Von Birgit Koß.
Vor ausverkauftem Haus feierte die bekannte japanische Autorin Mieko Kawakami die Deutschlandpremiere ihres neuen Romans „Das gelbe Haus“ auf dem 25. Internationalen Literaturfestival Berlin im Rahmen einer großen Europatournee. Mit ihrem zweiten Roman „Brüste und Eier“, der in Japan 2007 erschien, ist die 1976 in Osaka geborene Autorin international bekannt geworden. Ihr Roman „Heaven“, der vor vier Jahren ins Deutsche übersetzt wurde, gelangte sie auf die Shortlist des Booker Preises.
Japanische Stimmen zwischen Humor und Dunkelheit
Mieko Kawakami bezeichnet „Das gelbe Haus“ als eine lustige Gaunergeschichte. 2023 erschien der Roman in Japan, wo sie von ihren Lesern und Leserinnen ein sehr emotionales Feedback erhielt. In ihrem ersten Kriminalroman erzählt die Autorin die Geschichte der jungen Hana, die als Ich-Erzählerin auftritt. Hana wächst in einem sozial und emotional ärmlichen Milieu auf mit ihrer Mutter, die ihr viel Freiheit lässt beziehungsweise sich kaum um Hana kümmert. Die Schule ist ihr gleichgültig, Freundinnen hat sie auch nicht. Doch dann lernt die Fünfzehnjährige Kimiko kennen, eine erwachsene Freundin ihrer Mutter, die sie völlig fasziniert mit ihrer Unbekümmertheit, ihrer Fröhlichkeit und auch ihrer Fürsorge für Hana. Aber Kimiko verschwindet so plötzlich wie sie aufgetaucht ist. Als es zu einem unerwarteten Wiedersehen kommt, zieht die inzwischen 17-jährige Hana kurzentschlossen zu Kimiko und die beiden eröffnen gemeinsam eine kleine Bar. Hana verdient Geld und lernt zwei gleichaltrige Mädchen kennen, die ihre Freundinnen werden.
Zwischen Armut, Sehnsucht und Gefahr
Alle scheint gut zu werden, was Hana auf die Farbe Gelb zurückführt. Gelb und Haus haben im Japanischen viele unterschiedliche Symbole. Gelb wird mit Wahrsagerei und Feng-Shui in Verbindung gebracht, dort steht es in der westlichen Richtung für Glück in Gelddingen. Gelb ist aber auch eine Metapher für Gefahr und etwas Anrüchiges. Das Haus gilt nicht nur als ein Ort, sondern steht auch für Heimat und die Beziehung zur Familie.
Verlorene Jahre und echte Erfahrung
Die Geschichte ist Mitte bis Ende der 90er-Jahre des letzten Jahrhunderts in Tokio angesiedelt. Die Zeit ist gekennzeichnet durch eine hohe Arbeitslosigkeit, das große Erdbeben in Kobe und den Gift-Anschlag auf die U-Bahn in Tokio. Mieko Kawakami, gerade 20 Jahre alt, erlebt diese Zeit des Neoliberalismus nach eigenen Aussagen als „verlorene Jahre“. Auch die Autorin hat einige Zeit als Barhostess gearbeitet, so dass ihre Beschreibungen aus eigener Anschauung kommen, beziehungsweise von den vielen Erzählungen, die sie in dieser Zeit gehört hat.
Moral im Schatten des Geldes
Doch diese Coming-of-Age-Geschichte eignet sich nicht zum Happyend. Als Hana und ihre zwei Freundinnen mit Kimiko gerade in ein eigenes „gelbes Haus“ gezogen sind, brennt ihre Bar ab. Als Hana dann noch ihr gesamtes erspartes Geld ihrer kranken Mutter geben muss, stehen alle vor dem Nichts und rutschen ins kriminelle Milieu ab. Die drei jungen Frauen betreiben Kreditkartenbetrug im großen Stil, ihre Hintermänner beziehungsweise ihre Verbindungsfrau stehen zumindest im Kontakt mit der Mafia, sofern sie nicht selber dazu gehören. Zu diesen Mafiastrukturen hat Mieko Kawakami viel recherchiert. Ende der 90er-Jahre fand der Kreditkartenbetrug noch analog statt, also physisch vor Ort, erst mit der Digitalisierung trat eine große Veränderung ein.
