„Seele und Geist – das ist es, worauf es im Leben ankommt“,
Winnaretta Singer, Mäzenin und Freundin Gabriel Faurés
Venedig zur Zeit des fulminanten, kleinen und feinen Palazzetto Bru Zane Frühlinsfestivals 2024, das den Komponisten „Gabriel Fauré und seine Schüler“ in den internationalen Fokus rückt. Von Barbara Röder.
Gabriel Fauré liebte Venedig. Im Musiksalon des Palazzo Volkoff am Canale Grande verbrachte er, einer der innovativsten Komponisten der Belle Époque seine glücklichste Zeit. Winnaretta Singer, wohlhabende und begeisterte Mäzenin der schönen Künste, reiste 1891 nach Italien in Begleitung ihrer feingeistigen Freunde. Mit Fauré und anderen Künstlern verband Winnaretta, die Erbin der Singer-Nähmaschinen Dynastie, eine lebenslange Freundschaft. Im Frühling 1891 kam Fauré in Venedig an und gesellte sich zu dem illustren Kreis, der im Palazzo Volkoff residierte. „Und die fast sechs Wochen, die er dort verbrachte, erwiesen sich als eine der glücklichsten Perioden seines Lebens“, so Winnaretta in ihren Memoiren. Fauré genoss und liebte zudem Cafés. Das stille Zimmer mit einem Klavier als Arbeitszimmer, das die Gönnerin für Fauré hergerichtet hatte, tauschte er gerne mit dem berühmtesten Café Venedigs am Markusplatz ein, um zu komponieren. Seine „Cinq Mélodies de Venise“ schrieb er an einem kleinen Marmortisch im Café Florian auf der Piazza, inmitten des Lärms und des Trubels einer geschäftigen venezianischen Menge“, so Winnaretta. Zwei der „Cinq Mélodies de Venise“ entstanden dort. Den gesamten Zyklus der Lieder widmete Fauré seiner Seelenverwandten Winnaretta.
Zu Ehren des 100. Todesjahres Gabriel Faurés haben der kompetente, agile und innovative Macher und künstlerischen Leiter des Palazzetto Bru Zane Alexandre Dratwicki und dessen Team ihren musik-archäologischen Blick auf „Gabriel Fauré und seinen Schüler“ gerichtet. Das Zentrum für französische Musik der Romantik, Palazzetto Bru Zane ist in Venedig beheimatet. Bru Zane spürt verschollene, unaufgeführte Schätze französischer Komponisten aus der Zeit zwischen 1780-1920 ebenso auf und erforscht Unbekanntes, Wissenswertes prominenter Werke französischer Komponisten und Komponistinnen. Die üppige Webseite des Forschungszentrums zeugt von einer großen Entdeckerfreude und lebendigen Musikkultur, die ihresgleichen sucht. Zahlreiche Festivals mit jeweiligen Komponistenporträts, sorgfältig recherchierte CDs mit gewichtigen Booklets ergänzen dieses einzigartige Kleinod. Regelmäßige Opernproduktion von Erst- und Uraufführungen französischer Tonmeister sind keine Seltenheit. Kooperationen mit deutschen Theatern und Orchestern sind bis jetzt noch kleine musikalische Pflänzchen, die in der deutschen Opern- und Konzertlandschaft bereits wachsende Beachtung genießen. Im französischen und italienischen Raum wartet Bru Zane mit jährlich wachsender Aufmerksamkeit auf. Die begeisternden Zuschauer und Zuhörer der Konzerte, Opernabende und Festivals, die auch im französisch sprechenden Kanada stattfinden, spiegeln eine einzigartige, musikarchäologische Erfolgsgeschichte der 2009 gegründeten Stiftung, die durch die französische Mäzenatin Nicole Bru finanziert wird, wider. Zuletzt erschien in der reichhaltigen Publikationsreihe Jules Massenets „Ariane“. Das 11. Festival Palazzetto Bru Zane findet im Juni in Paris statt.
„Intensität auf einem Hintergrund von Ruhe“,
Aaron Copland über den Kompositionsstil Gabriel Faurés
Abseits der diesjährigen Biennale Ereignisse fand ein Kammermusikkonzert mit Klavierquartetten von Gabriel Fauré und seines Schülers George Enescu statt. Es verweist auf die exemplarisch hohe künstlerisch-musikalische Qualität aller Bru Zane Veranstaltungen. „Fauré et ses élèves“ lautet das Motto der Kammermusikreihe der diesjährigen Frühlingskonzerte, die in Kooperation mit Asolo Musica stattfinden und die sich allesamt um besondere, erlesene Kompositionen der Meisterschüler Faurés drehen. Die kleine Insel San Giorgio, auf der der Klavierquartett-Nachmittag „Primi Quartetti“ stattfindet, nimmt atmosphärisch gefangen. Für eines der Highlights des Palazetto Bru Zane haben sich drei junge Künstler zusammengefunden, die in der Chapelle Musicale Reine Elisabeth, Brüssel in Residenz, studieren und am Anfang ihrer musikalischen Laufbahn stehen: die Geigerin Hawijch Elders, der Bratschist Natanael Ferreira und der Cellist Aleksey Shadrin. Mit dem international renommierten Pianisten, Kammermusiker und Pädagogen Frank Braley formierte sich ein hervorragend agierendes, harmonisierendes Ensemble, das tief in die Klavierquartett-Welt Faurés und Enescus eintauchte.
