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ilb 2025: Das Literaturfestival Berlin im Jubiläumsglanz

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Literatur

Von Birgit Koß.

Am vergangenen Donnerstagabend wurde die 25. Ausgabe des internationalen literaturfestivals berlin (ilb 2025) von der strahlenden Festivalsleiterin Lavinia Frey unter dem Motto „Glow“ feierlich eröffnet, um die Literatur leuchten zu lassen. Eingerahmt von einer Percussion Komposition der Pulitzer-Preisträgerin für Musik, Susie Ibarra, hielt die diesjährige Kuratorin und Schriftstellerin Cristina Rivera Garza ihre Eröffnungsrede „Gemeinsam Atmen“ und verwies auf die Kraft der Literatur, zu deren Aufgaben es gehört, nicht nur aufzuzeigen wie die Wirklichkeit ist, sondern auch wie sie sein könnte. Der Staatsminister für Kultur und Medien Wolfram Weimer erinnerte sich an sein Germanistikstudium und zitierte spontan Hölderlin, nachdem er beschlossen hatte, auf seine vorbereitete Rede über die Gefahren der KI im Literaturbereich zugunsten eines Eingehens auf seine Vorrednerin zu verzichten. Doch seine erfreulichste Aussage war die, dass der Bund das ilb weiterhin dauerhaft fördern will. Schirmherr ist dieses Jahr der Bundespräsident Frank Walter Steinmeier, der darauf verwies: „Das ilb war von Anbeginn auch ein gesellschaftlich und politisch engagiertes Festival, das daran glaubt: Literatur kann Horizonte öffnen und toleranter machen.“ Von soviel politsicher Anerkennung konnte Ulrich Schreiber nur träumen, als er 2001 das ilb ins Leben rief.

Die große internationale Vernetzung zeigt sich darin, dass die Direktorinnen und Direktoren von 10 internationalen Literaturfestivals eingeladen sind sowie 90 Autoren und Autorinnen aus über 50 Ländern. Die Nobelpreisträger Abdulrazak Gurnah und Herta Müller zieren das Programm, aber es gibt auch die ausgewogene Mischung zwischen den großen, vielfach ausgezeichneten Namen und noch unbekannten Debütanten.

Ilb 2025 Alan Hollinghurst Robert Taylor
Alan Hollinghurst (c )Robert Taylor

Buchpremiere „Unsere Abende“ von Alan Hollinghurt

Der englische Bookerpreisträger Alan Hollinghurst erschien am selben Abend zur Buchpremiere seines jüngsten Romans „Unsere Abende“. Darin erzählt er die Lebensgeschichte des schwulen Schauspielers Dave Win, der in der zweiten Hälfte des letzten Jahrhunderts nicht nur mit den Vorbehalten gegenüber seiner sexuellen Orientierung, sondern auch mit ausgeprägtem Rassismus zu kämpfen hat – sein Vater, den er nie kennengelernt hat, stammte aus Burma. Sein Gegenspieler ist sein ehemaliger Mitschüler Giles Hadlow, der ihn als Sohn reicher Eltern, mit deren Stipendium Dave ebenfalls die Privatschule besuchen kann, bereits in der Schulzeit attackiert. Giles, der als Brexit-Politiker Karriere macht, greift immer wieder die Werte und Ideale von Dave an, selbst nachdem dieser ein erfolgreicher Schauspieler geworden war.

Mit feinem Gespür und genauer Beobachtungsgabe widmet sich Alan Hollinghurst den Themen Rassismus, Sexualität, Klassenzugehörigkeit und Kunst anhand der Lebenswege seiner beiden Protagonisten und beleuchtet sehr klar das Spannungsverhältnis von Liebe und Gewalt. Im Gespräch mit Moderator Thomas Meaney bekannte der Autor, dass er in diesem Roman seine eigene Jugend mitverarbeitet hat. Das englische Sittengemälde von den 60er-Jahren bis zum Brexit wurde vom Premierenpublikum gefeiert.

