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Neue Verlage für afrikanische Literatur – Teil 2

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Die Zeiten für Verlage sind hart, trotzdem gibt es beherzte Verlegerinnen und Verleger, die sich neu auf den Markt wagen. In den letzten drei Jahren sind gleich zwei Verlage für zeitgenössische afrikanische Literaturen entstanden. Letzte Woche stellte Birgit Koß den Akono Verlag vor, heute geht es um den InterKontinental Verlag.

2020 gründete die Kulturwissenschaftlerin Jona Elisa Krützfeld in Leipzig den Akono Verlag, 2022 folgte in Berlin die Verlagsgründung von Interkontinental – mit einer etwas längeren Vorgeschichte:

Bereits 2017 riefen Karla Kutzner und Stefanie Hirsbrunner den Verein Interkontinental zur Förderung afrikanischer Literatur und von Autorinnen und Autoren aus afrikanischen Ländern ins Leben. Im April  2018 organisierten sie erstmals das jährliche African Bookfestival und im Dezember 2018 eröffneten sie ihren eigenen Buchladen in Berlin-Friedrichshain. Weiterhin veranstaltete Interkontinental Lesungen, Koversationsreihen, Buchpremieren, Schreibworkshops und vieles mehr. Schell war die Afrikanistin und Übersetzerin Venice Trommler die Dritte im Bunde. Immer wieder stellten die Drei fest, wie viele spannende afrikanische Titel auf dem deutschsprachigen Markt fehlen. Somit war es die logische Entwicklung, einen eignen Verlag zu gründen. Im Sommer 2022 war es soweit und der Interkontinental Verlag erblickte das Licht der Welt mit der Ankündigung,  jährlich vier Bücher zu veröffentlichen.

Cover: InterKontinental Verlag

BLACKASS von A. Igoni Barrett

Der Nigerianer A. Igoni Barrett wurde mit seinen Kurzgeschichten berühmt und 2014  auf die Africa39 Liste des Hay Festivals als einer der 39 Autoren gesetzt, die das Potenzial haben, Trends in der afrikanischen Literatur zu setzen.

In seinem Debütroman „Blackass“ erzählt er die Geschichte des 33-jährigen Furo Wakiboko in Lagos, Nigeria mit deutlichem Bezug zu Kafkas „Verwandlung“.  Der junge Universitätsabsolvent sucht seit längerem eine Stelle. Als er endlich wieder zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen wird, stellt er beim Erwachen fest – er hat sich über Nacht verwandelt. Er ist weiß*, hat grüne Augen und rote Haare. Er schleicht sich aus seinem Elternhaus davon und stellt sofort die veränderten Reaktionen seiner Umwelt fest. Frauen, die ihn bisher nicht beachtet haben, finden ihn attraktiv, Preise bei Straßenhändlern und Taxifahrern steigen ist astronomische Höhen; und er bekommt sogar einen weit besseren Job, als den, auf den er sich beworben hat – mitsamt Firmenwagen und Chauffeur. Sein Chef setzt große Erwartungen in den Weißen, der Pidgin wie ein echter Nigerianer spricht. Doch zunächst muss er bis zum Jobbeginn die Zeit überbrücken – ohne Geld und ohne Familie. Schließlich findet er Zuflucht bei der jungen Sheeryta, die sich von ihrem Sugar Daddy aushalten lässt und entdeckt, dass Furos Verwandlung nicht komplett ist – sein Hintern ist Schwarz*.

Mit Verve und bissiger Feder zeichnet A. Igoni Barett ein Portrait der heutigen Millionenstadt Lagos mit den großen sozialen Unterschieden, dem erstickenden Verkehr, unsinniger Bürokratie, Korruption und der Aussichtlosigkeit für den jungen akademischen Nachwuchs. Schnell entscheidet Furo sich für sein weißes Ich, als Frank Whyte, doch das Schwarze wird er  nicht los. Allerdings geht es dem Autor nicht nur um die Verwandlung Schwarz weiß. Im Laufe des Romans schaltet sich der Schriftsteller und Erzähler Igoni ein, der die Transformation vom Mann zur Frau durchläuft.

So stellt der Autor die Frage nach der Bedeutung von Geschlecht, Hautfarbe und Aussehen für die Identität – oder hat jede Person gar mehrere Identitäten? „Bereits lange bevor Furos Geschichte meine eigne wurde, versuchte ich in Worte zu fassen, was ich jetzt ganz klar begreife: Wir alle sind konstruierte Narrative“, stellt der Erzähler fest, während er über Facebook mit Furos Schwester kommuniziert.