Faurés erstes Klavierquartett, das der Star der neu gegründeten französischen „Société nationale de Musique“ 1876 begann und erst 1883 vollendete, steht ganz im Zeichen der Emanzipation des französischen Kammermusikstils von Einflüssen deutscher Komponisten wie Brahms, Schumann und Mendelssohn. Fauré fand zu seiner ganz eigenen Tonsprache und nahm das 1875 in der Société nationale uraufgeführte Klavierquartett seines Freundes und Förderers Camille Saint-Saëns als Vorbild für sein Klavierquartett Nr 1. Unter den bis 1923 weiteren neun großen Kammermusikwerken zählen seine beiden Klavierquartette zu den bedeutendsten. Trotz der dunklen Tonart c-Moll vermögen die hervorragenden Kammermusiker die impressionistischen Nuancen des viersätzigen Werkes aufzuspüren. Wenn Violine und Viola das tänzerisch anmutende Thema des ersten Satzes anstimmen, vernimmt der Hörer im ausufernden, überschwänglich ausgearbeiteten Klavierpart Rückwendungen zur dorischen Kirchentonart. Fauré war eben ein begnadeter Organist. Legendär ist der zweite Satz, den Fauré historisch als „Vater des Impressionisten“ ausweist. Es ist ein Scherzo „von einnehmender Leichtigkeit“, so der Fauré-Biograph Robert Orledge: „Pizzicato-Akkorde der Streicher bilden den Hintergrund für das atemlos-luftige Thema …“
Ganz in die Musik hineingelauscht verharrt der Blick auf das Wellenspiel, das sich hinter dem Musizierenden abspielt. Wir vernehmen Töne, die schmeicheln, schmecken Melodien von Zartheit, Charme und Duft. Es ist ein betörend tönender Duft, der trunken und schweben zugleich machen kann. Der Pianist Frank Braley ist verbindender Katalysator im musikalischen Miteinander und Geschehen. Die aufwühlend melancholische Stimmung aller Parts feiern im Finalsatz ein furioses Fest. Zuvor sangen alle ein trauriges Lied, verfolgten musikalisch eine Idée Fixe. Das Finale endet, vom lyrischen Seitenthema durchwebt, in einem dramatisch funkelnden Irrlichtzauber.
Auch das Klavierquartett Nr. 1 in D-Dur, Op.16 vom Fauré Schüler George Enescu spielen die Streichsolisten Hawijch Elders (Violine), Natanael Ferreira (Bratsche), Aleksey Shadrin (Violoncello) und Frank Braley am Piano virtuos brillant. Der ausufernde, hoch anspruchsvolle Klavierpart gestaltet wiederum Braley geschmackvoll konzentriert und mit einem farbintensiven pianistischen Anschlag. Das Opus 16 aus dem Jahre 1909 von George Enescu, des einstigen rumänischen Wunderkind auf der Geige, ist mit seinen melodiösen Themen und komplexen Strukturen noch dem 19. Jahrhundert, der Quartett-Tradition eines Johannes Brahms, zugewandt. Folkloristische Einfärbungen in Melodie, Rhythmus und Harmonik durchziehen alle drei Sätze. Ein heller, klarer und voller D-Dur Sound, das interpretieren die Künstler eindrucksvoll, zeigt die exponierte Individualität der Stimmführung. Es scheint, als meldeten sich alle Stimmen gleichberechtigt zur Rede. Enescu lässt ein jedes Instrument Eigengespräche führen. Lässt sie musikalisch nebeneinander her sinnieren. Er schildert musikalisch die damalige Welt um 1909, wie sie eben war: Einzelschicksale memorieren, kommentieren in Selbstgespräche vertieft die menschliche Existenz. „Die größte musikalische Erscheinung seit Mozart“, so beschrieb der Jahrhundert-Cellist Pablo Casals den Violinvirtuosen, Komponisten, Dirigenten und Pädagogen George Enescu. Sein erstes Klavierquartett ist ein musikalischer komplexer Geniestreich, der durch die Interpretation der vier Ausnahmekünstler beim erlesenen Kammermusik-Publikum Begeisterung erfuhr.
Veröffentlichungen der aktuellen CD-Bücher in französischer und englischer Sprache des Palazzetto Bru Zane:
Déjanire
Pallazetto Bru Zane
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„Déjanire“ von Camille Saint-Saëns im Auditorium Prince Rainier III, Monte-Carlo (Monaco)
https://www.feuilletonscout.com/im-herzen-der-musik-oder-die-wiedergeburt-der-franzoesischen-tragoedie/
Jules Massenet
Werther
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Venice 2024 – Island happiness: „Fauré and his students“
The Spring Festival 2024 of Palazzetto Bru Zane in Venice sheds light on the composer Gabriel Fauré and his relationship with Venice. Fauré enjoyed the city during his stay at Palazzo Volkoff on the Grand Canal in 1891, inspired by his patron friend Winnaretta Singer. Alexandre Dratwicki and his team dedicate themselves to the theme „Gabriel Fauré and his Students“ on the occasion of Fauré’s 100th death anniversary. Palazzetto Bru Zane, the center for French Romantic music in Venice, is dedicated to the discovery and exploration of French music from the 18th to the 20th century. The initiative is gaining attention and celebrating successes through festivals, CD releases, and collaborations with German theaters and orchestras.
As part of the festival, a chamber music concert featuring piano quartets by Fauré and his student Enescu took place, highlighting the quality of Palazzetto Bru Zane’s events. The concert on San Giorgio Island was performed by talented young artists and the renowned pianist Frank Braley. Fauré’s first piano quartet, characterized by the emancipation of French chamber music style, and Enescu’s Opus 16 were interpreted virtuosically and sensitively.