich bekomme es als „Greenhorn der Zauberschlossoper „Parsifal“ erst nach der lautstark begrüßten Vorstellung. Der König, ein jammernder Gesell mit langem rotem Haar ist derjenige mit der Wunde, also Amfortas. Der gefällt dem kleinen Musiker Alvin am allerbesten. Denn Alvin spielt Geige. Nur jetzt übt er gerade nicht, denn er hat Ferien. Amfortas (Ólafur Sigurdarson) geht allen ganz mächtig auf den Nerv. Er jammert und jammert vor Schmerz, wo doch echte Könige nicht so klagen dürfen, oder? Habt ihr schon mal ein Märchen mit einem nölenden König gelesen? Das kennen die Kinder aber von zu Hause vielleicht nur zu gut. Sie lieben den armen König sehr. Er ist Identifikationsfigur und bringt sein Gejammer urkomisch und ein bisschen übertrieben herüber. Das ist klasse. Empathie ist wichtig. Papa Klingsor schimpft natürlich. Alles wie im richtigen Leben! Denn Sohnemann Amfortas hat sich voll ablenken lassen. Schwups war der Speer, auf den er hätte aufpassen sollen und der super zaubern kann, weg. Torten naschen, Fußball spielen oder nur in die Luft gucken, gehen gar nicht, wenn man einen wichtigen Auftrag hat. Was dieser schlaue Alvin alles weiß! Doch dann gehts los. Ich bin voll gebrieft! Betörend schön zelebriert das blitzsauber klingende Orchester das berühmte „Parsifal“-Vorspiel. Astralklänge schimmern und  leuchten. Während der kurzweiligen Vorstellung werden viele musikalische Wiedererkennungs-Ausschnitte des „Parsifal“ gespielt und gesungen. Alle wichtigen Rollen, wie die des Gurnemanz, der es liebt ein Nickerchen auf dem Rand des Mittelalterbrunnens zu machen, sind höchst unterhaltsam. Zudem verbreitet das spielfreudige Ensemble ultra-viel Spaß, der von allen aus vollstem Herzen kommt. Mit Weltklasse-Niveau! Das versteht sich von selbst.

Robin Hood entpuppt sich als Parsifal (Jonathan Stoughton) und singt wundervoll.

Den kleinen „Grals-Guckern“ steht der Mund offen. Ihre Augen leuchten. Die besorgten Zwischenrufe und Ratschläge sind in ihrem kindlichen Ernst beispielhaft. „Soll der Gral Kraft Dir schenken, lass Dich nicht ablenken“ ist der Slogan des Tages. Alle schauen auf eine mittelalterliche Wallanlage mit Zugbrücke. Große Blumen blühen an den Seiten. Ein bisschen „Robin Hood“-Feeling, gemischt mit einer Brise Monty Python ist spürbar. Für mich als Erwachsene jedenfalls. (Bühne: Linda Tiebel)

Eine grüne Kräuterhexe, Fee und Heilerin hat zu Beginn des Spektakels alle darauf eingestimmt, dass unbedingt eine Salbe für den armen Amfortas nötig ist. „Soll der Gral die Kraft Dir schenken, lass Dich nicht ablenken“, raunzt sie beschwörend in den Saal. Reimen tut sich das aber nicht so gut. Das Dichten muss sie noch viel üben. Oder soll sie doch mal die „Meistersinger“ fragen? Na, das ist aber eine ganz andere Oper. Das lassen wir dann doch. Dauert zu lange und die sind grade auch nicht da.

Gurnemanz (Andreas Hörl) ist hellwach und erklärt Parsifal (Jonathan Stoughton) wie er den
Zauberspeer im Klingsorland finden kann.

Endlich kommt der Held: „Parsifal“ im „Retter-der-Armen-Gewand“, Robin Hood eben. Hat dieser Schlingel doch mir nix, dir nix einen Schwan abgeschossen. Gurnemanz (Andreas Hörl) schimpft lautstark und das mit sonorer, balsamischer Stimme. Das arme Tier!

So was geht gar nicht hier im Zauberwald. Und, dieser Parsifal (Jonathan Stoughton) weiß noch nicht einmal seinen Namen, hat vor nichts Angst. Vernascht ist er auch, denn er steckt sich gerne mal zwei Mäusespeck, Marshmallows in den Schlund. Wir verzeihen ihm, denn er singt so traumhaft schön. Es ist halt ein echter Held mit Tenorstrahlkraft, der die glückselige Unwissenheit genießt, laut Gurnemanz. Szenenwechsel.

Klingsor (Werner Van Mechelen) und Kundry (Nadine Weissmann) beide vollsoundig dunkel tönend, haben den allerschönsten Garten. Ihre Blumen können sogar bezirzend singen. Kundry und Klingsor haben den rettenden Speer in einer Nacht- und Nebelaktion aus der Burg geklaut. Sie lieben es, sich zu kabbeln wie ein altes Ehepaar und sind eigentlich gar nicht so böse. Jedenfalls lässt sich Parsifal, dank des jungen Publikums nicht ablenken. Noch nicht einmal vom fetten Schmatzer der Kundry ist er beeindruckt. Und den hat sie ihm mitten auf den Mund gedrückt! „Bahhh, das hat geschmatzt“, flüstert ein kleines Mädchen im Tüllkleidchen hinter mir. Auf geht‘s dann zurück zur Burg. Der magische „Heilige Gral“ entpuppt sich als Lebenselixier für alle Kreaturen: Das Wasser. Es ergießt sich als silbrig-runder Flitter über den dürstenden Blumen auf der Bühne, über unseren Köpfen und in unsere Kleider. Die Welt ist gerettet. König Titurel (Jens Eric Aasbø) und Sohn Amfortas liegen sich in den Armen. 80 Minuten voller „Wagner-Bühnenweihfestspiel-Glückseligkeit“ sind zu Ende. Die strahlenden, fröhlichen kleinen und großen Gäste jubeln freudvoll!

Papa Titurel (Jens-Erik Aasbø) berät sich mit seinem Sohn Amfortas (Olafur Sigurdarson).
Was ist das Geheimnis? Psssst, aufgepasst.

Die verbindende Idee für beide Neuinszenierung des „Parsifal“, das Augenmerk auf die verschwindenden, lebensnotwendigen Ressourcen zu lenken, ist mehr als klug. Im Falle der Kinderoper „Parsifal“ ist es das Element Wasser. Dies trifft ebenso auf Jay Scheibs Augmented-Reality-„Parsifal“ Neuinszenierung zu.

Kleines Manko auf meiner Seite: Die weiße ferngesteuerte Schlossteich-Ente samt Küken hätte noch ein bisschen länger auf dem blauen Plastik-Teich paddeln können. So konnte ich kein Foto des putzig, weißen Maskottchens der „Parsifal“-Kinderoper machen. Schade!

Ein tiefsinniger und erhellender „Wagner“-Spaß zum Festivalauftakt. Mehr „Bayreuth -Freuden“ gehen nicht! Oder doch? Fortsetzung folgt.

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