Cristina Rivera Garza (c) Charlotte Kunstmann

Buchpremiere „Lilianas unvergänglicher Sommer“ von Cristina Rivera Garza

Erstmals ist ein Buch von Cristina River Garza auf deutsch erschienen. Das Memoir „Lilianas unvergänglicher Sommer“ setzt sich mit dem Femizid an der Schwester der Autorin auseinander und wurde 2024 mit dem Pulitzer Preis ausgezeichnet. Sie hat dieses Buch sowohl auf Spanisch als auch auf Englisch geschrieben und erklärt, dass sie sich in beiden Sprache jeweils unterschiedlich ausdrücken könne und dies als Herausforderung betrachtet habe, bei diesem schwierigen Thema der Suche nach einer angemessenen Sprache gerecht zu werden.

In der Buchpremiere berichtet Cristina Rivera Garca auf sehr persönlich Weise um das Ringen um dieses Buch. 1990 war ihre einzige Schwester Liliana mit 20 Jahren von ihrem Ex-Partner ermordet worden, der dafür nie zur Rechenschaft gezogen wurde – wie bei so vielen Femiziden. 29 Jahre hat die Autorin versucht, sich diesem Thema schreibend zu nähern. Der Versuch, Einsicht in die alten Ermittlungsakten zu erhalten, scheiterte. Erst als es ihr möglich war, die Schachteln mit den Sachen ihrer Schwester zu öffnen, fand sie den Weg für das Memoir. Es ging ihr nicht darum, über ihre Trauer zu schreiben, sondern ihr Anliegen war, ihrer Schwester ihre Stimme zurückzugeben und sie damit wieder ein Stück weit lebendig werden zu lassen. In der Schachtel waren Briefe, Tagebücher und Adressbücher von Lilianna. Erstaunt stellte die Autorin fest, wie sorgfältig ihre junge Schwester sich mit Texten auseinandergesetzt hatte. Wieder und wieder hatte sie ihre Briefe korrigiert, das hieß damals: erneut Abschreiben. Liliana hatte sogar Essays in Zeitungen veröffentlicht. Die Autorin kommt zu dem Schluss, „Liliana war die wahre Schriftstellerin in unserer Familie“. Sie versucht, Kontakt mit den alten Freunden aufzunehmen, um das Bild ihrer Schwester zu vervollständigen und fügt deren Erinnerungen literarisch in den Text mit ein.

Und die Autorin beschäftigt sich mit den Hintergründen von Femiziden und dem gesellschaftlichen Umgang damit. In Mexiko werden täglich 10 Femizide begangen. Erst seit 2012 ist dieser Straftatbestand dort offiziell anerkannt. Vorher hießen sie „Verbrechen aus Leidenschaft“. Immer wieder wurde und wird behauptet, dass die Frauen selbst schuld seien, wenn sie Opfer einer Gewalttat würden. Inzwischen gibt es in Mexiko eine aktive Frauenbewegung, die die sogenannte Glitzerrevolution auf die Straße gebracht hat und den Ruf „Keine mehr“, und ein Liliana Rivera Garza Archiv. Der Autorin ist es gelungen, ein sehr persönliches und zugleich ein politisch beispielhaftes Buch zu schreiben. Man spürt auf jeder Seite die Wärme und Sorgfalt, mit der Cristina Rivera Garza ihrer ermordeten Schwester literarisch wiederbegegnet ist oder einfach die Liebe, die letzen Endes sogar die Trauer besiegt.

Gurnah Abdulrazak (c) Lane + Co

„Die Kunst des Schreibens“: Der Literaturnobelpreisträger Abdulrazak Gurnah

Bereits zum zweiten Mal ist Abdulrazak Gurnah Gast des ilb. Sein gerade auf deutsch erschienener Roman „Diebstahl“ feierte zeitgleich mit der Eröffnung des ilb seine Buchpremiere auf dem Literaturfestival Lit:Potsdam. Somit spannte Moderatorin Sharon Dodua Otoo den Gesprächsbogen weiter über das Werk des Autors. Auf ihre Eingangsfrage, ob er einen Tipp zum Schreiben habe, antwortete der Autor launig, Schreiben sei für ihn ein Vergnügen „Just do it!“ Weiterhin gab er dann zu bedenken, das Schreiben für ihn in seiner Jugend niemals mit der Vorstellung einer Karriere verbunden gewesen sei, er hätte keine Vorbilder im Freundeskreis und in der Familie gehabt. Somit habe er zuerst für sich selber geschrieben. Erst nach seinem dritten Roman habe er angefangen sich selber als Schriftsteller zu bezeichnen.

