Rezension von Barbara Hoppe
Ist es ein phantastischer Roman? Ein Horroroman? Oder Science Fiction? Eine Kritik an Kolonialpolitik und ihre Auswüchse? Auf jeden Fall ist „Die Insel des Dr. Moreau“ ein Klassiker der Weltliteratur, erstmals erschienen 1896. Faszinierend in seiner Grausamkeit des skrupellosen Arztes, der durch Vivisektion aus Tieren Menschen machen will. Erzählt von einem, der es mit eigenen Augen gesehen hat (oder auch nicht?) und dem man nicht glauben wollte.
Edward Pendrick ist der einzige Überlebende der Schiffbruch erleidenden Lady Vain. Gerettet wird er von dem Schoner Ipecacuanha, auf dem sich der Arzt Montgomery aufhält. Das Schiff transportiert unter dem Kommando eines aggressiven und betrunkenen Kapitäns mehrere Tiere, darunter einen Puma und ein Lama. Auf einer einsamen Insel gehen der Arzt und die Tiere von Bord. Da sich keiner um Edward Pendrick kümmern will, landet der Naturwissenschaftler beinahe wieder ausgesetzt auf See. Im letzten Moment erbarmt sich Dr. Moreau, der auf der Insel lebt, und nimmt ihn als Gast auf. Pendrick merkt rasch, dass hinter den Mauern der Umfriedung Unheimliches vor sich geht. Schreie unmenschlichen Ausmaßes ertönen. In einem Schreckensmoment stößt er schließlich auf das Geheimnis des Dr. Moreau und flieht entsetzt ins Innere der Insel. Doch hier lauern noch mehr Gefahren, denn das Eiland ist bevölkert von merkwürdigen Kreaturen, halb Mensch, halb Tier, mal mehr, mal weniger aggressiv. Dr. Moreau scheint sie durch Grausamkeit und Autorität im Griff zu haben. Doch das Zusammenleben auf der Insel ist fragil und die Stimmung kippt ins Bedrohliche. Edward Pendrick weiß: Will er überleben, muss er fliehen.
Es ist der bekannte Kunstgriff, Wahrhaftigkeit durch ein Herausgebervorwort zu suggerieren, der den Charme dieser Erzählung erhöht. Der Neffe und Erbe von Edward Pendrick hält die Geschichte seines Onkels für wert, der Öffentlichkeit zu präsentieren, auch wenn er keinen Beweis anführt, dass sie stimmt. So tauchen wir also ein in ein wahnwitziges Südseeabenteuer, sprachlos und fassungslos auf dem schmalen Grat von Wahrheit und Täuschung.
Es ist ein großer Verdienst des Kunstanst!fter Verlags, den fesselnden Roman neu herausgegeben und dabei keine Mühen gescheut zu haben, dem Klassiker eine angemessene Optik zu verleihen. Das Buch kann mit Fug und Recht als „Buch“ im besten Sinne bezeichnet werden: Solid verarbeitet, mit dickem, matt weißem Papier, edel, großzügig im Zeilendruck und schwer in der Hand liegend. Als wäre das heutzutage nicht schon selten genug, glänzt die Ausgabe mit extravaganten Illustrationen, die der Geschichte einen würdigen Rahmen verleihen. Nicole Riegert schuf unheimliche, gleichwohl der Phantasie Freiraum gebende Holzschnitte in Blau- und Grüntönen, bizarr und fremd, wie die Geschichte selbst. Ab jetzt weiß man – auch Klassiker kann man neu erfinden.
H.G. Wells
Die Insel des Dr. Moreau
Kunstanst!fter Verlag, Mannheim 2017
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Coverabbildung ©Kunstanst!fter Verlag
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