Halbszenische Aufführung der Berliner Operngruppe im Berliner Konzerthaus am 1. September 2021. Von Ingobert Waltenberger.
Mit „Maria di Rohan“ (2011 im Radialsystem) und „Betly“ (2015 im Berliner Konzerthaus) hat sich die Berliner Operngruppe schon zweier Raritäten des aus Bergamo stammenden Vielschreibers Gaëtano Donizetti angenommen. Nun ist also die französische Urfassung der Dreiecksgeschichte „Rita oder Der geprügelte Ehemann“ an der Reihe. Obwohl bereits im Jahr 1839 vollendet, wurde das Werk erst posthum am 7. Mai 1860, also zwölf Jahre nach Donizettis Tod, an der Pariser Opéra-Comique uraufgeführt.
Donizetti hatte solch einen Heißhunger nach zu vertonenden Texten, dass ihm so ziemlich alles recht war, was sich so anbot. Und da es das berühmte Telefonbuch noch nicht gab (auch das hätte er wahrscheinlich in ungebremster Strettalaune mit Noten verziert), musste sich Donizetti in einer akuten Mangelphase mit dem Vorschlag des Belgiers Gustave Vaëz – er hatte für Donizetti die französische Textfassung von „Lucie de Lammermoor“ sowie das Libretto zu „La Favorite“ besorgt – zufriedengeben, es mit einer Art Farce über häusliche Gewalt zu versuchen. Und weil eine Farce halt zuvörderst derb und grob sein darf, so ist innerhalb von nur einer Woche dieser von der Handlung her unsägliche „Watschen-Einakter“ entstanden. Allerdings, und das muss betont werden, hat Donizetti die Komödie um einen ehelichen Prügelknaben und eine in zweiter Ehe ihren Pépé ebenso traktierende Ehefrau mit einer herausragend pfiffigen Musik unterlegt, den besten Eingebungen aus den berühmten Opernkomödien „L’Elisir d’amore“ oder „La fille du régiment“ durchaus an die Seite gestellt werden kann.
Ein Bariton, ein Tenor und eine Sopranistin. Normalerweise ist in einer Oper klar, wie das Match ausgeht. Diesmal ist alles anders. Dazu will ich das Personal des Stücks vor den Vorhang bitten: Gasparo, der verschollen geglaubte erste Macho-Ehemann der Rita, der zu wissen glaubt, was Frauen brauchen. Pépé mit Kochhaube, Schürze und roter venezianischer Maske ist der Trottel, den sich Rita als zweiten Ehemann und Arbeitssklaven in ihrer Gastwirtschaft hält. Und ist er nicht willig, so braucht sie Gewalt. Und da ist noch die erfolgreiche Unternehmerin Rita selbst, die zwar noch immer von ihrem verflossen Gewähnten träumt, sich jedoch in ihrem zweiten Versuch einer Ehe sicherheitshalber und äußerst pragmatisch an die Spitze der gasthäuslichen Hackordnung gestellt hat.
Eines Tages taucht dieser im Meer ersoffen gedachte Gasparo samt Heiratsplänen in seiner neuen Heimat Kanada wieder auf. Dazu braucht er aber den Totenschein seiner ersten Frau. Als Gasparo kapiert, dass Rita noch putzmunter herumwuselt, will er sich aus dem Staub machen. Pépé wiederum wittert die Gelegenheit, die handgreifliche Ehefrau an ihren aus dem Nichts hereingeschneiten ersten Mann los zu werden. Plötzlich geht es nur noch darum, wie die beiden Männer Rita am besten abschütteln. Sie spielen Mora, dann wollen sie durch Strohhalmziehen eine Entscheidung herbeiführen. Nach dem Motto. Wer den Kürzeren zieht… Allerlei Schummeleien und Tricks später hat wieder das Argument der Faust die Oberhand. Gasparo droht diesmal, sich mit Pépé zu duellieren, bis dieser verspricht, bei Rita zu bleiben. Rita wiederum schwört Stein und Bein, dass sie fortan ein friedliches Lämmlein sein wird. Wer’s glaubt.
Die samt Einführung etwa 80 Minuten lange Aufführung im Konzerthaus hat Lorenzo Fioroni optisch mit Tischchen, Sonnenschirmen und einer bunten Leuchtkette aufgehübscht. Darin tummelt sich unser vokales Dreigestirn Elbenita Kajtazi (Sopran), Alasdair Kent (Tenor) und Pablo Ruiz (Bariton) und ergeht sich ganz nach belkantesker Akrobatenart in koloraturtrunkenen Arien, Duetten und Terzetten. Alle drei jungen Protagonisten erfreuen mit frischen, schön timbrierten Stimmen, unbändiger Spielfreude und Temperament. Mir haben es besonders die quirlige Elbenita Kajtazi und der fantastisch höhensichere lyrische Tenor des Alasdair Kent angetan. Welch Talente! Leider hat man sich zu der in französischer Sprache gesungenen Oper für Dialoge in deutscher Sprache entschieden. Das ist stilistischer Unsinn und hat vor allem auch die Sänger teils hörbar überfordert.
Das Orchester der Berliner Operngruppe unter der animierten und kompetenten Leitung des Felix Krieger sorgte wie gewohnt für hochkarätiges Spiel. Dabei griffen er und seine herausragenden Musikerinnen und Musiker flott und beherzt in die „Saiten“, ohne deshalb die vielen instrumentalen Details und konzertierenden Feinheiten der spritzigen Belkanto Partitur außer Acht zu lassen.
Trotz spärlich besetzten Saals am Ende Riesenapplaus für alle Mitwirkenden. Und jetzt wollen wir für 2022 wieder auf ein substanziell gehaltvolleres Werk mit Chor hoffen.
Gaëtano Donizetti „Deux hommes et une femme“, Opéra comique in einem Akt. Deutsche Erstpräsentation der französischen Fassung von „Rita“ in der neuen kritischen Edition von Paolo Rossini / Francesco Bellotto nach einem Libretto von Gustave Vaëz im Konzerthaus Berlin.