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Im Gespräch mit … Pianistin Heghine Rapyan

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Von Birgit Koß.

Die charismatische Pianistin Heghine Rapyan stammt aus Armenien, lebt in Salzburg und ist in vielen Konzertsälen der Welt zuhause.  Ihre jüngste CD hat sie ganz dem armenischen Komponisten Stéphan Elmas gewidmet und als erste Künstlerin weltweit seine vier Klaviersonaten auf einer CD eingespielt. Zuerst möchte ich von ihr wissen, was für sie ganz allgemein charakteristisch an armenischer Musik ist.

Heghine Rapyan./ Foto: Dimitris Kourakos

Hegine Rapyan: Die armenische Musik wird vom armenischen Volk geprägt, seit über dreitauschend Jahren. Sie ist sehr naturverbunden. Im frühen 20. Jahrhundert hat der Priester und Musikwissenschaftler Komitas Vardapet sozusagen die klassische armenische Musik begründet. Er hat auf dem Lande viele Volkslieder gesammelt und sie dann anschließend in den unterschiedlichsten Formen als Kunstmusik und auch für Gottesdienste verarbeitet. Für mich hat jede Musik einen sogenannten „nationalgenetischen“ Code und da das armenische Volk sehr alt ist, hat es auch einen sehr tiefen und reichen „nationalgenetischen“ Code. Diese Klangschwingungen berühren mein Publikum etwas anders, als es das sonst gewohnt ist. Die Menschen können die Emotionen spüren, ohne genau zu verstehen, was da passiert. Diese Rückmeldung bekomme ich von meinem Publikum sehr oft. 

Feuilletonscout: Hat der armenische Komponist Stéphan Elmas für Sie auch diesen „nationalgenetischen“ Code?
Hegine Rapyan: Stéphan Elmas wird der Chopin Armeniens genannt und ich liebe diese Bezeichnung sehr. Stéphan Elmas wurde in Smyrna, dem heutigen Izmir geboren. Seine Familie waren armenische Kaufleute. Er wurde am Weihnachtstag geboren und seine Mutter starb bei der Geburt; so wurde er von seiner Großmutter aufgezogen. Stéphan Elmas war ein Wunderkind, das wunderbar Klavier spielte und besonders durch die Werke von Chopin und Schumann inspiriert wurde. Später ist er nach Wien gegangen und hat viel mit Liszt kommuniziert. In der Musik von Stéphan Elmas fehlt der direkte armenische Einfluss. Er war ein Patriot, das Schicksal des armenischen Volkes hat ihn sehr berührt, aber in seiner Musik spiegelt sich das nicht so stark. Ich glaube, es liegt daran, dass er schon sehr jung sein Gehör verloren hat. Somit war er von der Musik geprägt, die er als Kind gehört und gespielt hat, die Musik der Romantik – Chopin. Er hat Lieder für Klavier und Gesang geschrieben, in denen er armenische Texte benutzte, die er dem armenischen Volk gewidmet hat, aber sie haben alle europäische, romantische Traditionen.

Feuilletonscout: Wie sind Sie dazu gekommen sich mit Stéphan Elmas zu beschäftigen?
Hegine Rapyan: Mein Leben ist irgendwie mit Stéphan Elmas verbunden. 2002 gab es einen Stéphan-Elmas-Klavierwettbewerb, bei dem ich den ersten Preis gewonnen habe. Durch diesen Wettbewerb habe ich ihn als Komponisten entdeckt. Vor drei Jahren habe ich dann mit dem Projekt begonnen, seine Klaviersonaten aufzunehmen, die noch nie gespielt worden waren. Ich habe sie sozusagen nach 100 Jahren zum Leben erweckt. Für mich ist auch interessant, dass Stéphan Elmas sie selber nicht mehr hören konnte, weil er taub war. Ich finde, sie sind so schön geschrieben von der Form her, den Harmonien und Melodien und den Emotionen, die er dort hineingesteckt hat – sie mussten einfach das Publikum erreichen. Es ist erstaunlich. Das Publikum kann diese Musik nicht kennen, aber jeder der die Sonaten zum ersten Mal hört, sagt, sie komme ihm irgendwie bekannt vor. Warum? Ich finde, sie sind so natürlich geschrieben, ich glaube sie liegt bei jedem Menschen im Herzen.

