Cecilia Bartoli auf den Spuren von Conchita Wurst und Rolando Villazón als Barocknachwuchs in Georg Friedrich Händels Ariodante bei den Salzburger Festspielen. Von Stephan Reimertz
Mehrfach wurden sie vertrieben, und immer kommen sie wieder. Schon Ende des sechzehnten Jahrhunderts bat Fürsterzbischof Wolf Dietrich von Raitenau die Salzburger Protestanten außer Landes, hundert Jahre später eiferte ihm Fürsterzbischof Max nach, und noch in den frühen dreißiger Jahren des achtzehnten Jahrhunderts organisierte sein Nachfolger im Amte des Fürsterzbischofs Leopold Anton Firmian eine großangelegte Protestantenvertreibung. Unter Kaiser Joseph II. öffnete sich dann in Österreich eine beschränkte Toleranz gegenüber Protestanten. Erst Kaiser Franz Josef gewährte ihnen völlige religiöse und rechtliche Gleichstellung.
Seit 2017 dürfen bei den Salzburger Festspielen evangelische Operninszenierungen gezeigt werden.
Dazu eignet sich Georg Friedrich Händels »dramma per musica« Ariodante vorzüglich, stammt es doch aus der Zeit der Protestantenvertreibung unter Leopold Firmian. Händel, Hallensischer Gastarbeiter am englischen Königshof, sah seine der halbernsten Gattung angehörende Oper am Covent Garden Theater uraufgeführt, das noch heute als eines der bedeutendsten Opernhäuser der Welt gilt. England hat eine spezifische Tradition, in der sich Puritanismus mit Hedonismus auf vertrackte Wiese verbinden. Bestes Beispiel dafür, wie diese beiden entgegengesetzten Prinzipien sich in ein und derselben Person verkörpern und dort immer wieder zu Konflikten führen, ist Samuel Pepys, ein theaterliebender Puritaner, der zwei Generationen vor Händel lebte, und der uns in seinem Tagebuch Auskunft vom Kampf dieser beiden konträren Prinzipien gibt. Die opernbegeisterten Puritaner von heute haben mit dieser Paradoxie ihren Frieden geschlossen. Sie sorgen tagsüber dafür, dass die Welt immer öder und kommerzieller wird. Abends gehen sie in die Oper und genießen einen Nachhall von dem, was einmal ein Fest war, als es noch eine stilbildende aristokratische Oberschicht gab. Richard Strauss sah im Opernpublikum einen Haufen, der »sich aus niedrig genießenden Bankiers und Kaufleuten zusammensetzt«. Zusammen mit Hugo von Hofmannsthal gründete er die Salzburger Festspiele, die für ein aus Volk und Adel zusammengesetztes Publikum bestimmt waren, die jedoch von Anfang jene globale kommerzielle Schicht anzog, die ihr Bild bis heute bestimmt.
Der typische Denkfehler von Opernregisseuren
Christof Loy begeht den Denkfehler der meisten Opernregisseure, wenn er glaubt, dem Publikum vermeintliche Parallelen zwischen dem Werk und ihrem eigenen Leben suggerieren zu müssen, indem er Figuren zeitgenössische Kostüme antut. Das Publikum würde ohnedies erkennen, was an einem Werk abgetan und was zeitlos ist. Es würde sich auch ohne diese Winke mit dem Zaunpfahl mit den Figuren auf der Bühne identifizieren, auch wenn diese im historischen oder phantastischen Kostüm aufträten. Das zeitgenössische Kostüm auf der Opernbühne, welches das Publikum spiegeln soll, ist ein alter Hut, den man besser an den Nagel hängen sollte. In den zwanziger Jahren war Hamlet im Frack ein Ereignis. Die Typen in Tussi- und Managerklamotten im Salzburger Ariodante hingegen sind zum Einschlafen. Das haben wir schon tausend Mal gesehen. Es sagt nichts mehr aus, ist nur eine Art Publikumsbeschimpfung, denn die Besucher wissen selbst am besten, dass sie graue Mäuse im Hugo-Boss-Anzug sind und keine Barockfürsten. Die Damen lassen sich hin und wieder ein fesches Kleid oder ein Dirndl einfallen, um den Abend zu retten. Aber ein paar Schwalben machen auch in Salzburg keinen Sommer.
Beklommene Oper
Es zeigt sich als unüberwindliches Problem, dass Händel seine Opern für ein aristokratisches und patrizisches Publikum des frühen achtzehnten Jahrhundert geschrieben hat, und dass ein Regisseur von heute dasselbe Werk für eine veränderte Zuhörerschaft herrichten muss. Im Falle Händels und des Ariodante kommt dem Regisseur die Tatsache entgegen, dass die Atmosphäre der Uraufführung auf dem vertrackten englisch-protestantischem Boden stattfand. Barockoper? Ja gern! Aber bitte etwas verhalten.
Eher verhalten ist auch die Akustik in jenem architektonischen Problem, das sich »Haus für Mozart« nennt. Nur in der Mitte des ersten Ranges kommt man in den Genuss der vollen Klangfülle. Les Musiciens du Prince aus Monaco unter der Leitung von Gianluca Capuano liefern jedoch eine nobel zurückhaltende Interpretation von Händels Partitur ab, die zu diesem Haus passt, das nicht nur die Musik, sondern auch die Stimmung dämpft. Auch sitzt man unbequem in den an evangelischen Kirchenbänken ausgerichteten Sesselreihen mit hochgezogener Holzleiste. Man soll es ja nicht zu gemütlich haben. Das Theater soll eine moralische Anstalt sein. Nicht Mozart, sondern Lessing ist hier der theatralische Schutzpatron. Auch für das mit der Felsenreitschule geteilte Foyer ist keine architektonische Lösung gefunden. Umso mehr erfreut es, dass hier in diesem Jahr eine Kammerausstellung zu Alban Bergs Oper Wozzeck zu sehen ist. Eine Neuinszenierung dieses Meisterwerks des modernen Musiktheaters findet heuer bei den Festspielen statt.
