Der Debütroman von Hank Green ist ein rasant inszeniertes Medienspektakel. Von Barbara Hoppe.
Hank Green ist Videoblogger, Unternehmer, Musiker und Podcaster. Seit über zehn Jahren betreibt er mit seinem Bruder den YouTube-Kanal Vlogbrothers, er schuf einen Videokanal, auf dem sich Non-Profit-Organisationen präsentieren können, hinzu kommt eine Unterrichtsreihe zu diversen wissenschaftlichen Themen, er ist Initiator und Veranstalter der VidCon, einer der weltweit größten YouTube Konferenzen, er schreibt eigene Songs, betreibt weiterhin seinem Blog ecogeek mit Beiträgen zu Umweltthemen und –technologie, ach ja, Biochemie hat er auch studiert. Und jetzt schreibt dieser Enddreißiger einen Roman. Auch das noch. Ein Format, das er in der Danksagung euphorisch bejubelt: „Ich wünsche mir nur, dass wir uns immer wieder gegenseitig daran erinnern, was für eine coole Sache Bücher sind. Mein besonderer Dank gilt auch den Menschen, die jeden Tag in einer Buchhandlung stehen – Menschen, deren Beruf es ist, euch zu helfen, genau die Bücher zu finden, die ihr lieben werdet, und die – stellt euch vor – das sogar noch viel besser können als irgendwelche Webseiten.“ Das sagt ausgerechnet jemand, der mit Online-Medien wie Blog, Vlog, Facebook und Twitter eine Millionengefolgschaft hinter sich vereint und damit Geld verdient.
Man darf sich zu Recht fragen: Muss das jetzt noch sein? Ein Internet- Star-Unternehmer schreibt ein Buch? Nun, das muss vielleicht nicht sein, aber es darf sein. Vor allem, wenn es so unterhaltsam und flott erzählt ist wie Hank Greens irre Geschichte, die mitten ins Herz unserer Medien – online wie offline – zielt. Die ganze Dynamik, wie aus einem YouTube-Video erst eine Nachricht, dann ein Hype und dann ein Wettlauf um die beste und aktuellste Nachricht wird, ist rasant erzählt. Die Selbstinszenierung, der Narzissmus der YouTube Stars, ihrer Gegenspieler, die Polarisierung, die unweigerlich einsetzt, wenn ein Mensch zur Leitfigur einer Bewegung wird und andere etwas dagegen halten wollen, möchten oder müssen, um im Sturmfeuer der Medien genug aufmerksam zu bekommen – alles ist drin in diesen gut 330 Seiten.
Wer jetzt allerdings glaubt, mit „Ein wirklich erstaunliches Ding“ ein durchgeknalltes Buch in Digital Native Sprech vor sich zu haben, irrt. Hank Green weiß, worüber er schreibt. Schließlich kennt er die Medienszene, die viralen Strukturen der Online-Kanäle und wie man sie erfolgreich bedient. Er hat es nicht nötig, eine verkrampfte Szenesprache schreiben. Seine Heldin ist erstaunlich gleichgültig den Medien, den Online-Medien und dem Stargetue gegenüber. April May, die Ich-Erzählerin, ist 23 Jahre alt, Graphikdesignerin in New York, natürlich in einem Startup beschäftigt, das schlecht zahlt und wo sie halbe Nächte durchschuftet, und sie ist gut befreundet mit Andy. Der wiederum möchte ein YouTube Star werden. Und als April eines Nachts in Manhattan auf eine drei Meter große Metallskulptur trifft, sind die beiden die ersten, die ein Video über „New York Carl“ drehen, wie sie ihre Entdeckung nennen. Was dieses Video auslöst, liest sich so absurd, irre, komisch und spannend, dass einem als Leser fast schwindelig wird. Denn es gibt nicht nur einen Carl in New York, sondern noch 63 weitere, verteilt in den Metropolen der Welt. Sein Metallkörper scheint nicht irdischen Ursprungs zu sein und plötzlich träumen die Menschen alle denselben Traum, in dem sie gemeinsam Rätsel lösen müssen. Das Wort „Außerirdischer“ taucht auf. Verschlüsselte Nachrichten finden ihren Weg über manipulierte Wikipedia-Einträge. April May und ihre Freunde geraten in einen Medienstrudel sondergleichen und so langsam beschleicht alle das Gefühl, dass da nicht nur „ein wirklich erstaunliches Ding“, sondern „ein wirklich erstaunliches UNHEIMLICHES Ding“ am Laufen ist, was allerdings niemanden davon abhält, zu mediengeilen Nachrichtenjägern zu werden. Selbst April May ist davor nicht gefeit.
Ein bisschen fühlt man sich als erwachsener Leser in einen Jugendroman katapultiert. Der ist allerdings so packend, dass man sich gern in diesen abgedrehten Irrsinn hineinbegibt, den Hank Green dann auch stilvoll amerikanisch, mit Action, Krawumm und einer moralischen Botschaft zu Ende bringt. Uff. Das ist fast ein bisschen too much. Aber so zwischendurch darf das ruhig einmal sein.
Hank Green
Ein wirklich erstaunliches Ding
a.d. amerikanischen Englisch v. Katarina Ganslandt
bold (dtv Verlagsgesellschaft), München 2019
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