Giuseppe Verdis selten gespielte Oper „I due Foscari“ als „Kraftwerk-der-Gefühle- Show“ bei den international renommierten Opernfestspielen in Heidenheim. Von Barbara Röder.
„Es ist ein schönes Thema, delikat und recht pathetisch. Voller Leidenschaft und bestens vertonbar“ schreibt Verdi, als er die historische Tragödie in Versen „The Two Foscari“ des Romantikers Lord Byron gelesen hatte. Schon lange hegte Verdi den Wunsch, eine reine „Venedig Oper“ zu komponieren. Natürlich mit einer Aufführung am „La Fenice“. Da die Story um den alten, gebrochenen Dogen Francesco Foscari, die Intrige gegen seinen Sohn Jacopo, belegbar und wahrhaftig 1457 stattgefunden hatte, riet man Verdi, die noch lebenden Nachkommen in Venedig nicht zu brüskieren. Verdi gehorchte. In Rom sah die päpstliche Zensur keinerlei Hindernis für die musikdramatische Umsetzung des „Foscari“ Sujets. 1844 inmitten seiner schweren „Galeerenjahre“ wurde er trotz seiner Erfolge mit „Nabucco“ und „I Lombardi alla prima cruciata“ immer noch als ebenbürtiger Nachfolger Donizettis gehandelt. In jemandes Schatten zu stehen, mochte ihm nicht behagt haben. Verdi war Verdi! Dagegen kämpfte er an. Verdi und sein junger Librettist Francesco Maria Piave machten sich ans Werk und erlebten die Uraufführung des „ I due Foscari“ im Teatro Argentina in Rom, mit seiner energischen Hauptfigur Francesco Foscari am 3. November 1844 als „Mezzo-fiasco“. Die „tinta“ der schönen, absolut herrlichen Tragedia sei zu eintönig, bekannte Verdi später. Die Einschätzung, einen Misserfolg gelandet zu haben, ist im Nachhinein gesehen, Verdis ganz persönliches Empfinden. „I due Foscari“ ist ein Meisterwerk. In diesem leuchten bereits jene existenziellen Themen hell auf, die das gesamte Oeuvre Verdis durchziehen. Im „Simon Boccanegra und im „Don Carlos“ gelangen sie zur Vollendung. Es ist der Konflikt zwischen der herrschenden Staatsräson und den privaten, aus dem Herzen handelnden Gefühlen, welche musikalisch wirkungsvolle Sogkraft und eruptive Sprengkraft aufzeigen.
In „I due Foscari“ werden die letzten Tage des alternden Dogen Francesco Foscari nachgespürt. Er ist im Zwiespalt. Sein Sohn Jacopo wurde durch eine Intrige verbannt. Dieser kehrt zurück, um erneut vor dem Rat der Zehn und dem Senat Rede und Antwort zu stehen: er soll einen Feind der Foscaris ermordet haben. Der Doge ist machtlos. Zum einen ist er Vater, zum anderen unterliegt er dem Eid als Doge, den Schuldspruch des Gerichts anzuerkennen. Zu diesem Konflikt hinzu gesellt sich der aggressive Hass Loredanos, der überzeugt ist, dass der Doge seinen Vater und dessen Bruder vor Jahren meucheln ließ, um sich auf dem Thron zu halten. Lucrezia, Jacopos Gattin fleht, bittet kämpfend darum die Unschuld ihres Gatten anzuerkennen. Sie scheitert. Als der wahre Mörder gefasst ist, ist es zu spät. Jacopo ist vor Schmerz gestorben. Vor Gram und der nicht zu ertragenden Schmach, unter Zwang vom Amt des Dogen zurück getreten zu sein, stirbt auch Francesco.
Geld oder Liebe? Jegliche Macht hat ihren Preis… Krachend tritt er ein aus der Tiefe der Bühne. Loreano suggelt an seinem Milchshake, streicht sich über seinen schwarzen Glitzeranzug. Die Show beginnt! Ein blondes, sexy Revuegirl im kurzen, engen Golddress, ein wenig später mit Federboa auf dem Haupt, folgt ihm. Papptafeln auf denen „Tragedia“ oder „Commedia“ steht welche Blondie Pisana emporhebt, machen klar, was hier gespielt wird. Regisseur Philipp Westerbarkei zeigt die frühe Verdioper „I Due Foscari“, die aus der Epoche Rossinis und Donizetti übernommene und geläufige Form der Nummernoper, als TV-Revue à la Klimbim inklusive „Geld-oder-Liebe-Spass“ mit Cabaret-Flair. In Verdis packenden Opernthriller mit der handfesten Foscari-Familientragöde fragt das Regieteam bis zu welchem Grad ein jeder käuflich ist. Korruption inklusive. Symbolisch hierfür lässt Westerbarkei haufenweise Papiergeld vom Himmel regnen, das sich der Chor, (Senat von Venedig und der Rat der Zehn) in die Taschen stopft. Mit dem Scheine zählen kommen die Korrumpierbaren gar nicht nach. Zudem sind sie als Volk, als Rat der Zehn, in dieser „Foscari-Show“ immer im Dauergeschehen zugegen. Das schwächt deutlich die von Verdi konzipierten intimen, sehr innigen Momente in ihrer Stringenz. Ausstatter Tassilo Tesche legt am Bühnenrand Holzstege aus. Von der Decke hängt ein weit gespanntes Segel aus Plastik herab. Hafenatmosphäre! Und an einen Pfahl baumelt ein dickes Seil. Wir sind in Venedig. Das Seil finden wir als durchlaufende Metapher für diverse „Verstrickungen des Lebens“ in allen Akten: der Doge trägt es als Fallstrick, als Fesseln jeglicher Art, die ihn knebeln. Zu einer Fußfessel wird es beim im Exil und Kerker lebenden Sohn des Dogen Jacopo. In den Händen Loredanos, dem Todfeind der Foscaris ist es der Strick des Henkers. Genüsslich schwingt dieser dessen Schlinge in die Lüfte. Zudem zückt er eine Pistole. Pisana, eine Vertraute der Foscaris, die übergelaufen ist zum Feind, trägt es als schicken Schmuck auf dem Kopf. Die Kostüme des Chores sind ganz in schwarz gehaltene Anzüge, die minimalistisch bestückt mit Teilen alter Rüstungen, die Zeit um 1423, als Francesco Foscari zum Dogen gewählt wurde, assoziieren. Lichtdesigner Hartmut Litzinger findet die passenden, zur Bühne aussagekräftigen, korrespondierenden Lichteffekte.
