Von Stephan Reimertz.
Als Friedrich Schiller sein von Empörung überquellendes Drama Luise Miller wenige Jahre vor der Französischen Revolution auf das Theater losließ, konnte er schon voraussehen, wie die Tragödie um Luise und Ferdinand, denen die verhärteten Verhältnisse eines deutschen Duodez-Régimes einen Strich durch ihre Liebe machen und sie in den Doppelselbstmord treiben würde, eines Tages auf der Opernbühne wiederaufersteht. Drei Generationen später war die Stunde einer solchen revolutionären Liebesoper gekommen. Giuseppe Verdi, damals Mitte dreißig, konnte der Versuchung nicht widerstehen, dem vermeintlich reaktionärsten Publikum des damaligen Italiens seine eher politische als musikalisch provokative Oper vorzusetzen. Entsprechend mager fiel die Begeisterung des Publikums am Teatro San Carlo in Neapel aus.
Seltene Temperamentsausbrüche
Hundertsechzig Jahre später steht Luisa Miller, melodramma tragico in drei Akten nach Schillers Kabale und Liebe, bei den Salzburger Festspielen auf dem Programm. Kapellmeister James Conson trieb das Mozarteumorchester Salzburg zu etlichen bei diesem Klangkörper seltenen Temperamentausbrüchen an. Verdi hat mit Luisa Miller eine sowohl eingängige wie auch musikalisch interessante Oper vorgelegt. Der Konzertvereinigung Wiener Staatsoper (Choreinstudierung Huw Rhys James) kommt die Rolle des Chores als Kommentator der Handlung wie im griechischen Drama zu. Die Fallhöhe von den reinen alpinen Gefilden des Dorflebens im ersten Akt über die höfischen Intrigen bis zum Doppelliebestod im Finale ist beträchtlich; Solisten, Chor und Orchester traten mit ihren ganzen musikalischen Mitteln für diese menschliche Drama ein.
In dem Fiesling Wurm, den John Relyea in Salzburg mit schneidender Gewalt sang, haben Schiller und Verdi einen Prototypen des verdrucksten Muckers und Perversen geschaffen, der allein Sexualneid und Intrige kennt und der zum Prototyp des gegenwärtigen Zeitalters zu werden droht. Piotr Beczała als Rodolfo war von strahlender, unangestrengter Grandezza. Nino Machaidze als Luisa erschien vielen zu Beginn etwas zu scharf, wuchs im Laufe des Abends aber zunehmend in ihre Rolle, die sie am Ende zum Triumph steigerte.
Domingos Charisma war trotz der Diskussionen um ihn ungebrochen, seine Leistung kernig und klangschön. Die Partie des Miller liegt für einen Bariton verhältnismäßig hoch, kommt Placido Domingo als ehemaligem Tenor damit freilich auch entgegen. Die Mezzosopranistin Yulia Matochkina (Federica) rollte geradezu einen Samtteppich mit ihrer weichen und dunkeln Stimme aus.
Aufstand gegen das Regietheater
Die stürmischen Ovationen, die dieser konzertanten Opernaufführung zuteil wurden, waren nicht zuletzt auch als ein neuerliches kollektives Statement gegen das dilettantische und nervende Regietheater zu verstehen, wie es uns Opernfreunde seit über einem halben Jahrhundert auf die Barrikaden bringt. Kann eine Opernintendanz eine sinnfällige und durchdachte moderne Regie bieten, wie bei Hans Neuenfels, Krzysztof Warlikowski oder La Fura des Baus – wunderbar. Ansonsten sollte man sich auf konzertante Aufführungen beschränken wie jetzt bei Luisa Miller und es dem Zuhörer überlassen, die Oper im Kopf selbst zu inszenieren.
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