Max Weber lässt grüßen
Den PR-Agenten, Rechtsanwälten, Bankern und Managern, die sich die hohen Kartenpreise der Salzburger Festspiele leisten können (Karl Kraus spottete schon bei den ersten Festspielen: »Ehre sei Gott in der Höhe der Preise«) zeigt die Bühne von Johannes Leiacker jene grauen Wände, die sie aus ihren Agenturen, Firmen und Banken kennen. Da der Regisseur, ebenso wie die »Gesellschaft« unserer Zeit, zum barocken Fest unfähig ist, präsentiert Christoph Loy seinen Ariodante in einem Stil des ironisch-coolen Manierismus. Das kennt der 1962 geborene Regisseur aus seiner Studienzeit Anfang der achtziger Jahre. Doch seine Ironie bleibt ebenso platt wie jene der damaligen Zeit. Anspielungen auf Erotisches, gar Geschlechtsverkehr auf der Bühne, wirken hier noch abgeschmackter als in den siebziger Jahren, als sie auf der Opernbühne neu waren.
Auch klischeehaft ironisierte Balletteinlagen verhelfen einem verhaltenen bis verkrampften Pseudobarockspektakel noch zu keiner Fülle, adeln es nicht zu einem Fest. Deutschland ist derzeit nach Russland das bedeutendste Land in der internationalen Tanzszene, so hätte ein deutscher Regisseur allen Grund, sich ernsthaft mit dem Thema des Balletts in der Oper auseinanderzusetzen. Dies ist ein ewiges Problemfeld, dem schon Otto Schenk eine Parodie gewidmet hat. In Salzburg wird ein wenig postmodernes Gehoppse vorgeführt, zwei der drei Tänzerinnen im vergröberten Watteau-Kostüm sind Männer. Weitere Tänzer kontrastieren sie im Habit des siebzehnten Jahrhunderts, der Regisseur befindet sich offenbar noch in den achtziger Jahren des zwanzigsten.
Österreich ist stolz auf sein Transentheater
Mit der Ambiguität der Geschlechterzugehörigkeit befasst sich auch Cecilia Bartoli. In der Titelrolle, die Händel für einen Kastraten geschrieben hat, tritt sie als Dame mit Bart auf. Seit Conchita Wurst liebt man in Österreich diese Figur, denn das Land glaubt so, beweisen zu können, wie modern und tolerant es sei.
Zwitterwesen der Art von Bartoli als Ariodante gibt es bereits seit der Antike. In Neapel gehören die feminelli bis heute zum Stadtbild. Wie schon der Surrealismus nach dem Zweiten Weltkrieg wird in Österreich wieder einmal ein alter Hut als neuer verkauft. Cecila Bartoli hat ihre volle und warme Stimme erhalten und wirkt in ihrer ersten Hosenrolle stark plebejisch, was dem Charme ihrer Darstellung keinen Abbruch tut. Die große darstellerische und stimmliche Spannweite trägt sie durch die vielen Stunden der komplizierten höfischen Intrige, die Händel nach einer phantastischen Episode aus dem Orlando Furioso entwickelt; Täuschung und Verkennung der Liebenden, Verlieren und Wiederfinden, Betrug, Zweikampf und Versöhnung. Kathryn Lewek als Ginevra und Sandrine Piau als Dalinda können ihr als gleichberechtigte Darstellerinnen an die Seite treten. Rolando Villazón, sicher nicht für die Barockoper geboren, schlägt sich wacker, und Nathan Berg begeistert als König von Schottland das Publikum.
Keine Angst vor Barockmusik!
Cecilia Bartoli ist Intendantin der Salzburger Pfingstfestspiele, einem Projekt Karajans, die auf Hofmannsthals Idee zurückgeht. Seit fünf Jahren leitet Bartoli die seit Anfang der siebziger Jahre bestehenden Festspiele zu Pfingsten und verleiht ihnen stets einen neuen italienischen Schwerpunkt. Die Produktion von Ariodante wurde dort zum ersten Mal in diesem Jahr gezeigt und in die Sommerfestspiele übernommen.
Die hohen Erregungsschwellen und stark kontrastiven Dramaturgien der Musik Mozarts, des neunzehnten Jahrhunderts und des modernen Musiktheaters haben sich zwischen Händels Version der Oper und uns geschoben. Es lohnt sich jedoch, sich einzuhören, das beweist der musikalisch diszipliniert durchgearbeitete Ariodante in Salzburg. Händels Musik ist pastoral und tänzerisch, was das Bühnenbild mit halbherzigen Anspielungen auf Lorrain und Watteau zu parieren versucht. Führt die Verhaltenheit, ja Verkrampfung der Inszenierung auch dazu, dass nur selten etwas wie eine emphatische Erfahrung beim Zuhörer aufkommt, wird er doch entschädigt durch einige anrührende Arien, die zum haltbaren Repertoire des frühen achtzehnten Jahrhunderts gehören.
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