Von Carsten Schmidt.
Manch etablierte Autorin hofft, auch jenseits ihres Heimatlandes Gehör und Leserschaft zu finden. Dies war der 1938 in Rumänien geborenen Journalistin auch vergönnt, jedoch zunächst in dramatischen Zwischenschritten. Als Bürgerin der deutschen Minderheit in Rumänien erhielt sie 1973 die Reiseerlaubnis in den Westen und brachte bei mehreren Grenzübergängen Manuskriptstücke des vorliegenden Werks über die Grenze, teilweise eingenäht im Mantelsaum.
Ihre Kenner hatten sie jedoch bereits ausfindig gemacht und zu weiterem Schreiben ermutigt, so dass das westdeutsche Publikum ungewöhnliche Lyrik von ihr in den Horen und auch der FAZ zu lesen bekam. In der FAZ etwa erschien ein Gedicht, das in ihrer Heimat von der Zensur abgelehnt worden war, so dass sie sich bereits mit dieser Publikation strafbar machte, da sie eine Vereinbarung unterzeichnen musste, ihrem Heimatland nicht zu schaden.
Um diese Art von künstlerischer Freiheit leben zu können, legte sich die damals u. a. für die SZ als Journalistin arbeitende Aloisia Bohn das Pseudonym „Kristiane Kondrat“ zu.
Das über die Jahre reifende Manuskript „Abstufungen dreier Nuancen von Grau“ erschien 1997 in einem kleinen Stuttgarter Verlag in überschaubarer Auflage. Leider fand es keine große Verbreitung und der Verlag ging kurz darauf ein. Nun hat der Verleger Thomas Zehender im kleinen jungen Ulmer danube books Verlag das Manuskript wieder aufgelegt und mit einem Nachwort der Literaturwissenschaftlerin Dr. Christina Rossi erweitert.
Das Werk „Abstufungen dreier Nuancen von Grau“ beginnt mit einer Kindheitserinnerung und dem Weiß des Schnees. Sie gleitet in eine Beschreibung einer Ich-Erzählerin, die im Krankenhaus unter einer weißen Decke liegt und sich von irgendetwas erholt, was wir jedoch nicht klar erfahren. Sie beschreibt ihre Zimmergenossinnen und ihre Abwehr gegen die grobe Behandlung:
„Schwestern: Ich weise jeden Gedanken einer möglichen Verwandtschaft entschieden zurück. Die keinesfalls mir verwandten Schwestern können das absolute Weiß nicht erreichen.“
Es ist diese exakte Beobachtung und nicht überraschend lyrikhafte Verspieltheit, die auf der einen Seite den Plot unklar erscheinen lässt, andererseits die Sprache aber auch flüssig und jenseits von erwartbaren Abläufen hält. Die Autorin biegt sich die Sprache hin, wie es sein soll, die Treppe „steinert“ da, jemand hat eine „korrektstraffe Haltung“, es grummelt draußen „gewitterblau“ und jemand ist „stilldick“, einen Tisch bezeichnet sie als „glaubwürdigen Tisch“.
Es kommt zu einer Art Flucht aus dem Krankenhaus und dann Odyssee durch die Gegend; die Realität verwischt eben so wie die Wahrnehmungen und Wünsche der Geflüchteten. Es bleibt einerseits parabelhaft schicksals-zwangsläufig, wie sie auf andere Personen trifft, mit denen sie eine verwaschene Vergangenheit vereint, ausweglos wie bei Kafka, aber auch mit einer Art, den Alltag zu greifen wie bei Milan Kundera. Es ist an den Leserinnen und Lesern, sich diese wiederentdeckte Autorin, die gleichsam im Bereich Lyrik Großes geleistet hat, umfassend zu erschließen. Dann erfährt man auch, was es mit den Grau-Abstufungen auf sich hat.
Kristiane Kondrat
Abstufungen dreier Nuancen von Grau
danube books, Ulm 2019
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