Feuilletonscout: Was bedeutet es für Sie als Pianistin, dass diese Sonaten unbekannt sind? Haben Sie damit einen großen Interpretationsspielraum bei der Aufnahme gehabt?
Hegine Rapyan: Wenn jemand ein Stück zum allerersten Mal spielt ist das toll, aber man hat auch eine sehr große Verantwortung. Bei mir hat es fast zwei Jahre gedauert, bis ich mit meinen Vorstellungen und Ideen wirklich sicher war. Ich hatte ja kein Beispiel, an dem ich mich orientieren konnte. Natürlich wusste ich, die Struktur ist so, ich kann die Phrasen so bilden, aber es war immer eine Suche und ich habe meine Meinung hundertmal geändert, bis ich die vier Sonaten so gespielt habe, dass ich dachte, jetzt kann ich sie präsentieren und erst dann habe ich die Aufnahme gemacht. Man muss sehr viel über den Komponisten wissen. Bei ihm ist beispielsweise das Legato sehr wichtig – das singende Klavier, die Phrasen müssen Belcanto wie bei Chopin sein. Es geht darum, genau diesen Anschlag zu beherrschen. Zwischendurch war ich auch sehr enttäuscht, weil ich das Gefühl hatte, nicht zu verstehen, was er meinte – es war eine ständige Suche. Aber die Lösungen kamen dann plötzlich ganz unerwartet, wie ein kleines Wunder. Ich habe gelernt, mir Zeit zu lassen und dann konnte ich diese Schaffensmomente sehr genießen.

Feuilletonscout: Inwieweit hat der zu Elmas‘ Zeit stattfindende Völkermord an dem armenischen Volk Einfluss auf seine Musik genommen?
Hegine Rapyan: Die beiden Katastrophen des armenischen Volkes 1915 und 1922 haben ihn sehr erschüttert. 1922 gab es den berühmten Smyrna-Brand und seine Familie ist nach Griechenland geflohen. Elmas hat sehr viele Trauermärsche geschrieben. Die zweiten Sätze seiner Sonaten sind Trauermärsche. Ich glaube er wollte seine Emotionen – seine Wut – in der Musik ausdrücken. Er hat immer gesagt: „Meine Musik ist dem armenischen Volk gewidmet.“ Diese Worte habe ich in seinen Briefen gelesen.

Feuilletonscout: Welche Bedeutung hat für Sie als armenische Pianistin die armenische Geschichte?
Hegine Rapyan: Der Tag des Erinnerns an den Völkermord ist der 24. April und das ist auch mein Geburtstag. Einmal habe ich meine Mutter gefragt, wie ich heute feiern könne, wo die ganze Nation trauert, und meine Mutter hat geantwortet „Du bist eine Hoffnung.“ Die große politische, historische Frage ist ja immer noch offen. Aber ich hoffe, es wird eines Tages eine Lösung geben. Ich persönlich freue mich, dass die armenische Nation lebt. Als Künstlerin empfinde ich die Zeit als eine Art Wiedergeburt. Wir haben so viele wunderbare Künstler: Komponisten, Maler, Schriftsteller.

Feuilletonscout: Welche Botschaft haben Sie mit ihrer neuen CD für Ihr Publikum, was möchten sie ihm zeigen?
Hegine Rapyan: Die CD heißt die Seele von Smyrna, vier Klaviersonaten von Stéphan Elmas. Das sind vier einzigartige Stücke, die jetzt zum Leben erweckt worden sind. Jeder soll aus dem Konzert das mitnehmen, was ihn dabei berührt. Ich habe keine spezielle Botschaft, sonst beschränkt man sein Publikum und das möchte ich nicht. Aber ich bin sicher, dass diese Musik sehr ansprechend ist. Ich empfinde bei ihr sehr die Nähe zur Natur, die Phrasierungen sind so natürlich und universell.

