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„Half Man || Half Bull“ entfesselt Antike neu

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Von Stefan Pieper.

Mit einer Wucht, die mehr an Rockkonzert als Sprechtheater erinnert, bewiesen die Briten Phil Grainger, Oliver Tilney und Alexander Wright bei den Ruhrfestspielen, dass griechische Mythologie alles andere als verstaubt ist, wenn man sie nur ihrer bildungsbürgerlichen Vereinnahmung zu entreißen weiß. „Half Man || Half Bull“ vereinte Konzert, Poetry-Slam und partizipatives Theater zum elektrisierenden Ganzen.

Das Publikum umringt ein zentrales Podium in der König Ludwig Halle. Tiefe Bässe wummern durch den Körper. Aber erstmal sollen alle ihren Namen in die Menge rufen, was wie ein kollektiver Befreiungsakt fürs interaktive Theatererlebnis wirkt.

Held ohne Glanz

Im Teil eins dekonstruiert die britische Truppe den Mythos über Theseus und Minotaurus als patriarchale Gewaltnummer inclusive aller testosterongeladenen Heldennarrative. Theseus‘ innerer Monolog, ein balladesker Soung zu Bluesgitarre und Vocoder-Stimme berührt tief. Das „Monster“ Minotaurus wird zum Sujet einer emanzipatorischen Rollenkritik, während Ariadne ihre Passivität abstreift – dafür erwies sich die charismatische Rapperin, Sängerin und Performerin Aminita Francis als exakt passende Wahl für diese Produktion.

Fliegen und Fallen

Zarter wirkt nach der Pause die Dädalus-Ikarus-Geschichte über väterliche Melancholie, jugendlichen Übermut und Selbstüberschätzung. Wieder darf mitgemacht werden: Ein Besucher erzählt erstmal die offizielle Version der antiken Sage, wie sie auch im Geschichts- oder auch Lateinunterricht abgehandelt wurde. Später darf das Publikum selbstgebastelte Papierflieger durch den Raum segeln lassen. Auch das erinnert an so manche Schulstunde von einst. 

Hier in der Zechenhalle König Ludwig ist aber pure, vibrierende Gegenwart angesagt! Der Sound pendelt authentisch zwischen punkiger Wucht und emanzipatorischer Spoken Word Poetry. Aber auch viele popaffine Songs nehmen das Publikum emotional auf die Reise mit. Spektakulär wirkt, wie die Performer mühelos zwischen ihren Rollen wechseln, überall im ganzen Raum verteilt – eben, weil es hier ja auch um das Hinterfragen von Rollen geht.

Half Man || Half Bull: Applaus für den Aufbruch

„Half Man || Half Bull“ erwies sich als kraftvolles Statement, um zeitlose antike Weisheiten durch neue, ungebändigte Erzählformen für die Gegenwart relevant zu machen. Die lange andauernden stehenden Ovationen am Ende belegten den Erfolg dieses dramaturgischen Experiments. Der Kampf gegen den Stier im System geht weiter.

Bei Verwendung des Textes bitte Quelle angeben bzw. verlinken.

‘Half Man || Half Bull’ unleashes antiquity anew

“Half Man || Half Bull” at the Ruhrfestspiele hits like an electric shock to classical myth narration. British performers Grainger, Tilney, and Wright ignite a vibrating theatrical concert that liberates ancient tales from their academic trappings.

To thundering basslines, the audience shouts their names into the space – a collective entry into a participatory reworking of the Theseus myth. Heroism is dissected, gender roles dismantled. Theseus’ monologue becomes a balladic blues song, the Minotaur emerges as a symbol of exclusion and violence. Ariadne steps out of the sidelines, self-determined and compelling, brought to life by Aminita Francis.

Post-intermission: the Icarus myth becomes a fragile father-son narrative. Again, the audience participates and remembers. Paper planes replace wax wings – the risk of falling remains.

What endures is the urgency of this hybrid spectacle. Moving between spoken word, punk, and pop, the ensemble performs theatre for the now. A standing ovation – well deserved. The bull within the system still charges. But it’s being challenged

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