Barrett gibt keine vorschnellen Antworten in seinem rasant durcherzählten Roman mit wenigen großen Kapiteln und mehreren Perspektivwechseln, sondern regt zum Nachdenken an und unterhält dabei aufs Feinste. – Ein gelungenes Debüt, das Witz und Hintergründigkeit gekonnt vereint, hervorragend übersetzt von Venice Trommler.

A. Igoni Barrett
Blackass
Aus dem Englischen von Venice Trommler
InterKontinental-Verlag, Berlin 2022
bei amazon
bei Thalia

Cover: InterKontinental Verlag

Kann das denn Liebe sein? Persönliche Essays über interracial Beziehungen

Liebe wird häufig als einzigartige individuelle Erfahrung verstanden. Wenn wir verliebt sind, glauben wir, jedes Hindernis überwinden zu können. Doch was passiert in Liebesbeziehungen, in denen neben der persönlichen Sicht Kultur, Herkunft und Race* eine entscheidende Rolle spielen? Darüber berichten 16 Autoren und Autorinnen  in ungewöhnlich  offenen Beiträgen über ihr Privatleben. Das Spektrum reicht von tiefen Niederlagen und Verletzungen bis zu  lebenslangen, erfüllten Partnerschaften.

So die Geschichte der Schwarzen Tshiwa Trudie Anulungu und ihres weißen Ehemanns Wilfried Brock. Beide sind in Namibia geboren. Aus unterschiedlichen Kulturen stammend, haben sie sich über den gemeinsamen politischen Kampf kennen und lieben gelernt und den langen Weg bis zum Ende der Apartheid gemeinsam gemeistert.

Stefanie Hirsbrunner, die hier auch als Herausgeberin fungiert, zeigt in ihrem eigenen Beitrag „warum stirbst du nicht einfach“ auf erschütternde Weise, wie brutale Verachtung und Gewalt sich Bahn brechen, wenn neben persönlichen Verletzungen kulturelle und racial* Faktoren in einer Beziehung eine Rolle spielen.

Alle 16 Essays sind auf Deutsch und Englisch abgedruckt. Stilistisch sind sie so unterschiedlich wie die jeweiligen Autorinnen und Autoren. In ihrer Vielfältigkeit – mal nachdenklich, hintergründig verstörend, dann wieder mitreißend und optimistisch – geben sie einem erhellenden Einblick in die gefährlichen Klippen der Beziehungen, die nicht immer umschifft werden können, aber viel Potential für gemeinsame Veränderungen bieten.

Stefanie Hirsbrunner (Hrsg.)
Kann das denn Liebe Sein? Persönliche Essays über interracial Beziehungen
InterKontinental-Verlag, Berlin 2022
bei amazon
bei Thalia

Cover: InterKontinental Verlag

Die erstes Frau von Jennifer Nansubuga Makumbi

Dieser Roman ist „eine generationsübergreifende Geschichte über das Erwachsenwerden, die erste Liebe, das Frausein und die Suche nach den eigenen Wurzeln. Ein ergreifender Roman zwischen traditionellen und modernen Feminismen, erzählt vor dem Hintergrund des gewaltvollen Regimes von Idi Amin im Uganda der 1970er Jahre“

Jennifer Nansubuga Makumbi
Die Erste Frau
Aus dem Englischen von Alakati Neidhardt
InterKontinental-Verlag, Berlin 2022
bei amazon
bei Thalia

Cover: InterKontinental Verlag

Zerstreuung von Lauri Kubuitsile

Dieser Roman erzählt „die brutale Geschichte zweier Frauen, die der Kampf um das Überleben verbindet. Lauri Kubuitsile gelingt es, einfühlsam und poetisch von unfassbarem Leid und der gleichzeitigen Unbeugsamkeit des menschlichen Geistes zu berichten.“ Die Handlung  spielt Anfang des letzten Jahrhunderts im südlichen Afrika und beleuchtet die deutsche Kolonialgeschichte aus weiblicher Sicht.

Lauri Kubuitsile
Zerstreuung
Aus dem Englischen von  Ivana Maurovi´c und Maria Meinel
InterKontinental-Verlag, Berlin 2022
bei amazon
bei Thalia

*Die Kursivierung von „weiß“ und die Großschreibung von „Schwarz“ sowie die Begriffe „Race“ und
„racial“ folgen dem Glossar für diskriminierungssensible Sprache.

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