Feuilletonscout: Sie haben zu Beginn gesagt, Stéphan Elmas war ein Wunderkind, Sie persönlich haben auch sehr früh mit dem Klavierspiel angefangen – sie waren also auch ein Wunderkind?
Hegine Rapyan: Zu meiner Geburt hat mein Großvater meiner Mutter ein Klavier geschenkt. Schon als ich ein Jahr alt war, hat mich der Klang des Klaviers sehr fasziniert. Ich habe immer auf die Tasten gedrückt und mich gewundert wo der Klang herkommt und wo er hingeht, warum er sich ändert. Der Klavierklang war wahrscheinlich meine erstes Liebe. Als Pianistin möchte ich immer mehr hören, als es uns Menschen möglich ist. Ich würde diese Grenze gern überschreiten und beim Spielen noch weitere Klänge entdecken. Mit fünf Jahren bin ich in die Musikschule gegangen und stand dann auch sofort auf der Bühne und habe kleine Konzerte gegeben. Ich wurde in einer kleinen Stadt in Armenien geboren und die Menschen in meiner Stadt haben mich sehr unterstützt – geistig und finanziell, sodass ich bei internationalen Wettbewerben auftreten und mich weiterentwickeln konnte. Alle haben sehr an mich geglaubt und mich geliebt. Ich bin oft zu Hause in Armenien, in Gawar, in der Nähe vom Sevan See. Bevor ich nach Österreich übersiedelte, habe ich auch viel in Armenien gespielt.

Feuilletonscout: Was hat Sie nach Österreich gebracht?
Hegine Rapyan: Meine Ausbildung. Als ich das Studium am Konservatorium in Jerewan abgeschlossen hatte, verspürte ich den Wunsch, noch in Europa weiterzustudieren. Die deutsche Genauigkeit hat mich wirklich immer sehr inspiriert. Und dann bin ich an das Mozarteum nach Salzburg gekommen und dort habe ich bis 2016 studiert. Ich hatte sehr gute Lehrer. Besonders möchte ich Ingrid Haebler hervorheben, von ihr habe ich sehr viel gelernt, speziell Mozart Interpretationen. Und danach habe ich eine Stelle am Musikum Salzburg bekommen und bin geblieben. Die Menschen in Österreich haben mir viel gegeben und darüber bin ich sehr dankbar. Ich freue mich, jetzt österreichische Kinder unterrichten zu dürfen. Ich mag die Stadt Salzburg und die sie umgebende Natur. Sie hilft viel, die Musik, besonders Musik von Mozart zu verstehen.

Feuilletonscout: Sehen Sie eine Verbindung zwischen Österreich und Armenien?
Hegine Rapyan: Der Salzburger Himmel erinnert mich sehr an den armenischen, die Wolken, die Farben. Ich schaue sehr gern in den Himmel.

Feuilletonscout: Haben Sie noch weitere Pläne mit der Musik von Stéphan Elmas?
Hegine Rapyan: Ich werde ihm treu bleiben. Mein Wunsch ist es, sein zweites Klavierkonzert mit Klavier und Orchester in d-Moll aufzuführen. Das ist wunderschön und ich suche nun eine Möglichkeit mit einem Dirigenten und einem Orchester. Außerdem hoffe ich, seine Klaviersonaten auch in der Schweiz aufführen zu können. Schließlich hat Stephan Élmas dort gelebt und wurde 1925 Ehrenbürger von Genf.

Feuilletonscout: Sie lieben Beethoven und Bach, Rachmaninow – wie ist Ihr Verhältnis zu zeitgenössischer moderner Musik?
Hegine Rapyan: Moderne Musik spiele ich auch, aber nur wenn ich sie verstehe. Es muss in mein Blut gehen, wenn nicht, lass ich das Stück. Ich habe gerade Ende April in Thessaloniki ein Konzert gespielt. Es war das ganze armenische Repertoire der armenischen Wiedergeburt. Ich habe versucht, die Stücke nach dem Genozid, das ganze 20. Jahrhundert darzustellen und die letzten Stücke waren atonale Musik. Das ist schwierig und wahrscheinlich nicht für jeden Menschen zu verstehen, aber ich habe das sehr gern gespielt, denn ich hatte etwas zu sagen. Heutzutage gibt es so verschiedene kompositorische Techniken, Installationen mit Klang und visuell, das ist etwas anders. Davor habe ich großen Respekt und ich spiele das auch, wenn es sich mir erschließt. Ich glaube, es braucht einfach Zeit. In ein paar hundert Jahren wird die zeitgenössische Musik von heute sehr viel mehr geschätzt werden, denke ich.

