Zum Inhalt springen

„Wie man ein Genie tötet“

Rating: 3.00/5. From 2 votes.
Please wait...

LiteraturDer schwedische Autor Ingvar Hellsing Lundqvist setzt dem Komponisten Hans Rott ein Denkmal. Rezension von Barbara Hoppe.

Über hundert Jahre sollten vergehen, bis die Symphonie in E-Dur des österreichischen Komponisten Hans Rott endlich mit großem Orchester zu hören war. Am 4. März 1989 spielte sie das Cincinnati Philharmonia Orchestra unter der Leitung von Gerhard Samuel dank der Hartnäckigkeit von Paul Banks in der Londoner St. Barnabas Church. Der Musikforscher entdeckte die Partitur 1975 noch als Student. Es sollten dann noch einmal 14 Jahre vergehen, bis das Werk erstmals erklang.

Hans Rott, dieser vergessene Komponist aus Wien, hatte ein tragisches Leben. Erkennbar auch daran, dass ihn bis heute kaum einer kennt. 1858 als unehelicher Sohn der Theaterschauspielerin und Operettensängerin Maria Lutz zur Welt gekommen, erkannte ihn nach seiner Heirat mit der Mutter der österreichische Schauspieler Karl Rott als Sohn an. Hans war musikalisch begabt. Sein Lehrer an der Orgel war kein geringerer als Anton Bruckner. Der Komponist sah in seinem Schüler ein großes Talent, für den er sich mehrfach nachdrücklich einsetzte. Doch die Zeit war noch nicht reif für die „neue Symphonie“ eines Hans Rott, der auch Komposition studierte. Musik, die auf der einen Seite noch Reminiszenzen an Johannes Brahms und Anton Bruckner enthielt, doch bereits erste Anleihen bei Richard Wagner nahm und erst mit Hans Rotts Freund und Kommilitonen Gustav Mahler lange nach Rotts Tod ernst genommen wurde.

So stand der junge Musiker um 1880 mit seinen Kompositionen zwischen allen Stühlen. Ob ihn dies in den Wahnsinn trieb, ist nicht eindeutig erwiesen. Tatsache ist aber, dass Hans Rott die letzten vier Jahre seines Lebens in der Niederösterreichischen Landes-Irrenanstalt verbrachte („Diagnose: Verrücktheit, halluzinatorischer Verfolgungswahn“), wo er 1884 an Tuberkulose starb, umgeben von Freunden, bisweilen noch komponierend, doch noch häufiger das Geschriebene vernichtend.

Der Schwede Ingvar Hellsing Lundqvist, bisher als Autor von Erzählungen bekannt, beschäftigt sich bereits seit der Uraufführung der Symphonie mit der Musik und dem Leben von Hans Rott. Mit „Wie man ein Genie tötet“ setzt er dem Komponisten ein Denkmal, das seinem Wirken gerecht wird. Nach dem frühen Tod der Eltern sich und seinen Bruder mühsam mit Musikunterricht und Orgelspiel über Wasser haltend, gehört Hans Rott zu den tragischen Künstlerfiguren, denen erst nach seinem Tod Anerkennung zuteilwird. So gibt es in Wien eine Hans Rott Gesellschaft, die sein Erbe vor dem Vergessen schützt und Ingvar Hellsing Lundqvist hat mit seinem Künstlerroman einen Pflock eingeschlagen, durch den Hans Rott für alle Zeit im Gedächtnis bleiben wird.

Da spielt es auch keine Rolle, dass der Autor mitunter tief in die Klischeekiste eines Herz-Schmerz-Künstlerromans greift: Das bitterarme, verkannte Musikgenie, die verbotene, hoffnungslose Liebe zu Louise Löhr, Schwester einer seiner Schülerin, und schließlich Wahnsinn und Tod im Irrenhaus, umgeben von liebenden Freunden, ist manches Mal ein bisschen dick aufgetragen. Doch ist es auch gerade diese etwas altmodische Art und Weise des Geschichtenerzählens, die eine tiefe Melancholie im Leser hinterlässt. Was hat man mit Hans Rott verloren! Wie tragisch, dass man ihn derart vergessen konnte. Und welch Grausamkeit der so genannten Experten – allen voran Johannes Brahms als erbarmungsloser Juror, der dem jungen Komponisten das lebensrettende Stipendium verweigert – ein hoffnungsvolles Talent seelisch zu vernichten. Der österreichische Komponist und Musikkritiker Hubert Wolf soll gesagt haben, Johannes Brahms habe Hans Rott getötet. Kein Kompliment für den Altmeister, doch Ingvar Hellsing Lundqvist baut seinen Roman geschickt um diese Intrige auf, in der sich niemand traut, gegen das Fehlurteil eines Johannes Brahms aufzubegehren. Hans Rott hingegen treibt die Ablehnung in den Wahnsinn. Überall wittert er die Agenten von Johannes Brahms, die ihn vernichten wollen. Bereits auf dem Weg zu einer neuen Stelle in Mühlhausen, rastet der junge Mann schließlich aus, glaubt, Brahms habe den Zug mit Dynamit gefüllt, um ihn zu töten. Seine Reise endet in Wien, eingeschnürt in eine Zwangsjacke.

Johannes Brahms starb 13 Jahre nach Hans Rott. Beide fanden ihre letzte Ruhestätte auf dem Wiener Zentralfriedhof. Anders als der Jüngere, dessen Grabstätte neu belegt wurde, ziert das Grab von Brahms ein großes Denkmal.

Ingvar Hellsing Lundqvist            
Wie man ein Genie tötet
Picus Verlag, Wien 2019
Buch kaufen oder nur hineinlesen

Coverabbildung © Picus Verlag

Bei Verwendung des Textes bitte Quelle angeben bzw. verlinken.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert