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„Odissea“ – 99 Tage um Kap Hoorn. Eine Begegnung mit der Künstlerin Susanne Kessler

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Susanne Kessler stieß als Artist in Residence des Museums Kunst der Westküste auf Föhr vor zwei Jahren auf die Aufzeichnungen im Logbuch der „Susanna“ aus dem Jahr 1905. Seitdem arbeitet sie an der Umsetzung einer großen Innenrauminstallation, um die Irrfahrt um Kap Hoorn dreidimensional nacherlebbar zu machen.

Es war die längste Umseglung von Kap Hoorn und die längste Fahrt von Europa nach Nordchile: Unter der Führung des Föhrer Kapitäns Christian Jürgens kämpfte sich das Vollschiff „Susanna“ 99 Tage um die Spitze Südamerikas. Gnadenlos waren nicht nur Sturm und Wellen, sondern auch das Logbuch: Unbeirrt zeichnete es die Irrfahrt auf. Wer heute auf die Striche und Linien schaut, erhält nicht nur eine exakte Rekonstruktion der Odyssee, sondern auch ein bizarres Muster aus Linien.

Feuilletonscout sprach mit der vielfach ausgezeichneten Zeichnerin und Installationskünstlerin. Von Barbara Hoppe.

Feuilletonscout: Was fasziniert Sie so sehr an der Fahrt der „Susanna“, dass Sie sich zwei Jahre lang damit künstlerisch auseinandergesetzt haben?
Susanne Kessler: Im Museum der Westküste beschäftigt man sich hauptsächlich mit dem Thema Meer und  mit den Traditionen und der Geschichte der Insel. Als ich begann, mich während meines ersten Artist in Residence Aufenthaltes 2016 auf die Insel Föhr einzulassen, stieß ich bald in der Ferring Bibliothek auf die Irrfahrt des Kapitäns Jürgens. Zuerst fiel die Zeichnung der Irrlinie in mein Auge. Als Zeichnerin war ich sofort angeregt zu verstehen, wie sie verläuft, denn sie besteht ja aus einer fortlaufenden Linie. Ich  wollte mehr darüber wissen. Dass sie eine dramatische Reise aufzeichnet gab ihr eine zusätzliche Faszination. Eine von den Winden aufgezwungene Irrfahrt wurde nach dem Logbuch und den Tageseinträgen aufgezeichnet.
Mich faszinierte, mich mit einer gelebten- durchlebten -überlebten Linie  zu beschäftigen im Gegensatz zu einem abstrakten Linie. Die Geschichte die dahinter stand, das Herumirren auf dem Meer verband sich in meinem Kopf auch bald mit der epischen Irrfahrt von Odysseus, die klassischste Irrfahrt aller Zeiten, mit der ich mich parallel in einem Malbuch über die Jahre hinweg von 2016 bis 2018 auseinandergesetzt habe. Und über das Klassische kam ich auf das Gegenwärtige, die Aktualität der Irrfahrten über Meer und Land. Die Komplexität  dieses Themas, mich ihm auf verschiedene Weise zu nähern, ohne unter Zeitdruck arbeiten zu müssen war besonders, denn das Museum ließ sich ganz auf dieses Projekt ein und unterstützte es in jeder Hinsicht und führte zu der Möglichkeit, sich auf verschiedenen Ebenen diesem  Thema zu nähern.
Der Dramatik wollte ich mich zum Beispiel nähern durch eine zur Skulptur werdende schwimmende Linie im Meer, die mit der Ebbe strandet und  bei Flut aufschwimmt und neu Kraft bezieht, einer Sisyphos- Anstrengung, in der sich auch die Menschen der Susanna , Odeisseus und seine Mannen und alle heutigen Meeresüberquerer auf wackligen Booten begeben haben. Es gibt dazu viele Modelle im Museum zu sehen. Die  Simulationen von Ebbe und Flut und 2017 dann die im Meer, die nun als Film in der Ausstellung zu sehen ist. Das Objekt „eingepflanzt“ im Meeresboden   steigt mit der Flut und strandet  bei Ebbe, sodass man es wie einen im Trockenen liegenden gestrandeten Wal von Nahem betrachten konnte.