Feuilletonscout: Sie werde bei Ihren Konzerten häufig für ihre „Mehrstimmigkeit“ gerühmt. Was heißt das für Sie?
Hegine Rapyan: Für mich ist das Klavier ein ganzes Orchester. Manchmal ist es ein vielstimmiger Chor. Ich finde es so interessant, da höre ich Oboen und dann kommt die Flöte dazu, dann die Streicher von unten oder auch Schlaginstrumente. Für mich ist das Klavier eine Spiegelung, es ist kein Instrument, es hat eine Seele, es lebt! Und wie der Pianist das Instrument behandelt, so antwortet es. Ich spreche mit dem Klavier, wenn ich spiele. Und wenn ich denke, das ist ein Cello, dann höre ich auch ein Cello oder auch einen Vogelgesang. Es ist wirklich ein Spiegel. Denn dasselbe Klavier klingt ja mit verschiedenen Pianisten unterschiedlich. Für mich geht der Klang weiter als das, was wir mit unseren Ohren, der physischen Beschränkung wahrnehmen können. Und die 88 Tasten sind 88 Farben und die schwarzen und die weißen Tasten empfinde ich als die schönsten Farben der Welt – für mich ist das ein Wunder, an das ich beim Spielen denke.

Feuilletonscout: Haben Sie einen beruflichen Traum?
Hegine Rapyan: Ich würde sehr gern einmal in New York, in der Carnegie Hall spielen. Ich habe bisher fast alles erreicht, was ich mir gewünscht habe. Vielleicht muss ich mich einfach noch ein wenig mehr anstrengen, damit mir dieser Traum erfüllt wird.

Vielen Dank für das Gespräch, Heghine Rapyan!

Heghine Rapyan
The Soul of Smyrna – Complete Piano Sonatas of Stéphan Elmas (1862-1937)
SOLO MUSICA 2023
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Weitere armenische Einblicke erlaubt das Buch „Auf der Straße heißen wir anders“ von Laura Cwiertnia. Eine Reise in ihre Heimat Armenien Reise gab der Autorin den Anstoß zu vielen Recherchen und Gesprächen über den armenischen Völkermord und die Geschichte der Gastarbeiterinnen in der Bundesrepublik und führten letztendlich zu ihrem Debütroman – „Auf der Straße heißen wir anders“.

Bei Verwendung des Textes bitte Quelle angeben bzw. verlinken.

Summary of the interview with Heghine Rapyan:

The pianist Heghine Rapyan has released a CD with the piano sonatas of the Armenian composer Stéphan Elmas. In an interview with Birgit Koß of Feuilletonscout, she talks about the characteristic nature of Armenian music, which is shaped by nature and the people. Rapyan explains that Armenian music has a „national-genetic“ code that goes back to the long history of the Armenian people and can convey emotions in a unique way.
Although Stéphan Elmas has been called the „Chopin of Armenia“, his music does not directly show the Armenian influence. Rapyan explains that Elmas was rooted in Romanticism and was inspired by Chopin and Schumann. Yet he expressed his love and attachment to the Armenian people by incorporating Armenian texts into his works.
Rapyan discovered Elmas as a composer at a piano competition and decided to record his previously unplayed piano sonatas. It emphasises the beauty of the compositions and the universal character of Elmas‘ music. Rapyan had the responsibility of interpreting these pieces for the first time and it took her almost two years to develop her ideas and conceptions. Despite the lack of previous recordings, she had the freedom to create her own interpretations and felt inspired by the closeness to nature and the melodies of the sonatas.
Rapyan explains that the Armenian genocide, which took place during Elmas‘ time, greatly influenced his music. Elmas wrote many funeral marches to express his emotions and anger. He considered his music a dedication to the Armenian people.
The pianist feels a close connection to Armenian history and considers herself a hope for her people. She sees the times as a kind of rebirth and is proud of the many talented artists in Armenia.
With her CD, Rapyan wants to touch her audience and share the beauty of Elmas‘ music. She hopes that listeners will feel the natural and universal elements of the compositions and make their own emotional connections.

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