Dirigent Marcus Bosch lotet mit dem Orchester der OH!, der Cappella Aquileia in hoher musikalischer Subtilität die „tinta“ des jungen Verdi nachspürend, das aus, was szenisch zu kurz kommt: leise Intimität, rauschendes Leiden, bebendes Klagen und flüsternde Geheimnisse. Das beschwört der fulminante Tschechische Philharmonische Chor Brünn so, als seien wir im griechischen Drama. Er ist hier die politische Instanz (Choreinstudierung, Michael Dvořák). Zu Beginn der Tragödie verkündet die herrliche Soloklarinette (Julius Engelbach) was wir gleich erleben: Schwermut wird Foscari tragen. Der melancholisch vollsatte Klagegesang windet sich leitmotivisch durch die gesamte Oper „I Foscari“ hindurch. Wenn dunkle Mächte, menschliche Abgründe, sich die persönliche Hölle für den alten Dogen auftun. Bratsche und Cello klammern sich sehnsüchtig hoffend, im intimen, kammermusikalisch delikaten Dialog umeinander, die Einsamkeit Jacopos im Gefängnis beschreibend. So muss hochspannendes, lebendiges Musiktheater klingen. Bariton Luca Grassi liefert mit dem ,als von Schmerz gezeichneten und gebrochenen Dogen Francesco Foscari ein dunkel intensiv tönendes, markantes Rollenporträt ab. Er ist ein äusserst glaubwürdiger Vater, der in den Fallstricken der Macht gefangen, alles Private opfert. Mit seinem heldisch gefärbten, metallisch schimmernden Tenor zeigt Hector Sandoval in der gespenstisch anmutenden Gefängnisszene eine an Wahnsinn grenzende Charakterstudie. Er ist ein perfekter junger Jacopo Foscari. Als seine Gattin Lucrezia verströmt Sophie Gordeladze leidenschaftliche Anmut. Die in Nerz, rote Lackschuhe und helles Seidennachthemdchen gehüllte Diva ist zunächst eine relativ hysterisch, dynamische junge Frau mit einem brennend ausladenden Sopran. Im Laufe des Abends gewinnt sie zunehmend an Profil. Gordeladze ist die Idealbesetzung der Partie. Tonschön gerät das beschwingte Liebesduett Lukrezia und Jacopo in welchen beide sich eine neue Zukunft im fernen Exil erträumen. Vom Bad Boy des Abends und Widersacher der Foscaris Loredano, Robert Pomakov singt und spielt ihn vorzüglich brachial bassig, hätte man sehr gerne mehr gehört. Er malträtiert genüsslich Pisana, Lucrezias Vertraute. Ein Regieeinfall, der nicht schlüssig ist und eigentlich nicht in der Geschichte vorkommt. Mezzo Julia Rutigliano tönt als Nummerngirl Pisana vollmundig wohlig. Es ist eine szenisch anspruchsvolle Partie. Plausibel und gut intonierend gestaltet Tenor Musa Nkuna den Barbarigo, Senator. Ergänzt wird das vorzügliche Ensemble von Christoph Wittmann (Diener des Rates der Zehn) und Daniel Dropulja (Diener des Dogen).
Standing Ovations und einhellige Begeisterung beim Publikum sprechen für einen aussergewöhnlichen Familien-Tragödien-Politthriller bei einem außergewöhnlichen Festival. Als Livemitschnitt wurde er bei Deutschlandradio Kultur gesendet und bei Coviello Classics als CD erscheinen, wie schon zuvor die frühen Verdi Opern „Oberto“, „Un giorno di regno“, „Nabucco“, „I Lombardi alla prima crocciata“ und „Ernani“. Heidenheim ist definitiv „A Place to be“. Großes Kompliment.
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