Zum 200. Male jährt sich in diesem Jahr der Beginn des griechischen Unabhängigkeitskrieges. Der Verlag der Griechenland-Zeitung in Athen veröffentlicht daher eine Neuausgabe der Sammlung von Ausschnitten aus den Kriegsberichten von deutschen Philhellenen, welche der Byzantinist und Neogräzist Karl Dieterich erstmals 1929 herausgebracht hatte. Vereinzelte Motive der Moderne klingen in den sehr unterschiedlichen Texten aus der ersten Hälfte des XIX. Jahrhunderts bereits an. Von Stephan Reimertz.
Der europäische Geist lebt
Unter die deutschen Philhellenen rechnet man so unterschiedliche Begabungen wie Friedrich Hölderlin, Ludwig I. von Bayern und Adolf Hitler. Philhellenen im engeren Sinne sind jedoch jene Soldaten, Studenten, Abenteurer und Idealisten, die sich in den Jahren 1821 – 1822 am Aufstand der Griechen gegen die türkischen Besatzungsmacht beteiligten. Die deutsche Botschaft in Athen hat letztes Jahr den prominentesten von ihnen eine Website gewidmet. Die älteren der Schlachtenbummler hatten bereits in den deutschen Befreiungskriegen gegen Napoleon gekämpft und konnten aus ihrem militärischen Erfahrungsschatz schöpfen. Die meisten trugen Bilder griechischen Heldentums vom Gymnasium her in sich. Außer England verfügt kein anderes Land über literarisch derart ambitionierte Homer-Übersetzungen wie Deutschland und einen so intensiven Unterricht der Alten Sprachen. Eliza Marian Butler in Cambridge sprach gar von einer »Tyranny of Greece Over Germany« und vermutete einen weitgehendend »influence exercised by Greek art and poetry over the great German writers of the Eighteenth, Nineteenth and Twentieth Centuries«. Das Büchlein von Karl Dieterich bietet nun erneut Gelegenheit, diese akademische Herangehensweise mit Berichten von der zerzausten Front zu konterkarieren.
Eigene Zwecke verfolgen
Robert Stadtler und Jan Hübel vom Verlag der Griechenland-Zeitung nennen den Philhellenismus, den Aufstand gegen die orientalische Willkürherrschaft »ein neuartiges, ein europäisches, wenn nicht gerade ein globales Phänomen«. Charakter und Stoßrichtung des von Freiwilligen aus allen europäischen Nationen unterstützten Aufstandes erinnern immer wieder an den Spanischen Bürgerkrieg. Auch hier mischten sich Schlachtenbummler und Karrieristen in die Menge der Freiheitsbegeisterten. »Viele Offiziere, mit Patenten und Orden versehen, treten die Reise an, jenseits des Meeres höhere Grade, schnelleres Avancement hoffend«, bemerkt ein Zeitzeuge. »Den meisten dieser Menschen war Griechenland Nebensache, Mittel für eigene Zwecke.« Trotz ihrer Prägung durch Homer sowie die griechischen Dichter und Historienschreiben hissten viele Schlachtenbummler die Fahne des Christentums, welches sie gegen die Muselmanen zu verteidigen hätten. Dieses Motiv kommt in den Berichten und Deklamationen immer wieder vor, auch wenn die griechisch-orthodoxe Konfession und nicht, wie in Nordeuropa, die römische oder lutherische, dem seit vierhundert Jahren von den Türken unterdrückten Land ihr Antlitz verlieh.
Die europäischen Freischärler fanden mitnichten das Volk Homers vor, vielmehr eine Bevölkerung, die »eben erst aus einer vierhundertjährigen Sklaverei« erwachte. Daher sei es verständlich, meinte ein französischer Beobachter, wenn der größte Teil des Volkes »noch roh, ungebildet und den Lastern ergeben sei, welche überall und zu allen Zeiten der Despotismus in seinem Gefolge habe«. Die Abenteurer fühlten sich aufgerufen, »Entmenschten Wesen beizustehen, einen freien Gesetzes- und Rechtsgenuss zu erlangen«, wie Philhellene Franz Lieber in seinem Tagebuch schreibt und damit an heutige westliche Befreiungsrhetoriker anklingt. Wenn Napoleons Russlandfeldzug die Tragödie war, auf welche die Deutschen sich eingelassen hatten, so die griechische Befreiungsbewegung die Farce, die darauf folgte. »Jeder von uns glaubte, an der Seite eines griechischen Häuptlings, in dem Generalstab oder in dem kleinen Krieg bedeutende Auszeichnungen und endlich in dem klassischen Land ein glänzendes Glück erlangen zu können, welches uns das Vaterland verweigerte«, wie es in einem anonymen Bericht hieß. Da kam es auch schon einmal zu selbstgemachten Rangerhöhungen, indem sich einfache Soldaten Offizierspatente beilegten. »Mehrere unter ihnen behielten auch nach ihrer Rückkehr aus Griechenland dieselben bei und erregten in ihrem Vaterland den Glauben, als ob diese erschlichenen Titel Belohnungen ihrer den Griechen geleisteten Dienste oder ihrer oft zusammenhängen genug erdichteten Kriegstaten seien«, berichtet C. T. Striebeck, seines Zeichens Premier-Lieutenant a. D.