Inzwischen blickt er auf elf Romane zurück. Sein jüngster – „Diebstahl“ – ist der erste, den er nach dem Nobelpreis geschrieben hat. Er beschreibt darin das Leben von drei jungen Menschen aus Sansibar in der Gegenwart, deren Leben einerseits von dem tradierten Normen und Werten bestimmt wird, die aber andererseits auf der Suche nach ihren eigenen Wegen und Möglichkeiten in diesen Zeiten sind, die auf Sansibar vor allem durch den zunehmenden Tourismus geprägt werden. Wie in allen seinen Romanen widmet sich der Autor seinen Protagonisten und ihren Lebensumständen mit genauen, detailreichen Schilderungen.

Seine vorhergehenden Romane waren von dem Interesse geprägt, über historische Themen zu schreiben und darin Zusammenhänge aufzuzeigen, die vielen Menschen nicht bekannt sind. Schließlich erhielt er den Literaturnobelpreis „für sein kompromissloses und mitfühlendes Durchdringen der Auswirkungen des Kolonialismus und des Flüchtlingsschicksals in der Kluft zwischen Kulturen und Kontinenten“. Der Autor meinte, er wollte mit seinem Schreiben nie die Menschen belehren, aber Romane hätten die Kraft diese Themen einem breiteren Publikum nahezubringen. Abdulrazak Gurnah, der mit zwanzig Jahren 1968 als Flüchtling nach England kam, kehrte erst 1984 zum ersten Mal nach Sansibar zurück. um dort für seinen Roman „Das verlorene Paradies“ zu recherchieren, der zehn Jahre später veröffentlicht wurde. Nach wie vor ist dieser Roman für ihn besonders wichtig, weil er für die Recherche nach Sansibar zurückkehrt war, was er sich lange Zeit nicht vorstellen konnte. Inzwischen ist er dort regelmäßig Gast. Mit dem Geschenk des Buches „Farbe bekennen“ über die Geschichte Schwarzer Menschen in Deutschland verabschiedete die Moderatorin den Autor zu seinen Fans, die sich in langer Schlange Bücher signieren ließen.

Dieser Wechsel zwischen hochkonzentrierten Diskussionen und fröhlicher Zusammenkunft hat schon immer das ilb gekennzeichnet und ist auch in diesem Jahr deutlich zu spüren. Dafür bietet die „Festival Kitchen“ im Foyer Platz und Stärkung. Bis Sonntag, den 20. September, hat das Haus der Festspiele seine Türen für alle Literaturbegeisterte weit geöffnet. Und schon jetzt ist der Wille, das Festival noch viele Jahre alt werden zu lassen, deutlich zu spüren.

Bei Verwendung des Textes bitte Quelle angeben bzw. verlinken.

Alan HollinghurstUnsere Abende
Aus dem Englischen
von Joachim Bartholomae

Albino Verlag, Berlin 2025
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Cristina Rivera GarzaLilianas unvergänglicher Sommer
Übersetzt von Johanna Schwering

Klett Cotta Verlag, Stuttgart 2025
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Adulrazak GurnahDiebstahl
Aus dem Englischen von Eva Bonné

Penguin Verlag, München 2025
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Was das ilb 2025 so besonders macht:

  • Weltliteratur von Nobel- bis Booker-Preisträgern
  • Politisch engagierte Stimmen und neue Perspektiven
  • Jubiläumsfestival mit internationaler Strahlkraft

ilb 2025: The Berlin Literature Festival in anniversary splendour

The International Literature Festival Berlin (ilb) celebrates its 25th edition under the motto “Glow.” Festival director Lavinia Frey opened the event, joined by author Christina Rivera Garza, who emphasized literature’s transformative power. German President Frank-Walter Steinmeier highlighted its societal significance.

The festival’s international scope is reflected in guests from over 50 countries, including Nobel laureates Abdulrazak Gurnah and Herta Müller. Booker Prize winner Alan Hollinghurst presented his new novel Our Evenings, a panorama on racism, sexuality, and class that also bears autobiographical traces.

Christina Rivera Garza introduced Liliana’s Invincible Summer, a memoir about her sister’s femicide. Combining personal mourning with social analysis, the book won the 2024 Pulitzer Prize.

Abdulrazak Gurnah discussed writing between colonial past and contemporary identity. His new novel Theft portrays young people in Zanzibar navigating tradition and modernity. Gurnah underlined literature’s power to illuminate historical ruptures and cultural divides.

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