Ausstellung, Museum Kunst der Westküste, Porträt, Susanne Kessler / Foto © Lukas Spoerl

Feuilletonscout: Mussten Sie sich das Thema erarbeiten, oder war es eher eine Inspirationsquelle, die in eine gewisse Form des künstlerischen Flow mündete?
Susanne Kessler: Ich musste es mir natürlich erarbeiten, von der Zeichnung zum Bauen, da wird es sehr real mit Berechnungen, Herstellen von Trickfilmen und Simulationen unter Beratung durch Architekten und Statikern. Jedoch die Inspiration muss während der Arbeit lebendig bleiben und so gab es auch Sprünge und unerwartete Wendungen in der Entwicklung des ganzen Projekts, mündend in eine zerschnittene Irrfahrt , die in siebzehn Segmenten ihren eigenen Tanz mit den Schattenwürfen und Rastern auf den sie berechnet wurden, vollzieht.

Feuilletonscout: Und: Wie haben Sie sich damit auseinandergesetzt? Welche Mittel fanden Sie passend, standen Ihnen zur Verfügung?
Susanne Kessler: Die Mittel, die ich zur Realisation benutze, kommen aus meinem inneren ästhetischen Empfinden und Notwendigkeiten. Sie haben mit dem Thema zu tun (oder das Thema suche ich dementsprechend aus, eventuell auch unbewusst). Somit  können sie  mir nicht äußerlich zur Verfügung gestellt werden. Sie haben auch mit all den Arbeiten zu tun, die ich zuvor realisiert habe. Sie haben etwas Iimprovisiertes eventuell auch etwas Leichtes, Zusammenfaltbares, das dem Reisen und Umherziehen auch in meinem Leben entspricht. Wenn ich viel mit Kordeln, Schläuchen Stoffen, Netzen, Draht und Gestänge arbeite, drücke ich damit auch Vergänglichkeit, Fragilität aus,  aber gleichzeitig auch Dehnung und Zähigkeit, nichts Verhärtetes sondern eher Wachsendes. Für meine Meeresinstallation allerdings  habe ich Bambusstangen und  Korkschläuche gewählt aufgrund der Gefahr der Meeresbelastung. So fordert jedes  Projekt auch ein Einlassen auf ein neues Material.

Museum Kunst der Westküste, Eröffnung Susanne Kessler / Foto © Lukas Spoerl

Feuilletonscout: Segeln Sie selbst oder haben Sie eine bestimmte Verbindung zum Meer?
Susanne Kessler: Nein, ich habe mit Segeln nichts am Hut. Ich liebe das Meer, die Flüsse und die Seen und arbeite mit Großprojekten, nun schon das siebte Mal, in Meeres- und Wassernähe.

Vielen Dank, Susanne Kessler!

Susanne Kessler, 1955 in Wuppertal geboren, studierte von 1975-1982 an der Hochschule der Künste, Berlin, und machte 1983 ihren Abschluss am Royal College of Art, London. Seit 1984 lebt sie in Rom und unterhält seit über zehn Jahren auch ein Atelier in Berlin. Arbeitsaufenthalte brachten sie u.a. nach Äthiopien, Guatemala, Mali, Pakistan, Indien und den Iran. Gastdozenturen und eine Professur – California State University (CSU) und City University New York (CUNY) – führten Sie überdies immer wieder in den Vereinigten Staaten.

Die aktuelle Ausstellung “Odissea” im Museum Kunst der Westküste auf Föhr zeigt zudem historische Objekte, die in direktem Bezug zur Kap-Hoorn-Umseglung der „Susanna“  stehen. Neben dem Schiffsporträt, das Nachfahren des Kapitäns zur Verfügung stellen, werden Auszüge aus dem originalen Logbuch gezeigt sowie Zeitzeugenberichte. Ein Animationsfilm veranschaulicht die Tagespassagen der Irrfahrt, ein weiterer simuliert die bei Ebbe und Flut erlebte Passagen.

Odissea
Ausstellung bis zum 6. Januar 2019

Museum Kunst der Westküste
Hauptstraße 1
25938 Alkersum/Föhr

Öffnungszeiten
4. März 2015 – 31. Oktober 2018
Dienstag bis Sonntag: 10-17 Uhr
Montag: geschlossen

1. November 2018 – 6. Januar 2019
Dienstag bis Sonntag: 12-17 Uhr
Montag: geschlossen

8 Euro/4 Euro

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