Sabine Grofmeier und Jasmin-Isabel Kühne verzaubern als LES FANTASTIQUES mit unkonventioneller Kammermusik.
Von Stefan Pieper.
Musikalische Entdeckungsreisen müssen nicht zwangsläufig in die Kulturmetropolen führen. Manchmal genügt eine Fahrt ins unprätentiöse Marl am nördlichen Rand des Ruhrgebiets. Hier, im Kulturzentrum Erlöserkirche, offenbart sich, was Kammermusik im 21. Jahrhundert sein kann: lebendig, grenzüberschreitend und überraschend intim.
Klang wird Begegnung
Wenn Sabine Grofmeier und Jasmin-Isabel Kühne unter dem Namen LES FANTASTIQUES auftreten, geschieht etwas Bemerkenswertes: Zwei grundverschiedene Instrumente – Klarinette und Harfe – verschmelzen zu einer klanglichen Einheit, die mehr ist als die Summe ihrer Teile. „Die Harfe bringt so etwas Sphärisches mit sich, sehr elegant und manchmal fast überirdisch“, schwärmt Grofmeier über die besondere Klangkombination.
Die Zusammenarbeit dieser beiden Ausnahmekünstlerinnen ist alles andere als zufällig. Hinter der scheinbar mühelosen Harmonie steckt akribische Feinarbeit: „Ich setze manche Passagen in eine tiefere Lage, weil sie sonst zu hoch klingen würden. Wir haben da einiges angepasst“, erklärt Grofmeier ihre Arbeitsweise. Dieses Verständnis füreinander spiegelt sich in ihrem Konzertprogramm wider – einer sorgsam kuratierten Reise durch verschiedene Musikepochen, bei der jede Interpretation eigene Akzente setzt.
Die Programmgestaltung im Bereich der Kammermusik bewegt sich häufig in vorgegebenen Bahnen – umso bemerkenswerter sind Konzepte, die diese Konventionen nicht radikal brechen, sondern sensibel erweitern. Hier liegt die Stärke von LES FANTASTIQUES.
Hören als Entdecken
Das künstlerische Selbstverständnis des Duos zeigt sich in ihrer durchdachten Werkauswahl: Händels „Wassermusik“ wird durch ihre Bearbeitung in neuem Licht präsentiert. Grofmeiers kristalline Artikulation verbindet sich mit Kühnes fein abgestuften Harfen-Arpeggien zu einem transparenten Dialog auf Augenhöhe. Verloren geglaubte Werke wie das „Capriccio“ von Heinrich Poenitz erleben durch ihre Interpretation eine Renaissance, die zeigt, wie zu Unrecht manche Kompositionen in Vergessenheit geraten sind. Die technische Meisterschaft beider Musikerinnen steht außer Frage: Grofmeiers kantable, ausdrucksstarke Phrasierung gleitet mit Souveränität über jede Herausforderung hinweg. Jasmin-Isabel Kühnes Harfenspiel ist von erstaunlicher Expressivität und artikulatorischer Brillanz. Ihr Harfensolo in einem anspruchsvollen Werk von Deborah Henson-Conor verwandelt das Instrument in ein klingendes Naturereignis und beweist die vollständige Emanzipation der Harfe vom traditionellen orchestralen Kontext.
Jenseits der Grenzen
Während viele Künstler in festen Genres verharren, überschreiten LES FANTASTIQUES bewusst solche Grenzen. Als Sabine Grofmeier mitten im Konzert ihre Klarinette beiseite legt und mit Hildegard Knefs „Für mich soll’s rote Rosen regnen“ als Chanteuse hervortritt, offenbart sich eine weitere Facette ihres künstlerischen Spektrums. Ihre textorientierte, nuancenreiche Interpretation und Kühnes subtile Harfenbegleitung zeigen, dass wahre Kunstfertigkeit vor Genregrenzen nicht Halt macht.
Was LES FANTASTIQUES auszeichnet, geht über technische Perfektion hinaus. Wenn sie dem vermeintlich abgenutzten aber hier völlig enstaubten Italo-Hit „O sole mio“ durch ihre phrasierungsreiche Gestaltung neue vokale Qualitäten verleihen, entsteht der Eindruck einer singenden Seele statt bloßer Tonproduktion. Als in Marl schließlich die feurig-leidenschaftliche Abschlussnummer „El Choclo“ erklang, repräsentierte dies eine Kammermusik, die weit über die Kammer hinaus strahlt.
Mehr als Musik
Die gebürtige Marlerin, die heute in Hamburg lebt, hat unterdessen ihre Konzertformate noch durch das Element ausgewählter Literatur-Rezitationen erweitert. Zwischen den Musikstücken trägt sie ausgewählte Texte vor, darunter eine Reflexion über das „Nichts tun“ als essentiellen Freiraum vor dem „Zuviel“ – ein Statement der Dichterin Sonja Niemeyer von zeitloser Relevanz, das durch Sabine Grofmeiers Stimme besondere Tiefe gewinnt – eine Einladung zur gemeinsamen Kontemplation in unserer oft überreizten Lebenswelt!
Intimität statt Glanz
LES FANTASTIQUES sind in den renommiertesten Konzertsälen wie der Hamburger Laeiszhalle zu Hause. Doch es zieht die Künstlerinnen immer wieder zu intimen Spielorten mit exzellenter Akustik und kenntnisreichem Publikum. In der „Villa Denis“ in Diemerstein kuratiert Grofmeier seit Jahren ihre eigene Konzertreihe, die „Diemersteiner Konzerte“. Wenn ihr Recital im beschaulichen Marl an einem sonnigen Nachmittag mehr Lebendigkeit und Relevanz entfaltet als so manches hochglanzpolierte Event, ist das kein Zufall – sondern liegt daran, das hier zwei Musikerinnen den Mut haben, sie selbst zu sein.
Ihre aktuelle Tournee führt sie im Juni noch durch weitere ausgesuchte Veranstaltungsorte – darunter am 10. Juni 2025 das Konzert „Naturklänge“ mit Sabine Grofmeier an der Klarinette in der atmosphärischen Wallfahrtskirche Bleidenberg in Oberfell.
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LES FANTASTIQUES: Sound art without conventions
Chamber music in the 21st century – with LES FANTASTIQUES, this means: clarinet and harp merge into a poetic soundscape. Sabine Grofmeier and Jasmin-Isabel Kühne combine technical brilliance with refined artistry. Their program spans from Händel arrangements to rediscovered gems like Poenitz’s “Capriccio” and contemporary works by Deborah Henson-Conant.
Both musicians perform as equals. Kühne’s harp sounds both orchestral and transparent, while Grofmeier’s phrasing makes the music speak. Genre boundaries fade when Grofmeier puts down her clarinet and sings Hildegard Knef’s “Für mich soll’s rote Rosen regnen” with subtle harp accompaniment.
Readings – such as a reflection on “doing nothing” – complement the music and offer moments of thoughtful pause.
From Hamburg’s Laeiszhalle to Marl’s cultural center: LES FANTASTIQUES prove that great art doesn’t need a grand stage. Their concert series at Villa Denis exemplifies intimate experiences beyond the mainstream.
On June 10, they’ll perform “Naturklänge” at the pilgrimage church Bleidenberg – another stop on a remarkable musical journey.
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