Welch fatal brutale Story rauscht da über die Bretter der Bühnenwelt der Oper Frankfurt! Christof Loy serviert mit Umberto Giodarnos selten aufgeführtem Verismoklassiker ‚Fedora‘ eine heißkalte Premiere. Als Frankfurter Erstaufführung und Übernahme von der Königlichen Oper Stockholm erhielt Loys Introspektion in das Leben zweier von Rache und Verliebtheit Getriebenen 2016 viel Zuspruch.
Von Barbara Röder.
Die Oper Frankfurt, einer der besten europäischen Musentempel, bewegte sich mit den zwei mächtig starken Protagonisten auf musikalischem Weltniveau: Nadja Stefanoff gab die illustre Fürstin Fedora. Jonathan Tetelman verströmte als liebestrunkener Graf Loris Ipanov Tenorbrillanz. Sein „Amor ti vieta di non amar“ im zweiten Bild, das in in einem Pariser Salon spielt, zelebriert dieser Ausnahmekünstler berückend schön mit hingebungsvollem Verve.
1898 feierte ,Fedora‘ in Mailand ihre umjubelte Premiere. Damals ersang sich Enrico Caruso mit der Partie des Loris seinen Durchbruch. Das Bühnenstück, dem das Libretto von Fedora zugrunde liegt, stammt aus der Feder Victorien Sardous. 1882 als formidabler Clou aus der Taufe gehoben, beschenkte er die göttlichen Tragödinnen Eleonore Duse und Sarah Bernhardt, die die Fürstin Fedora verkörperten, mit einem weiteren Stück Unsterblichkeit.
Den geschmackvollen Bühnenraum, er ist noch in Erinnerung von Loys hochgelobten, szenisch gestalteten Tschaikowski-Liederabend „Nur wer die Sehnsucht kennt“, kreierte Herbert Murauer.
Er beherbergt einen in blauem Brokatstoff ausgekleideten Salon. Ein übergroßer goldener Rahmen bietet Projektionsfläche und kann sich öffnen. Mehrere Kameras lassen uns in die Nebenräume der Gemächer von Fedora im ersten Bild blicken. Sie führen auch hinter die Kulissen von Loys mörderischem Illusionstheater. Er folgt Fedora durch ihr verworrenes Seelenlabyrinth und lässt uns zu Voyeuren werden. Wir erkennen, was Verblendung, Täuschung, Betrug, blinde Rache, blinde Liebe, heißkalte Emotionen und Überschwang an Hoffen im Äußeren wie im Inneren anzustellen vermag. Jede Zuckung Fedoras, die sich unter ihrem makellosem Make-up verbirgt, wird bis zu deren Suizid durch immer wiederkehrende Close-Ups auf der Leinwand erlebbar. Videodesign: Velourfilm AB.
Zu Beginn des Melodramas befinden wir uns in St. Petersburg. Hier erwartet die Adlige Fedora ihren Verlobten. Kurz darauf stirbt er tödlich verwundet. Ist er einem politischen Akt zum Opfer gefallen?
1881, das schildert der mörderische Realismus Giordanos, kämpften Nihilisten gegen die zaristische Oberschicht. Zar Alexander II starb durch sie bei einem Attentat. Rache, Rache und nochmals Rache schwört Fedora wegen ihres Verlobten. Sie will den Mörder aufspüren und wird russische Spionin. Im zweiten Bild in Paris kommt es dann zur dramatischen Begegnung mit dem vermeintlichen Täter und Staatsfeind: Graf Loris Ivanov. Im eleganten Pariser Salon verlieben sich Fedora und Loris ineinander. Dieser gesteht Fedora, aus Eifersucht deren Verlobten getötet zu haben. Wir fragen uns: „Kann aus blinder, kalter Rache Liebe werden?“ Denn Fedora scheint vor Rache blind, Loris vor Verliebtheit. Im letzten Bild sind die Liebenden in der idyllischen Schweiz. Ikea-Kitsch, grüne Matten und Berge täuschen über unausgesprochene Konflikte hinweg. Durch ihre Spionagetätigkeit hat Fedora die Gefangennahme und den elendigen Tod von Loris‘ Bruder verschuldet. Als Nihilist und Staatsfeind geächtet, starb er im Gefängnis. Loris’ Mutter stirbt vor Gram. Fedora stürzt sich Reue- und Schuldbeladen in den Suizid.
Nadja Stefanoff gibt die Rächerin und Spionin Fedora mit kühler, unnahbarer Distanz und singt famos mit glasklarer Intensität. Das hochkonzentrierte spielfreudige Sängerensemble besticht: Nicholas Brownlee als spritziger, bassoral auftrumpfender Salonlöwe de Siriex, Bianca Tognocchi mit überschwänglicher Süße als Gräfin Sukarek. Der leicht überdrehte Charakter der Figur haucht dem Drama eine gewisse Leichtigkeit ein. Jasper Leever liefert in der Rolle des knarzigen Kommissar Gretch ein Hauch von Düsternis. Die kleinen Partien sind ebenso gut besetzt: Bianca Andrew, Laufbursche Dimitri, bietet zusammen mit Kammerdiener Desiré (Peter Marsch) ein exquisites Kammerspiel. Mariusz Klubczuk taucht als auftrumpfender Tastenzauberer und vermeintlicher Nachfolger Chopins die Pariser Salonszene in das gehörige illustre Couleur. Nicht zu vergessen sei der glänzend vorbereitete, satt klingende kleine Chor(Tilman Michael).
Aus dem Graben tönt es rauschhaft aufgewühlt. Das feinfühlige Dirigat von Lorenzo Passerini dringt mit dem Frankfurter Opern- und Museumsorchester sehr tief in die Welten dieser exquisiten Frankfurter ‚Fedora‘ vor. Die packende Crime-Time Story steht noch bis zum 14.5.2022 auf dem Spielplan der Oper Frankfurt. Am 6.5.22 und 14.5.22 übernimmt Asmik Grigorian die Partie der Fedora.
Umberto Giordano: Fedora
Melodramma in drei Akten
Text von Arturo Colautti nach Victorien Sardou
In italienischer Sprache mit deutschen und englischen Übertiteln
Oper Frankfurt
Untermainanlage 11
60311 Frankfurt am Main
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