Die Operettenamazone
Wie nicht anders zu erwarten, ließ die Disziplin des bunten Haufens zu wünschen übrig. »Einige verfügten sich mit Zuziehung eines Arztes zum Polizeiminister Lampros Nakos und verlangten weibliche Geschöpfe zur Befriedigung ihrer Sinne, um, wie sie vorgaben, ihre leidende Gesundheit zu fristen«, berichtet der Teilnehmer Wilhelm Bellier de Launay. »Andere gingen gar zu den Türken über. Diese wenigen Worte mögen hier zum Beweise dienen, wie löblich wir uns dort aufgeführt haben.« Porträts illustrer »Franken« und Griechen runden die anthologische Monographie ab. So heißt es von der Amazone Bobelina 1822 im Schwäbischen Merkur: »Sie ist eine sehr entschlossene Frau, zwischen 40 und 50 Jahren, mit Spuren großer Schönheit, reitet in Amazonentracht ein wildes Ross, und hat wohl mehr Mut als viele der Kapitanys zusammen.« Und Carl Koesterus beschreibt die tapfere Medea inmitten ihrer Operettenrevolution: »Sie war in ein schwarzes, in viele Falten gelegten Kleid und eine schwarze Jacke mit weiten Ärmeln gekleidet, hatte eine schwarze Schärpe um den Leib und, nach griechischer Art, ein dergleichen Tuch um den Kopf.«
Massaker an jüdischen Frauen und Kindern
Gottfried Müller berichtet in seinen in zwei Bänden erschienenen Memoiren 1825 von der Eroberung von Naupalia: »Triumphierend drangen die Griechen in die Stadt und plünderten nach Herzenslust. Die Juden, welche auch hier Verräterei an ihnen begangen hatten, wurden in der ersten Wut alle auf das grausamste niedergemacht; selbst Frauen und Kinder wurden nicht geschont. Die Erbitterung gegen dieses Geschlecht war so groß, dass man lange nach der Einnahme noch die verstümmelten Leichname auf den Straßen und vor der Stadt umherliegen sah.«
An der Wiege der Bildung
Obwohl die Philhellenen einem Sauhaufen glichen, war ihr Einsatz von Erfolg gekrönt und gipfelte in der Erstürmung der Akropolis, denn die gegnerischen Türken waren noch chaotischer. Schlachtenbummler Wilhelm Bellier rechnete es sich zur Ehre an, »dass ich der Deutsche bin, dieser Stadt, die einst die Wiege unserer jetzigen Bildung war, als Belagerungskommandant und Trommelschläger zugleich gedient zu haben«. Inmitten des drôle de guerre kam es doch immer wieder zu individuellen Heldentaten oder Zufallstreffern; auf beiden Seiten. »Ich sah selbst«, berichtet Carl Martin Schrebian, »dass ein Grieche auf einer Distanz von 1.700 Schritt mit einer Gewehrkugel gefährlich verwundet ward. Die Wachsamkeit der Türken, sowohl bei Tag als bei Nacht, übersteigt alle Beschreibung.« Ein sich Nelisteros nennender Griechenfreund berichtet von einem fallenden Herrn von Strahlendorff, der, nachdem die Kugel sein Herz durchbohrt hatte, noch sagen konnte: »Schreibt an meine Schwester, das Fräulein v. W.!« Die ersten Philhellenen, die bei der Erstürmung der Akropolis fielen, wurden am nächsten Tag im Tempel des Theseus beigesetzt, wie Schrebian bezeugt. Die unterlegenen Türken indes versorgte man mit Nahrung und ließ sie noch zwei Tage auf der Akropolis hausen, damit sie dort ihr Bairamsfest feiern konnten. Dozent Dr. Ioannis Zelepos (* 1967) von der LMU München betont in seinem Nachwort, wie sehr es sich beim Philhellenismus um ein in seiner Art neuartiges europäisches Phänomen handelte. Er beziffert die Gesamtzahl der europäischen Philhellenen, die vom Beginn des Aufstandes 1821 bis ins Jahr 1828 das Land der Griechen mit der Waffe suchten, auf über tausend Personen. »Tödlich für Europa ist immer nur Eins erschienen: Erdrückende mechanische Macht, möge sie von einem erobernden Barbarenvolk oder von angesammelten heimischen Machtmitteln im Dienst Eines Staates oder im Dienst Einer Tendenz, etwa der heutigen Massen, ausgehen«, schreibt Jacob Burckhardt in seinen Historischen Fragmenten (Kap. 84). Der Schweizer Historiker fährt fort: »Retter Europas ist vor Allem, wer es vor der Gefahr der politisch-religiös-sozialen Zwangseinheit und Zwangsnivellierung rettet, die seine spezifische Eigenschaft, nämlich den vielartigen Reichtum seines Geistes bedroht.«
Deutsche Philhellenen in Griechenland 1821-1822
192 Seiten, fest gebunden, 12 Abbildungen, 19 x 12 cm.
Verlag der Griechenland Zeitung, Athen 2021
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