Die Autorin beschreibt Hana mit viel Empathie. Die sieht sich selbst nicht als Täterin, sondern als Opfer des Kapitalismus, wie es ihr Viv-San, die die gefälschten Kreditkarten organisiert, erklärt: „Geld ist Macht, Armut ist Gewalt‘, sagte Viv-san. ‚Die Armen wissen nicht, was Prügel sind, weil sie nichts anderes kennen als Prügel. Die werden so lange geprügelt, bis sie nichts mehr in der Birne haben, geschweige denn in den Knochen. So wachsen sie auf. Deshalb wissen sie so wenig. Aber selbst, wenn man nichts weiß, kriegt man irgendwann Hunger, stimmt’s? Und wer Hunger hat, braucht etwas zu essen. Zum Essen braucht man Geld.“ Und da die Reichen davon mehr als genug haben, braucht keiner ein schlechtes Gewissen zu haben, geht die Argumentation, die sich Hana zu eigen macht, weiter.
Sisterhood und Machtgefüge
Dass Hana tatsächlich als Sympathieträgerin wahrgenommen wird, hat die Autorin direkt beim Schreiben erfahren. Sie hat den Roman nämlich als Fortsetzungsroman für eine der größten japanischen Tagesszeitungen geschrieben und während des Schreibprozesses von ihren Leserinnen sehr viel Feedback erfahren. Viele teilten ihr mit, sie hätten gern so eine zielstrebige Mitarbeiterin und sie hätten nicht das Gefühl, dass Hana etwas Schlechtes mache und man müsse der Ich-Erzählerin der Geschichte doch auch vertrauen können. Die Autorin selber sagt, sie wolle nicht urteilen, was richtig oder falsch sei. Es sei ihr wichtig, in der Geschichte zu zeigen, welche Energien Menschen entwickeln können, um zu überleben. Und sie erklärt, dass die Frauen in dieser kriminellen Gruppe eine „Sisterhood“ bildeten und dass es um Solidarität gehe. Trotzdem entstehen mit der Zeit Machstrukturen, schon allein dadurch, dass Hana die einzige ist, die wirklich Verantwortung übernimmt. Und mit der Zeit wird sie immer besessener vom Geld, sodass die Solidarität zerbricht.
„Das gelbe Haus“ als Symbol und Rhythmus
Mieko Kawakami sagt, es gehe ihr in ihren Texten um den Rhythmus und die Energie, das gebe ihr die Kraft zum Schreiben. Ihre Sprache ist kraftvoll und rebellisch, teilweise auch lakonisch – ihrer jugendlichen Heldin angepasst und oft mit skurrilem Humor gewürzt. So erschient Hana im Traum Leonardo di Caprio. Dies begründet die Autorin mit ihrer Geburtsstadt Osaka, die für ihren Humor in ganz Japan bekannt sei. Die Geschichte ist schnell zu lesen und hält den Spannungsbogen.
Was mich beim Lesen anfangs etwas verwundert hat, sind die inhaltlichen Sprünge zwischen einzelnen Kapiteln und teilweise kleine Zusammenfassungen zum Ende der jeweiligen Kapitel. Dies ist ganz sicher dem Erscheinen in vielen Einzelteilen in der Tageszeitung geschuldet und scheint dem jungen Publikum entgegenzukommen, das durch häufigen Serienkonsum, diese Form des Zusammenhangs einer großen Geschichte mit einzelnen Folgen sicherlich gewöhnt ist. Der ausgezeichneten Übersetzung von Katja Busson ist es auch zu verdanken, dass durch ein Glossar am Ende diverse Ausdrücke aus dem Japanischen erklärt werden. Die deutsche Übersetzung ist die erste, die auf dem internationalen Markt erschienen ist.
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| Mieko Kawakami | Das gelbe Haus a. d. Japanischen von Katja Busson |
| DuMont Buchverlag, Köln 2025 | bei amazon bei Thalia |
Was den Roman lesenswert macht:
- Intensives Porträt weiblicher Solidarität im Schatten des Geldes
- Authentische Zeitbilder aus Tokios „verlorenen Jahren“
- Sprachlich kraftvolle Mischung aus Drama und Humor
“ Das gelbe Haus (The Yellow House): Kawakami and the power of money
At a sold-out event at the Berlin International Literature Festival, Mieko Kawakami presented her novel The Yellow House. The Osaka-born author, known for Breasts and Eggs, combines empathy and sharp social critique in her first crime story. She tells of Hana, a girl growing up amid poverty, longing, and crime in 1990s Tokyo.
Hana moves in with her mother’s friend Kimiko and two peers into a “Yellow House,” which later burns down—triggering their descent into credit card fraud and moral uncertainty. Kawakami portrays female solidarity and its fragility under economic pressure. Her characters act not out of malice but hunger, driven by survival instincts.
“Money is power, poverty is violence,” one line declares, distilling the novel’s moral force. Kawakami’s clear, rhythmic prose and Osakan humor infuse lightness into dark realities.
Originally serialized in a major Japanese newspaper, the novel’s episodic structure enhances its pace. Thanks to Katja Busson’s translation and glossary, the work resonates internationally with both authenticity and emotional clarity.




