Rezension von Barbara Hoppe.
Johanna I. von Kastilien (1479-1555) gehört sicher zu den traurigsten Gestalten der Weltgeschichte. Als drittes Kind und zweite Tochter von Isabella der Katholischen mussten so einige vor ihr sterben, damit sie eher ungewollt zur rechtmäßigen Nachfolgerin von Isabella wurde. Eine Königin, die damals ein Weltreich regierte. Und eine Tochter, die schon früh durch ihre Introvertiertheit auffiel, durch ihre Skepsis dem katholischen Glauben gegenüber, die nie zur Beichte ging und mit 16 Jahren an Philipp I von Österreich – den Schönen – verheiratet wurde. War es auch eine strategische Allianz, begehrten die jungen Brautleute einander anfangs sehr. Johanna sollte insgesamt sechs Kinder zur Welt bringen, die über die Kürze der romantischen Phase hinwegtäuschen. Philipp wollte den spanischen Thron und dafür war ihm jedes Mittel recht. Am Ende schaffte er es zwar, doch nach nur wenigen Monaten als Regent starb er an einer Fieberkrankheit. Johanna kam über den Verlust nur schwer hinweg. Psychisch am Ende, sahen ihre Zeitgenossen in der jungen Frau bisweilen eine überforderte, bisweilen verrückte Regentin, die man besser wegsperrte. Insgesamt 46 Jahre lang verbrachte Johanna als Gefangene: ihrer Mutter, ihres Mannes, ihres Vaters, ihres Sohnes.
Ihre Lebensgeschichte aufzuschreiben böte reichlich Stoff für einen historischen Roman, den man irgendwann im Fernsehsommerkino als Film präsentiert bekommt. Alexa Hennig von Lange verschont den Leser glücklicherweise von jeder Art von Schmachtfetzen. Wer die Autorin kennt weiß, dass sie gern die Erwartungshaltung ihrer Leser konterkariert, in dem sie mit kleinen Wendungen oder – wie in ihrem aktuellen Roman – aus einer radikalen Perspektive schreibt. Ihre Johanna ist keinesfalls wahnsinnig. Sie ist lediglich eine junge Frau, die zwar musisch und sprachlich hervorragend ausgebildet war, aber weder auf das Leben als Ehefrau noch als Regentin vorbereitet wurde. Im Gemengelage zwischen harter Mutter und dem Haifischbecken machthungriger Männer ist Johanna nur ein Spielball.
Ohne die weltpolitischen Zusammenhänge und die Intrigen im persönlichen Umfeld vollständig zu erfassen, hat sie nur einen Wunsch: Nach Grundsätzen zu leben, die heute jedem in der westlichen Welt – und trotz mancher Mängel auch den Frauen – selbstverständlich sind. Sie möchte lieben und leben und dafür niemandem Rechenschaft ablegen müssen. Krieg und Gewalt sind ihr ein Gräuel. Politisches Geschacher ist ihr fremd, wohl auch deswegen, weil sie es nicht gelernt hat. Doch in ihrem Wunsch läuft sie gegen Wände, der immer wieder in unbändige Wut und Raserei umschlägt, um ihrer Energie ein Ventil zu geben. Alexa Hennig von Lange schreibt konsequent aus der Sicht ihrer Johanna, für die die Welt keine Rolle vorgesehen hat. Stark ist sie, diese Johanna, und gleichzeitig schwach in der ihr zugedachten Rolle, die ihr schon die Fesseln anlegte, bevor sie tatsächlich für immer hinter Burgmauern verschwinden sollte.
Wer die hervorragende Biographe von Brigitte Hamann über Kaiserin Sisi kennt, entdeckt Parallelen zwischen den beiden Frauen, obwohl sie rund 350 Jahre trennen. Auch Sisi wollte lieben und geliebt werden, wollte ihre Intelligenz nutzen – denn intelligent war sie zweifellos. Nur ließen die Männer es nicht zu. Sisi entwickelte eigenartige Verhaltensmuster und Zwangsstörungen. Ihr Glück war, das nicht sie die Regentin war, sondern ihr Mann. Johanna hingegen stand nicht nur ihrem Ehemann im Weg. Dass eine solche Frau nach fast 50 Jahren unterdrückter Potenzialentfaltung, geistiger Verkümmerung und Isolation eigenartig wird, verwundert nicht. Frauenemanzipation nach heutiger Art im 16. Jahrhundert: Johanna I. von Kastilien gebührt unser Respekt, denn sie musste scheitern.
Alexa Hennig von Lange
Die Wahnsinnige
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